26.09.2016

Big Data Immobilienwirtschaft

Chance oder Bedrohung?

Dr. Thomas Beyerle, Managing Director, Catella Property Valuation GmbH
Dr. Thomas Beyerle

Auch wenn Big Data in der Immobilienbranche bisher noch operativ in den Kinderschuhen steckt, ergibt sich hier ein erhebliches Potential, welches bisher bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wird. Aufgrund des Mangels an verifizierbaren Fakten zu diesem Themenkomplex wurde im Jahr 2015 eine Umfrage unter rund 450 europäischen Immobilienunternehmen durchgeführt und die Ergebnisse anschließend in einem Bericht veröffentlicht.

Die Studie beschäftigte sich mit der Beantwortung folgender Fragen:

  • Welche Daten sind in der Immobilienwirtschaft vorhanden?
  • Kann durch Big Data mehr Transparenz geschaffen werden und erhöht sich hierdurch die Chance, aufkommende Trends schneller zu erkennen?
  • In welchen Unternehmens- und Teilsektoren der Immobilienwirtschaft fallen die meisten Daten an, die potentiell für Big Data-Anwendungen zur Verfügung stehen?
  • Welcher Mehrwert entsteht durch eine vernetzte Analyse der vorhandenen Daten?
  • Welche Vorstellung von Big Data existiert in der Branche und werden Entscheidungen bereits auf Grundlage von Daten getroffen?
  • Welches Potential ergibt sich durch die Anwendung von Big Data und vor welchen Herausforderungen steht die Branche noch?
  • Auf welche Teilbereiche der Immobilienwirtschaft hat Big Data den größten Einfluss?
  • Wie wird sich speziell das Berufsbild des Researchers entwickeln?

 

Status Quo von Big Data in der Immobilienwirtschaft

Um den Ist-Zustand von Big Data innerhalb der Immobilienwirtschaft zu erfassen, sollten die Befragten angeben, in welchen Unternehmensabteilungen und Teilbereichen der Branche ihrer Meinung nach die meisten Daten anfallen (Abb. 1). So sind jene Schnittstellen mit unternehmensinternen und- externen immobilienbezogenen Daten erkennbar, die potentiell für Big Data-Anwendungen in Frage kommen. Die Teilnehmer sollten jeweils drei Antworten auswählen. 61 Teilnehmer (50 Prozent) gaben an, dass die meisten Daten in der Unternehmensabteilung Finanz- und Rechnungswesen anfallen. Danach folgt die Stammdatenverwaltung mit insgesamt 46 Stimmen. Immerhin 37 Befragte, rund 30 Prozent, sind der Meinung, dass im Controlling die Datenmenge am höchsten ist.

Auf die Frage, in welchen Teilbereichen der Immobilienwirtschaft die meisten Daten anfallen, nannte mit 69 Stimmen über die Hälfte der Befragten (57,5 Prozent) das Teilsegment „Marktforschung/Research“ (Abb. 2). Dies ist kaum verwunderlich, da dessen Kern vorwiegend darin besteht, immobilienspezifische Daten (Flächenumsatz, Investitionsvolumen, Entwicklung von Mieten und Kaufpreisen etc.) zu erheben und in Form von Marktberichten zu veröffentlichen bzw. unterstützend an andere Abteilungen weiterzugeben. 55 Prozent (66 Teilnehmer) waren der Meinung, dass auch im Teilbereich „Gebäudemanagement“ ein Großteil der Daten anfällt, denn dieses arbeitet mit einer Vielzahl technischer Daten, die teils auch in Echtzeit analysiert werden. Die „Bewertung“ ist daneben auch eine der häufigsten Antworten (53 Stimmen). In die Wertermittlung von Immobilien fließen eine Menge individueller Faktoren ein, die von Vergleichstransaktionen über Leerstand bis hin zur individuellen Ausstattung reichen und in der Regel digital erhoben werden. Sie bilden die Grundlage der „Valuation“.

Eine weitere Frage lautete, wo die Befragten in ihrer täglichen Arbeit das größte Transparenzdefizit sehen (Abb. 3). Etwa ein Drittel (34,2 Prozent) bemängelte, dass in der Immobilienbranche keine standardisierten Daten/Erhebungsmethoden verfügbar sind. Markt- und Objektdaten sind so oftmals nur bedingt vergleichbar. Zwar gibt es Bemühungen auf deutscher Seite z.B. seitens der gif e.V. Erhebungsmethoden und Kennzahlen einheitlich zu definieren, oder im internationalen Kontext durch IPMS International Property Measurement Standards. Doch werden diese Abgrenzungen nicht zwingend flächendeckend in der Branche umgesetzt. Gerade im Hinblick auf die internationale Vergleichbarkeit von Märkten und Objekten besteht durch die mangelnde Standardisierung eine starke Einschränkung. Mit 21,1 Prozent der Antworten sehen sich die Befragten am zweithäufigsten mit dem Problem einer nicht vorhandenen zentralen Datenquelle konfrontiert. Dies liegt teils auch an den mangelnden Standards, da Unternehmen die Daten selbst erheben und diese somit in ihrer Struktur sehr heterogen sind. Für die Vereinheitlichung zentraler Datenquellen gibt es zwar kostenpflichtige Datenbanken, doch unterscheiden sich diese wiederum untereinander. Auf dem dritten Platz der größten Transparenzdefizite folgen für je 19,3 Prozent der Teilnehmer die Datenlage auf Teilmärkten und die fehlende Auskunftspflicht von Transaktionen.

 

Insgesamt ist erkennbar, dass sämtliche genannten Defizite mit Daten bzw. Informationen verbunden sind. Big Data setzt genau an diesem Punkt an und kann den genannten Transparenzdefiziten durch Echtzeitanalysen und automatisierten Datengenerierungen begegnen.

Implementierung von Big Data in der Immobilienbranche

Bei der Frage, welche Möglichkeiten sich durch die Anwendung von Big Data ergeben, wurde mit 77 Stimmen (71,3 Prozent) am häufigsten die Verbesserung und Unterstützung bei der Entscheidungsfindung gewählt (Abb. 4). Für weitere 67 Teilnehmer verbessert sich die Transparenz auf Immobilienmärkten. Durch eine vernetzte Analyse der in der Branche vorhandenen Daten könnten demnach die genannten Transparenzdefizite reduziert und so insgesamt durchsichtigere Märkte geschaffen werden. Ein weiterer häufig angegebener Punkt ist die Risikominimierung (57 Stimmen), die sich durch transparentere Märkte und einer verbesserten Entscheidungsfindung zwangsläufig ergibt. Unter dem Punkt „Sonstiges“ gaben die Umfrageteilnehmer vor allem Verbesserungsmöglichkeiten in der Kundenorientierung und im Vertrieb an.

Neben dem Nutzen von Big Data in der Immobilienwirtschaft sind es aber auch die Herausforderungen und die Schaffung notwendiger Voraussetzungen, die die Branche umtreibt. So sehen rund drei Viertel der Befragten vor allem im Zugang und in der Verfügbarkeit der Daten eine Hürde (Abb. 5). Aufgrund der anfangs erläuterten Problematik der meist unstrukturierten Datenspeicherung und der unterschiedlichen Erhebungsmethoden sowie der dadurch entstehenden Datenheterogenität kann sich eine Implementierung zunächst als schwierig erweisen. Entsprechend liegt in fehlenden Branchenstandards für 44 Teilnehmer auch eine der größten Herausforderungen, danach folgt mit 53 Stimmen das Thema Datenschutz.

Insofern muss sich die Branche zunächst vor allem auf die Implementierung von Standards und einheitlich verfügbaren Daten konzentrieren, um letztlich Big Data nutzen zu können. Nach Meinung von Catella Research könnte man aber auch genau invers argumentieren: Erst die Anwendung von Big Data führt zu dieser Standardisierung in der Branche. Das mag konträr klingen, ist jedoch vorstellbar, vor dem Hintergrund einer standardisierten Echtzeitdatenerhebung von Kennzahlen mit einer strukturierten allgemein zugänglichen Datenbank als Output. Unternehmen dürften nicht im Wettbewerb stehen, sondern müssten vielmehr zusammenarbeiten. Mit 18 Stimmen wurde die fehlende Unterstützung durch das Management am wenigsten genannt. Scheinbar ist der Diskurs um Big Data bereits in der Führungsebene der meisten Unternehmen angekommen. Das Bewusstsein für ein notwendiges Umdenken in der Branche scheint erfolgt. Blickt man auf das mögliche Potential und den Mehrwert von Big Data (vgl. Abb. 5) für die Branche, ist dies nachvollziehbar.

Die zuvor genannte Vermutung einer notwendigen verstärkten Standardisierung bestätigt sich teilweise in der Frage nach der Auswirkung von Big Data auf die Branche (Abb. 6). Hier gaben 55 Teilnehmer (51,4 Prozent) an, dass Big Data zu einer Vereinheitlichung der Immobilienwirtschaft beiträgt. Auch eine verstärkte Transparenz (72 Stimmen), die Risikominimierung (64 Stimmen) und die Entscheidungsunterstützung (53 bzw. 52 Stimmen) finden sich hier wieder. Lediglich sechs Teilnehmer geben an, dass sie sich durch Big Data keine Auswirkungen auf die Branche vorstellen können. Der Faktor Mensch scheint auch nach der Implementierung von Big Data noch von Bedeutung zu sein, da sich nur 6,5 Prozent eine geringere Entscheidungsautonomie in der Führungsebene vorstellen können. Offensichtlich ist, dass auch in der Immobilienbranche Daten aufgrund von Effizienzsteigerungen als vierter Produktionsfaktor angesehen werden. Die Branche ist sich darüber bewusst, dass sie in der Echtzeit-Welt angekommen ist, wo Entscheidungsprozesse zunehmend auf Basis von Datenmengen und immer schneller getroffen werden (Echtzeitanalyse). Dies wird zu Veränderungen in den Prognoseverfahren führen und Fragen nach dem immobilienwirtschaftlichen Outsourcing oder „make or buy“ stehen auf der Agenda ganz oben. Aber auch Aspekte im Zusammenhang mit Eigentumsstrukturen der Daten müssen behandelt werden.

Trotz aller Technik wird sich auch die Rolle der Beteiligten, sei es der Analyst oder der CEO, ändern. Wo beginnt die vielgerühmte Schwarmintelligenz und wo die Schwarmdummheit? Wohin die Reise geht, kann man aktuell nur schwer prognostizieren. Fest steht, die Unternehmen müssen sich mit dem Thema befassen und den Evolutionsprozess beschreiten. Wenn jeder die gleichen Informationen hat, muss ein anderer sich hervorheben, um noch mehr Informationen und Wettbewerbsvorteile zu besitzen und einen echten Mehrwert zu bieten. Ansonsten geht alles – zumindest noch – über den Preis. Genereller Konsens lautet aber: Big Data ist relevant.

 

 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2016