10.05.2016

Be creative - or die?

Innovationskultur in der Digitalen Moderne

Christopher P. Peterka, Chief Inspiration Officer, gannaca global THINK TANK group
Christopher P. Peterka

Na da nimmt aber mal wieder Jemand den Mund ganz schön voll, denken Sie bei der Überschrift? Jung und wild möchte man unterstellen. Oder vielleicht einen unverbesserlichen Branchen-Outsider. Und dabei geht es doch nur um Digitalisierung. Diese technische Revolution, die der ein oder andere – zugegeben – vielleicht ein kleines bisschen unterschätzt hat. Vor allem dass mit der Cloud und dem modernen Arbeiten, das kam jetzt doch alles ganz schön schnell und ziemlich konsequent.

„Aber liebe Leute: Ruhe bewahren. Das ganze Thema geht schon wieder vorbei. Denn dann wird eine frische Sau durchs Dorf getrieben und der Nächste stellt sich hin und behauptet die ganz große Veränderung. Die Jugendlichen sind doch auch schon nicht mehr auf Facebook“.

So oder so ähnlich klingen Stimmen von Entwicklungschefs, Geschäftsführern und Vorständen, die mir in der deutschsprachigen Immobilienwirtschaft seit Jahren landauf landab begegnen. Sie sind in der Regel: „weiß, männlich, alpha“ - ziemlich ähnlich sozialisiert. Profund im deutschen System ausgebildet und seit Jahren im Umfeld einer gigantischen Geldschwemme erfolgreich praktizieren sie entweder tatsächlich immer noch das Mantra „So haben wir das schon immer gemacht“ oder „Da sind wir dran: unsere Marketingabteilung macht jetzt auch Social Media“.

Mir wird es dann warm. Denn diese Mantren scheinen mir Leitplanken einer großen Komfortzone zu sein. Statt der Veränderung und ihren Fakten ins Gesicht zu sehen oder sich selbst aktiv einzufühlen in diese neue Welt, gibt jeder wieder diejenige Studie in Auftrag, die am besten zum eigenen Weltbild passt. „Die Jugendlichen“ waren noch nie mehr auf Facebook. Und ihre Väter noch viel mehr. Allein unter den über 55-Jährigen verbringt mehr als ein Drittel der Berufstätigen mindestens eine Stunde pro Tag in ihrem Lieblingsnetzwerk. Allein das blaue Netzwerk eines der fünf wertträchtigsten Informationssammlungs- und -Handelsunternehmen der Welt steuert zwischenzeitlich mehr tägliche Nachrichten an eine Mitgliedschaft von 1,59 Milliarden Menschen aus. Nicht nur ist das für sich genommen schon eine starke Praxis mit erheblichem Potential zur – Achtung: rein technisch und wertfrei – Manipulation von menschlichem Verhalten, sondern ein Faktum das in der Zusammenschau mit ein paar weiteren dazu einladen könnte, innezuhalten, einmal tief durchzuatmen und sich gegebenenfalls grundsätzliche Orientierung und Perspektive zu verschaffen.

Denn was wäre, wenn das Phänomen, was die Branche der Immobilienwirtschaft derzeit wahlweise als „Digitalisierung“, „Industrie 4.0“ oder „BIM“ diskutiert, eben keine weitere, den bekannten Mustern entsprechende, Veränderung wäre? Keine einfache und gewissermaßen „schicke“, weil komfortable Iteration, kein übliches „Update“, sondern ein epochaler Wandel?

Der Beobachtung aus unserem Think Tank seit dem Jahr 2002 und meiner bescheidenen Auffassung nach erleben wir zur Zeit eine Verschiebung von mehreren so zentralen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Paradigmen gleichzeitig hin in eine neue Wertekonstellation, dass es nach dem Moment deren mehrheitlicher Übernahme durch den Anwender kein Zurück mehr auf die alte Position gibt. Ach und bevor wir diskutieren, ob wir das alles eigentlich wollen: wir betreiben zurzeit reine Vergangenheitsbewältigung der etwa letzten 20 Jahre. Sämtliche Veränderungen, die Sie jetzt wahrnehmen, sind Ergebnisse – keine frühen Anzeichen.

Viele haben sich so sehr mit sich selbst und ihrem Fach in der vertikalen Tiefenbohrung beschäftigt, das etwa gar nicht so sehr auffiel, das nicht nur politisch eine nun wirklich multipolare Welt entstanden ist, sondern ein wirtschaftsförderlich ausgesprochen geschickter Schulterschluss amerikanischer Regierung und Privatwirtschaft San Francisco zur Welthauptstadt des Internets werden ließ und die damit verbundene Auffassung von Informationstechnologie zur Dominanten im digitalen Raum wurde.

Zu dieser Auffassung gehört zu aller erst, dass wir in der Digitalen Moderne, deren Beginn etwa im Jahr 2002 zu verorten sein dürfte, als erstmalig mehr Informationen digital als analog gespeichert wurden, völlig neue Denkweisen erleben. Etwa, die, dass Programmcode in den Wirkungsstand nationaler Gesetzgebung reicht. Wenn etwa Uber von seinen Servern in Kalifornien aus innerhalb weniger Tage weltweit Privatbesitzern von PKW in 270 Städten und 60 Ländern die Möglichkeit einräumt auf hoch komfortable Art und Weise ihre Zeit in Geld umzumünzen, in dem die Software via der Milliardenfach installierten Betriebssysteme auf den mobilen Supersensoren und -rechnern aka „Smartphone“ Angebot und Nachfrage paart, dann fließt im Nullkommanichts ein Erlösstrom gewaltigen Ausmaßes. So voluminös, dass nicht nur die vorbörsliche Bewertung dieser Softwarefirma im Frühjahr 2016 etwa bei 56 Milliarden USD liegt, sondern vor allem der Konflikt mit Regulierungsrahmen bewusst – und sehr wörtlich - in Kauf genommen wird. Manche nennen diese Denkweise aufgrund ihres scheinbar zerstörerischen Potentials für etablierte Marktstrukturen „disruptiv“ und ganze Beraterscharen tragen dementsprechend diesen Begriff heute auch prominent als Lockmittel vor sich her.

Doch, so scheint mir, geht die neue Denkweise der Digitalen Moderne weit über den als solches sehr verkürzten „disruptiven Regelbruch“ hinaus. Die Akzeptanz der Allgegenwart von Medien auch und gerade im gebauten Raum der Stadt, des Büros, des Wohnzimmers und – da knallt es gerade für jeden offensichtlich – des Automobils, das Denken in Echtzeit-Interaktion mit Anwendern jenseits klassischer Grenzen von Staat, Unternehmen oder sogar Community oder auch die Tendenz zur Auflösung des Unterschieds von „On- & Offline“ kennzeichnen allesamt beispielhaft dieses neue Denken.
Der Rechtsgelehrte Prof. Lawrence Lessig aus Harvard betitelte eines seiner Bücher mit dem Satz „Code is Law“. Ich ergänze hinzu: „Information is (almost) Everything“.

Wenn an den hier nur beispiel- und ausschnitthaft zitierten Entwicklungen auch nur im Kern etwas dran sein dürfte, sei die Frage gestellt, was das nun für die Innovationskultur in Unternehmen der Immobilienwirtschaft im Jahr 2016 bedeuten könnte? Pauschal gesprochen: den Imperativ kreativ zu werden. Weniger kreativ wie in „Buntstift“ als mehr kreativ wie in „Excel“. Denn erst, wenn der Widmung des Phänomens „Eintritt in die Digitale Moderne“ signifikante Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, kann die Bewältigung gelingen. Das Vorhaben diese Entwicklung zu begreifen, so zeigt es die Erfahrung aus der Praxis und Branche an vielen Stellen, gelingt am besten, wenn es sowohl Top-down als auch Bottom-up gleichzeitig in Angriff genommen wird. „Google Time“, eine Arbeitsauffassung bei der ein signifikanter Anteil des täglichen Stundenbudgets von jedem Mitarbeiter egal welches Fach- oder Funktionsbereichs, in die Erforschung und das Testen neuer Möglichkeiten der Digitalen Moderne gesteckt und berichtet werden muss, ist ein gutes Beispiel für die Dimension.
Ob so oder so ähnlich: Entscheider brauchen professionelle Inspiration auf Augenhöhe, um Scheuklappen abzulegen und ihrer Kreativität zur Neujustierung von Strukturen und Prozessen freieren Lauf lassen zu können. Auf der operativen Ebene braucht es Ausbildung, Praxiserfahrung und einen verlässlichen Rahmen, um mit dem Maß an Veränderung, die unweigerlich im Gesamtprozess enthalten ist, psychisch wie fachlich stabil und erfolgreich mithalten zu können.

Diese Form von Innovationskultur betrifft also nicht nur eine Art und Weise fein differenzierter Unterschiede „in Klang und Farbe“, sondern strategische Fragen nach der Ausrichtung ganzer Abteilungen oder gar des Unternehmens. Angesichts der bevorstehenden Umwälzungen durch das Internet der Dinge, die Verschmelzung von Mensch und Maschine, Künstliche Intelligenz und lernende Maschinensysteme um nur ein paar der derzeit in Entwicklung befindlichen Veränderungsvektoren zu beschreiben, bleiben vielleicht noch fünf Jahre. Dabei nicht nur die Party weiter zu genießen, sondern auch klug vorzubauen und sich fit für diese Zukunft zu machen, erscheint mir, um es im Sprachgebrauch des Valleys zu sagen, ein „Nobrainer“.

Christopher P. Peterka spricht zu diesem Thema auch auf der 23. Handelsblatt Jahrestagung Immobilienwirtschaft am 29. und 30. Juni 2016 in Hamburg. Weitere Informationen unter www.immobilien-forum.com.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von gannaca GmbH & Co. KG
Erstveröffentlichung: The Property Post, Mai 2016

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