13.07.2016

Online-Handel erfordert Logistik

Erfolgsfaktor Logistik ist im Online- und Multi-Channel-Geschäft unverzichtbar

Dr. Alexander Nehm, Geschäftsführer, Logivest Concept GmbH
Dr. Alexander Nehm

So wie der E-Commerce derzeit die Handelswelt in Atem hält, so bestimmt er im Logistiksegment die Diskussionen und Aktivitäten von Dienstleistern, Projektentwicklern und Infrastrukturverantwortlichen. Logistik gehört im Online- und Multi-Channel-Geschäft zu den unverzichtbaren Erfolgsfaktoren. Nur wer Warenverfügbarkeit und Lieferfähigkeit perfekt im Griff hat, kann die anspruchsvollen Kundenanforderungen erfüllen.

Der vergleichsweise junge Online-Markt verzeichnet eine Dynamik, die bereits zu Veränderungen in der Logistikinfrastruktur geführt hat. Auch im Lebensmittelhandel greifen neue Konzepte mit entsprechenden Logistikstrukturen um sich. So eröffnete der Kochboxen-Lieferant HelloFresh im Mai 2016 sein neues Produktions- und Logistikzentrum mit über 10.000 m2 in Verden. Vor allem aber sind es auch im LEH die Aktivitäten von Amazon, die die Strukturen verändern. Die Vorbereitungen für den Lebensmittellieferdienst des Konzerns in den Ballungszentren wie etwa die Anmietung einer Halle in Olching, 20 Kilometer vor den Toren Münchens oder zuletzt die Vorbereitungen zu Prime Now, dem Lieferservice innerhalb von zwei Stunden innerhalb Berlins mit der Anmietung eines ehemaligen Elektronikmarkts im Ku’damm-Karee sorgten für Aufsehen. Zum 20.000 Artikel umfassenden Sortiment sollen dort nämlich auch Lebensmittel gehören.

Der E-Commerce-Umsatz als auch das Paketvolumen sind in den letzten Jahren in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland e.V. (bevh) belief sich der Umsatz in 2012 auf 27,6 Mrd. Euro, in 2015 bereits auf 46,9 Mrd. Euro. Das Paketvolumen kletterte von 2 Mrd. Sendungen in 2012 auf 2,16 Mrd. in 2014.

Neben dem allgemeinen wirtschaftlichen Wachstum ist der Aufbau eigener Online-Vertriebskanäle durch den stationären Handel und das produzierende Gewerbe als Treiber dieser Entwicklung in der Logistikinfrastruktur zu nennen – Stichwort „Multi-Channel“. Mit rund 1,5 Mio. m2 wurden innerhalb der letzten fünf Jahre zwar mehr als die Hälfte der bestehenden E-Commerce-Logistikflächen von Internet-Pure-Playern errichtet. Diese Neubauten gehen vor allem auf die dominierenden Online-Player Amazon und Zalando sowie die Otto Group zurück und überschreiten teilweise Gebäudeflächen von mehr als 100.000 m2. In 2015 kam mit der Errichtung eines Logistikzentrums für den E-Commerce-Versandhändler Jago mit 120.000 m2 ein weiteres Projekt in dieser Größenordnung hinzu.

Strukturen ändern sich

Die Neubauaktivitäten des Logistikimmobilienmarkts für E-Commerce-Unternehmen, die von Logivest in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services im Logistikimmobilien-Seismograph ermittelt werden, zeigen seit 2013 ein in zweifacher Hinsicht geändertes Bild: Zum einen werden mehr und mehr Flächen für die Erweiterung im Waren- und Serviceangebot, aber vor allem als Lagerflächen für kleinere Anbieter nachgefragt. Diese kommen hauptsächlich aus der „old economy“ und wenden sich nun dem Multi-Channel-Geschäft zu, indem sie Handel über das Internet betreiben, eigene Shops aufbauen und so ihre Vertriebswege erweitern. Diese Ansiedlungen konzentrieren sich wie die der Internet-Pure-Player zu Beginn vornehmlich im „Mittelgürtel“ Deutschlands von Münster bis Berlin und von Koblenz bis Leipzig.

Zum anderen führt die zunehmende Bedeutung von immer kürzeren Lieferzeiten zu einem Wandel bei der Flächennachfrage: Neben den riesigen Logistikzentren suchen Onlinehändler verstärkt die Nähe zu Ballungsräumen, um ihre Kunden noch schneller beliefern zu können. Vor allem die großen Marktplayer achten immer mehr darauf, die Verteilung der Standorte insoweit zu optimieren, dass eine kurze Lieferzeit der Waren zum Kunden garantiert werden kann, wie die obigen Beispiele zeigen. Die Flächen, die dort realisiert oder angemietet werden, sind mit ca. 2.000 bis 10.000 m² deutlich kleiner als die Fulfillment-Center und lagern auch nur einen Teil des Sortiments.

Nachhaltig geplante Gewerbegebiete als Lösungsweg

Zu beobachten ist also, dass sowohl die großen Lager- und Umschlagsanlagen an zentralen Standorten gebraucht und nachgefragt werden, als auch kleinere regionale und stadtnahe Stützpunkte für die Warenverteilung auf der „letzten Meile“ sowie für weitere Funktionen. Diese Tendenzen stellen die Logistikimmobilienwirtschaft vor große Herausforderungen, die im Wesentlichen auf der mangelnden Flächenverfügbarkeit und Engpässen bei den Arbeitskräften basieren. Geeignete Flächen sind in den Top-Ballungsgebieten schwer zu finden, Logistik ist in vielen Kommunen nicht sonderlich gern gesehen, hinzu kommt das Ziel der Bundesregierung, die Flächenversiegelung auf 30 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2020 zu senken. Der Fachkräftemangel basiert im Wesentlichen auf der Altersstruktur der Bundesrepublik. Die Baby-Boomer erreichen die Rentenjahrgänge.

Die Entwicklung bzw. Revitalisierung von „Brownfields“, also ehemaligen Industriearealen, kann in attraktiven und stark nachgefragten Regionen hier ein hilfreicher Ausweg sein. Sie liegen meist zentral, verfügen über große Flächen und bieten Arbeitskräften ein attraktives Umfeld.

Als Berater beider Seiten, sowohl der Kommunen und Wirtschaftsförderer als auch der ansiedlungswilligen Nutzer, raten wir dazu, verstärkt in interkommunalen und infrastrukturellen Kategorien zu denken. Hier sollten zum Wohle einer Region und im Sinne der Unternehmen passende Gewerbegebiete ausgewiesen werden, die stadtnah angesiedelt und verkehrstechnisch hervorragend angebunden sind, Gewerbe, Industrie und Logistik vereinen und genügend Erweiterungsflächen vorhalten.

Logivest hat mit der Studie „LoGe“ 2015 erstmals die Strukturen und Erfolgsfaktoren solcher Gewerbegebiete ermittelt. Diese können als Benchmark für die interkommunale Infrastrukturplanung dienen. Die gebündelte überregionale Ansiedlung von Logistikstrukturen bietet die Chance auf Synergien, zum Beispiel durch eine Verringerung der Transporte, sie führt zu höherer Akzeptanz in der Bevölkerung, reduziert den Flächenverbrauch und dämmt die „Zersiedlung“ durch Logistikansiedlungen „auf der grünen Wiese“ ein. Mit der Informationsplattform GEWERBEGEBIETE.de steht zudem ein Portal zur Verfügung, das sich zum Ziel gesetzt hat, Angebot und Nachfrage in diesem Segment zusammenzubringen und für bundesweite Transparenz mit allen wichtigen Kennzahlen des jeweiligen Gebiets zu sorgen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Logivest Concept GmbH
Erstveröffentlichung: Lebensmittel Zeitung, Mai 2016