05.09.2018

Die Verkürzung der Zeit

Ein Blick in die Zukunft eines Immobilienverantwortlichen

Daniel Tochtermann, Head of Real Estate, CREDIT SUISSE GROUP AG
Daniel Tochtermann

Der Dax hat gestern bei knapp über 29000 geschlossen. Das erste Mal in der Geschichte übrigens. Gut gelaunt bin ich daher um 08.30 in einem Büro in der Frankfurter Innenstadt angekommen. Ich wurde direkt vor den Eingang im 30. Geschoss gefahren. Sehr bequem alles, smart, automatisch und schnell.

Letztes Wochenende hatte ich amüsiert eine Episode auf dem „HistoryTube“ über die Geschichte des Automobils gesehen - üble Sache. Die Menschheit ist mehr als hundert Jahre lang selbst Autos gefahren und hat jedes Jahr tausende Tote verursacht. Kein Wunder, muss kompliziert gewesen sein, mit Kupplung und so. Und dann die Staus und der Kampf gegen die anderen Autofahrer, rücksichtslos. Für einen Arbeitsweg von 20 km in die Innenstadt brauchte man manchmal mehr als eine Stunde!

Das flexible Büro
Heute habe ich ein Abo bei BWM, einem luxuriösen autonomen Fahrdienst. Jederzeit und überall verfügbar, inklusive Steuern, Abgaben, Versicherung. Und pünktlich natürlich. Ich bin so in 20 Minuten in der Innenstadt, habe schon zwei 3D Hologramm-Besprechungen erledigt, das Morgenbriefing erhalten und alle Anfragen mit meinem „Virtual Personal Assistant, VPA“ besprochen und abarbeiten lassen, wenn ich ankomme. Alles kann „instant“ erledigt werden. Da brennt nichts mehr an. Du bist eins mit dem Fluss der Zeit. Der Verkehr ist digital gesteuert. Nachteil: Die Steuerbehörden definieren den Arbeitsweg jetzt als mobiles Büro, dessen Kosten nun nicht mehr absetzungsfähig sind. Aber es ist sowieso eine Ausnahme, dass ich überhaupt ins Büro komme. Der Vorgesetzte will nämlich, dass wir uns zwei Mal pro Monat treffen und, dass die Abteilung einen Tag gemeinsam in einem Büro verbringt mit Lunch und „Afterwork Drinks“. Irgendwie ist dies noch ein Überbleibsel der alten Arbeitswelt. Der Chef ist da noch etwas altmodisch. Also mieten wir ein Büro alle zwei Wochen. Spannend ist, dass wir dies immer an anderen Orten mieten.

Um 08.45 habe ich eine Besprechung mit meinem Portfoliomanager. Ich bin Leiter Real Estate bei einem der grossen Versorgungswerke. Auf dem Arbeitsweg habe ich gesehen, dass sich die Preise für „over night funding rates“, also der aktuelle Geldmarktbenchmark; erhöht haben, was sich sofort auf den Immobilienmarkt auswirkt. Als Alarm im mobilen virtuellen Head-up-Display aufgepoppt. Leider hat sich dadurch unser Liegenschaftsportfolio leicht abgewertet - in Echtzeit natürlich. 21 Basispunkte sind jetzt nicht die Welt, aber der Finanzchef möchte von mir meine Einschätzung wissen. Die Auswertung der Zinsänderungen auf die Immobilien kann jeder im Team umgehend auch auf sein virtuelles Head-up-Display rufen: 5% Verlust auf das Eigenkapital. Wir sind mit 20% LTV zum Glück konservativ finanziert. Das mildert die Volatilität zumindest ein wenig. Normalerweise würde ich jetzt per Hologramm die Informationen mit meinem Chef mündlich austauschen, aber wenn wir schon alle in einem Gebäude sind, will er dies mit mir persönlich besprechen. „Old fashion“ eben. Die elektronische und virtuelle Kommunikation ist super, hat aber einen Nachteil: Alles wird aufgezeichnet. Das verlangt manchmal sehr viel ab.

Informationen non-stop
Wir haben die totale Vernetzung aller Daten: zur Erstellung und Konstruktion, über die Vermietung, die Betriebs- und Unterhaltskosten, Capex, Rendite und Performance. Die Positionierung jeder einzelnen Liegenschaft ist sofort ersichtlich. Selbstverständlich ist alles auch verknüpft mit den Einzelheiten der Finanzierung, Steuern und aktuellsten Marktdaten. Die automatisierten Assistenz- und Auswertungssysteme mit Simulationen und Risikosystemen jeglicher Art über den ganzen Lebenszyklus hinweg erleichtern die Arbeit enorm.

Dem stehen die verfügbaren Sustainability-Kennzahlen über Wasser, Abfall, Energie und Raumklima in nichts nach. Selbstredend sind die meisten Bauten kleine, in der Regel auch begrünte „Kraftwerke“, die mehr Energie produzieren als verbrauchen. Für das Management der Immobilien, der Portfoliosteuerung und für die Nachhaltigkeitsstrategie steht ganz selbstverständlich ein ausgeklügeltes Kennzahlen-„Nirvana“ sofort zur Verfügung. Neben Architekten, Ingenieuren und Kaufleuten arbeiten heute daher auch Mathematiker, Statistiker und Programmierer im Immobilienbereich.

Letzte Woche sind über EUR 100 Millionen Gelder für Immobilienanlagen über die Sparpläne eingegangen, die umgehend angelegt werden müssen. Damit werde ich die direkten Immobilienanlagen aufstocken. Ich muss zugeben, die Entwicklung des Immobilienhandels, insbesondere von gewerblichen Anlageobjekten über die Blockchain-Technologie hat sehr lange gedauert. Aber nun ist sie verfügbar.

Nun treffe ich mich mit meinem Akquisitionsspezialisten in der Lounge und bespreche mit ihm die Analysen zur Weiterentwicklung und Optimierung des Portfolios. Ich bin an längerfristigen Cash-Flows interessiert und möchte meinen Anteil an Produktions-, Logistik- und modernen Lagerbauten und Datencentern erhöhen.
BWM baut gerade sein Netz an mittelgrossen Service-Stellen für Ihre Flotte im Osten Deutschlands aus und verkauft diese im Sale-and-Leaseback-Verfahren an interessierte institutionelle Investoren. Fahrzeuge, die gerade nicht im Einsatz sind, werden dort geparkt, aufgeladen und gewartet. Im Gegensatz zu den heute nur noch temporären Büromieten bieten diese Servicestellen noch mindestens 5 Jahre sichere Einnahmen, jedoch mit deutlich geringeren Renditen. Solche Servicestellen sind nicht komplex, die Datenräume mittels PropTech-Tools schnell analysiert, und die ganze Transaktion kann innerhalb von 1-2 Wochen rein elektronisch über die Bühne gehen.

Analysen von morgen
Der Akquisitionsspezialist und ich haben uns viel Zeit beim Screening aller Angebote der verschiedenen Akquisitionsplattformen genommen, hunderte davon mit dem aus der Portfolioanalyse hervorgegangenen Anlageprofil elektronisch nach dem besten „Match“ abgeglichen und den Prognosedaten der Märkte gegenübergestellt. Die dafür eigentlich vorhanden Assistenten haben wir ausgeschaltet und wollten selbst in die Details gehen. Nach dieser „Tour d’Horizon“ sind wir am Ende jedoch wieder auf die Ursprungsidee mit den neuen BWM Servicestellen zurückgekommen und haben noch am selben Abend zwei à EUR 30 Mio. exklusiv gesichert. Die elektronische Due Diligence starten wir dann morgen. Das Wichtigste ist sicherlich die quantitative Beurteilung des Standortes hinsichtlich des Verkehrs.

16.15: Mein VPA wusste, wann wir ein Verkehrsmittel benötigen. Unser heutiger BWM wartete bereits vor dem Eingang unseres heutigen Bürogebäudes und begrüsste mich und meinen Akquisitionsspezialisten mit meiner Lieblingsmusik. Sehr entspannend. Zum „socializen“ beim „Afterwork Drinks“ hat der Chef wieder für die ganze Abteilung reserviert. Altmodisch und unnötig hin oder her, ich muss sagen, dass ich die Leute dennoch sehr gerne mal auch persönlich treffe.
So könnte ein Arbeitstag eines Immobilienverantwortlichen in der Zukunft aussehen. Kurze bequeme Arbeitswege, schnelle Verfügbarkeit von Informationen, sophistizierte Analysetools und die Möglichkeit, Strategien sehr schnell zu verwirklichen. Selbst Bauprojekte können heute halbautomatisiert deutlich schneller realisiert werden.

Schöne, neue digitale Welt?
Technisch ist das meiste davon bereits vorhanden und umsetzbar. Die Welt wird laufend schneller, Zeitintervalle verkürzen sich. Alles fliesst: Kommunikation, Information, Entscheidungsfindung und Umsetzung. Und du fliesst mit. Du hast aber – wenn Du im System bist - keine Möglichkeit, dich dem zu entziehen. Das erfordert volle Konzentration. Auch wird jede Kommunikation aufgezeichnet und ist wieder abrufbar. Wenig Fehlertoleranz also. Assistenten helfen natürlich, dies zu bewältigen. Du musst aber noch mehr lernen, gezielt Erholung und Sozialleben geschickt zu verbinden. Zum Glück gibt es auch hier virtuelle Assistenten, die dir solche Themen in deinen Ablauf integrieren und für dich organisieren, teilweise sogar einen Teil deiner Arbeit und Kommunikation zwischenzeitlich abnehmen können.
Es ist allerdings wenig realistisch, die zukünftige Welt so geordnet und perfekt zu erwarten. Möglicherweise wird es unterschiedliche Welten geben: moderne und stehengebliebene. Dasselbe bei den Liegenschaften: smarte und veraltete, wobei der veraltete Bestand immer noch die Mehrheit ausmachen könnte. Wir werden aufpassen müssen, dass die Welten nicht immer stärker auseinander klaffen.
Auch der Kampf des Menschen mit der Zeit wird immer auch ein Kampf um die Zeit zum Leben bleiben. Unsere Fähigkeiten der Menschen werden laufend optimiert. Die Ansprüche beruflich und privat erhöhen sich. Da muss ein „Super me“ einfach mithalten können: intellektuell, sprachlich, mathematisch und im Handling mit den neuen elektronischen Hilfsmitteln. Das Dilemma der Abwägung, wofür man die verkürzte Zeit einsetzt, bleibt bestehen. Oder man steigt ab und zu aus, wenn man es sich leisten kann.

 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Daniel Tochtermann
Erstveröffentlichung: Wüest Partner Deutschland, Festschrift zum 10-jährigen Jubiläum, März 2018

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