13.04.2022

Die EU und die Taxonomie

ESG, die Historie und die Folgen

Christiane Conrads, Rechtsanwältin und Co-Leiterin der deutschen Immobilienrechtspraxisgruppe, PricewaterhouseCoopers Legal AG
Christiane Conrads

Die EU sieht sich selbst als Vorreiter bei der weltweiten ESG-Transformation. Das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung Europas ist in Art. 3 S. 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert. Mit Annahme der UN-Agenda 2030 und des Pariser Klimaschutzabkommens hat sich die EU des Weiteren zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft bekannt. Sie hat deswegen in den letzten Jahren diverse Maßnahmenpakete auf den Weg gebracht, die alle Wirtschaftszweige betreffen.

Verschärft wurden etwa die ESG-Regulierung für die Finanzbranche und die Nachhaltigkeitsvorgaben für Immobilien.

Der rechtliche Rahmen

Kennzeichnend für das Recht der EU als supranationale Organisation ist u. a. die Befugnis, Rechtsakte zu erlassen, die unmittelbar Rechtswirkungen (etwa durch Verordnungen) für natürliche und juristische Personen in den Mitgliedstaaten entfalten.

Demgegenüber stehen Rechtsakte (etwa Richtlinien), die noch eine Umsetzung in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten erfordern.  Im Zusammenspiel mit zahlreichen, teilweise parallel dazu bestehenden nationalstaatlichen Initiativen zur Implementierung von eigenen ESG-Zielen hat sich hier ein Regulierungsdschungel ergeben, der von vielen Marktteilnehmern als noch wenig koordiniert und harmonisiert wahrgenommen wird. Hinzu kommt die postfaktum der Abstimmungsprozesse vorgeschlagene Ausnahmeregelung für Gas und Atomenergie.

Ein Ende dieser Entwicklung erscheint nicht absehbar. Vielmehr sind weitere umfassende Maßnahmenpakete zu erwarten. Ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem internationalen Rahmenwerk ist daher für eine effektive ESG-Strategie der Unternehmen eine intensive Befassung mit den auf europäischer Ebene gegebenen Maßnahmen unerlässlich. Nur so lassen sich neben der Schaffung eines Überblicks über aktuelle Anforderungen auch zukünftige gesetzliche Anforderungen und Marktentwicklungen antizipieren.

Mit dem EU-Aktionsplan hat die Europäische Kommission das Thema Sustainable Finance zum ersten Mal auf die politische Agenda gesetzt. In seiner Folge wurden umfangreiche Legislativprojekte angestoßen, deren vollständige Umsetzung noch einige Zeit dauern wird. Am 6. Juli 2021 veröffentlichte die EU-Kommission eine erneute Strategie zum nachhaltigen Finanzwesen. Mit diesen hat die Kommission Mindestanforderungen zur Offenlegung erlassen und Art. 8 der Taxonomie-Verordnung ergänzt.  Zudem schlug sie einen neuen Green-Bond-Standard vor.

Der Europäische Grüne Deal

Am 11. Dezember 2019 lancierte die Europäische Kommission den Europäischen Grünen Deal, d. h. eine umfassende Wachstumsstrategie für eine klimaneutrale und ressourcenschonende Wirtschaft. Der Grüne Deal sieht – u.a. konkretisiert durch das „Fit for 55“-Paket – insbesondere Ziele und Maßnahmen für die Bereiche Klimaschutz und Klimawandel, Umweltschutz und -recht, Energie und Verkehr vor, wobei der größte Fokus auf dem Klimaschutz liegt. Neben Klimaneutralität im Jahr 2050 sollen die Treibhausgasemissionen in der EU bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber dem Niveau von 1990 gesenkt werden.

Kurz vor der von US-Präsident Joe Biden organisierten virtuellen Klimakonferenz einigten sich Vertreter der Mitgliedstaaten und des EU-Parlaments am 21. April 2021 endgültig und verbindlich auf eine Verschärfung des Klimaziels für 2030.

Darüber hinaus soll der Grüne Deal eine effizientere Ressourcennutzung durch den Übergang zu einer sauberen und kreisförmigen Wirtschaft erleichtern und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und die Bekämpfung der Umweltverschmutzung fördern. Alle Sektoren und Wirtschaftszweige werden aufgerufen, einen aktiven Beitrag zur Erreichung dieser Ziele zu leisten.

Am 14. Juli 2021 präsentierte die EU-Kommission ein umfassendes Paket zusammenhängender Vorschläge zur Umsetzung des Grünen Deals, welches auf eine umfassende Neuausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichtet ist. Insbesondere sollen folgende Maßnahmen zum Einsatz kommen:

•    Emissionshandel für neue Sektoren und strengere Auflagen für das bestehende europäische Emissionshandelssystem;
•    verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien;
•    mehr Energieeffizienz;
•    schnellere Einführung emissionsarmer Verkehrsträger nebst dazugehöriger Infrastruktur und Kraftstoffe;
•    Angleichung der Steuerpolitik an die Ziele des Grünen Deals;
•    Maßnahmen zur Prävention der Verlagerung von CO2 – Emissionen;
•    und Instrumente zur Erhaltung und Vergrößerung der natürlichen CO2 – Senken in Europa.

Um den Übergang zu unterstützen, beabsichtigt die EU, sowohl finanzielle Unterstützung als auch technische Hilfe zu leisten. So sollen beispielsweise im Zeitraum 2021 – 2027 mindestens 100 Milliarden Euro für die am stärksten betroffenen Regionen mobilisiert werden. Am 7. Juni 2021 hat der Rat der Europäischen Union die Verordnung zur Errichtung eines Just Transition Fund angenommen, der mit 17,5 Milliarden Euro ausgestattet wird und Staaten und Regionen zugutekommen soll, die durch die Umsetzung des Grünen Deals aufgrund ihrer bisherigen Wirtschaftsstruktur große sozioökonomische Folgen zu befürchten haben. Die Mittel sollen u. a. kleine und mittlere Unternehmen (KMU), Start-up-Unternehmen, die Gründung neuer Unternehmen sowie Menschen bei der Arbeitssuche und der Anpassung an neue Beschäftigungsmodelle sowie bei der sozialen Inklusion unterstutzen.

Die EU-Taxonomie-Verordnung

Die am 12. Juli 2020 in Kraft getretene Verordnung (EU) 2020/852 Taxonomie-Verordnung (EU-Taxonomie-Verordnung) ist ein Eckpfeiler sowohl des EU-Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum als auch des Grünen Deals.

Die EU-Taxonomie-Verordnung sieht ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten vor. Sie bedarf keiner Umsetzung mehr durch nationales Recht und definiert, wann eine wirtschaftliche Tätigkeit und damit auch eine Investition in diese Tätigkeit als „ökologisch nachhaltig“ gilt. Zudem bildet die EU-Taxonomie-Verordnung die Grundlage für standardisierte technische Screening- und Offenlegungspflichten.

Der EU-Taxonomie-Verordnung verfolgt die Forderung von Wirtschaftstätigkeiten, die einen positiven Beitrag zu mindestens einem der folgenden sechs Umweltziele leisten:

1.    Eindämmung des Klimawandels;
2.    Anpassung an den Klimawandel;
3.    Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen;
4.    Übergang zur Kreislaufwirtschaft;
5.    Prävention und Kontrolle der Umweltverschmutzung;
6.    und Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen.

Investitionen gelten als ökologisch nachhaltig bzw. „taxonomiekonform“, wenn sie

a.    wesentlich zu einem der sechs Nachhaltigkeitsziele beitragen;
b.    keinem anderen Ziel erheblich schaden („Do Not Significantly Harm“-Kriterium);
c.    gewisse soziale Mindeststandards („Minimum Social Safeguard“-Kriterium,
d.    z. B. zum Schutz von Menschen- und Arbeitnehmerrechten) einhalten; und
e.    den technischen Prüfkriterien entsprechen.

Die genannten vier Kriterien sind jeweils kumulativ zu erfüllen.

Neben Aktivitäten, die bereits jetzt schon einen wesentlichen Beitrag zu einem Umweltziel leisten, werden von der Taxonomie-Verordnung auch Übergangsaktivitäten (d. h. Tätigkeiten, für die es noch keine kohlenstoffarme Alternative gibt, die jedoch den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft unterstützen) und ermöglichende Tätigkeiten
(d. h. Aktivitäten, die eine der beiden vorgenannten Aktivitäten ermöglichen) erfasst.

Fraglos: es gibt viel zu tun für Unternehmen, die sich künftig taxonomiekonform verhalten wollen und müssen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von PwC
Erstveröffentlichung: Immobilien Manager online, März 2022

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