06.11.2018

Eine bessere Wohnungspolitik

Ideen und Vorschläge

Prof. Dr. Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanzmärkte und Immobilienmärkte, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Prof. Dr. Michael Voigtländer

Eine Familie, die sich im Jahr 2005 eine Wohnung oder ein Haus mit 100 Quadratmetern in Hamburg kaufen wollte, musste rund 205.000 Euro bezahlen. In Düsseldorf waren es damals mit knapp unter 200.000 Euro etwas weniger, in Berlin gab es die gleiche Immobilie für sogar 140.000 Euro. Zwölf Jahre später, im Jahr 2017, sieht die Welt ganz anders aus: In Hamburg müssen heute für eine vergleichbare Wohnung 380.000 Euro gezahlt werden, in Düsseldorf fast 310.000 Euro und in Berlin knapp 280.000 Euro – eine Preissteigerung von 100 Prozent im Fall von Berlin. Und auch die Umlandgemeinden der großen Städte sind längst nicht mehr günstig. Bundesweit liegt der Durchschnittspreis über alle Wohnimmobilien hinweg mittlerweile bei 250.000 Euro. Wie Daten von F+B belegen, einem Unternehmen, das Daten aus Immobilienportalen auswertet, sind die Preise deutschlandweit zwischen 2012 und 2017 in vielen Kreisen um 25 Prozent, teilweise sogar um mehr als 45 Prozent gestiegen. Und auch was die Mieten angeht, ist die Lage nicht rosig. In Berlin beispielsweise sind die Mieten bei Neuverträgen von 5,60 Euro im Jahr 2007 auf mittlerweile über 8,20 Euro pro Quadratmeter gestiegen. Auch in München oder Hamburg sind die Mieten um 2 bis 3 Euro je Quadratmeter gestiegen.

Wie konnte es soweit kommen? Man könnte sagen, Wohnungssuchende sind Opfer des wirtschaftlichen Erfolgs geworden. In den 2000er Jahren war Deutschland noch der „kranke Mann Europas“, die Arbeitslosigkeit war hoch, das Wirtschaftswachstum moderat und vor allem die Zuwanderung gering. In den 2000er Jahren wurde sehr intensiv über die demografischen Perspektiven Deutschlands diskutiert. Auch in Großstädten rechnete man kaum mit weiteren Einwohnerzuwächsen.

Doch die Prognosen sollten sich nicht erfüllen. Die deutsche Ökonomie begann wieder stärker zu wachsen, wozu auch einige mutige Reformen gerade der rot-grünen Bundesregierung Anfang der 2000er Jahre beitrugen. Die deutsche Volkswirtschaft war sogar robust genug, um die Finanzkrise schnell zu überwinden. Deutschland erwies sich in dieser Zeit als besonders stabil, was das Land attraktiv für Zuwanderer machte. Und vor allem hatten auch die deutschen Unternehmen einen großen Fachkräftebedarf. So kamen immer mehr gut ausgebildete Fachkräfte aus Osteuropa, aus Südeuropa und aus aller Herren Länder nach Deutschland. Allein zwischen 2011 und 2015 betrug die Nettozuwanderung über 2,8 Millionen Menschen. Flüchtlinge spielen hierbei übrigens nur eine untergeordnete Rolle, und auch im Jahr 2015 stellen Schutzsuchende nur rund die Hälfte der gesamten Zuwanderung. Geht man von zwei Personen pro Haushalt aus, resultiert allein aus der internationalen Migration eine zusätzliche Wohnungsnachfrage von 1,4 Millionen Wohnungen – dies entspricht ungefähr dem Fünffachen der normalen Wohnungsbauaktivität.

Angesichts von rund zwei Millionen leerstehenden Wohnungen scheinbar kein großes Problem, doch die Zuwanderung konzentriert sich auf die Großstädte und einige größere Universitätsstädte. Dorthin zieht es nicht nur die internationalen Fachkräfte, sondern auch junge Menschen aus ländlichen Regionen oder strukturschwachen Räumen. Sie alle suchen in den Großstädten und Universitätsstädten gut bezahlte Arbeitsplätze oder wollen dort ein Studium aufnehmen.

Die Städte haben auf diese Entwicklung kaum reagiert. Spätestens als die ersten doppelten Jahrgänge aufgrund verkürzter Schulzeiten in die Städte zum Studieren drangen, hätte man Konzepte für ein schnelles Wachstum der Städte entwickeln müssen. Die große Zahl an Flüchtlingen schließlich hat den eklatanten Mangel an Wohnraum in den Ballungsräumen endgültig offengelegt. Auch heute reichen die Fertigungszahlen nicht aus, um den Markt zu entspannen. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) braucht Berlin rund 30.000 Wohnungen pro Jahr, aber 2016 wurden nur knapp 11.000 Wohnungen gebaut. In München bedarf es rund 15.000 Wohnungen, gebaut wird nicht einmal die Hälfte (Abbildung 1).

Abbildung: Jährlicher Baubedarf und tatsächliche Fertigstellungen in Metropolen

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Quellen: Statistisches Bundesamt, IW

Das Grundproblem besteht in der Ausweisung neuer Bauflächen. Es gibt genügend Investoren, die neue Wohnungen bauen möchten, doch sie finden keine geeigneten Grundstücke. Hier sind die Städte gefordert, aber auch die Gesellschaft. Der Widerstand gegen Neubauvorhaben ist groß, viele fürchten den zusätzlichen Verkehr, den zusätzlichen Lärm und möglicherweise auch die Auswirkungen auf die eigene Immobilie oder aber die Zusammensetzung der Bevölkerung. Darüber hinaus stehen sich umweltpolitische Ziele und die Stadtentwicklung teilweise konträr gegenüber. Viele Bauvorhaben auf der grünen Wiese werden aus Artenschutzgründen oder aufgrund der damit verbundenen Flächenversiegelung bekämpft. Doch der Gesellschaft muss klar sein: Ohne eine deutliche Steigerung des Wohnungsbaus in den Ballungsräumen lässt sich die Preisentwicklung nicht korrigieren, werden die Mieten immer weiter steigen – so wie in London oder Paris. Es bedarf daher eines klaren Bekenntnisses zum Stadtwachstum, so wie es kürzlich die niederländische Bauministerin geäußert hat. Kajsa Ollegren hat in einem Interview den klaren Auftrag an die Großstädte gegeben, auch wieder auf der grünen Wiese zu bauen. Dafür sollen Regeln des Umweltschutzes neu gesetzt werden. Tatsächlich lassen sich auch Stadtwachstum und Umweltziele gemeinsam erreichen, denn viele Ziele, wie beispielsweise die Artenvielfalt, die Versiegelung und allgemein die Emissionen, sind ortungebunden. Wenn in den Städten mehr gebaut wird, könnten ländliche Regionen stärker in ihrem umweltpolitischen Engagement unterstützt werden.

Darüber hinaus bedarf es einer besseren Vernetzung der Städte und des weiteren Umlands. Die Metropolen werden immer stärker die wirtschaftliche Aktivität prägen, womit dort auch die meisten Arbeitsplätze entstehen. Das Umland und auch weiter entfernte Orte können aber dennoch als Wohnstandort attraktiv sein, wenn sie besser an die Metropolen angebunden werden. Die Erfahrungen zeigen: Alle Orte, die durch Regionalzüge oder ICEs an die Metropolen angebunden sind, gewinnen an Bevölkerung. Natürlich können die Menschen quasi von überall mit dem Auto pendeln, aber aufgrund von Staus ist dies kaum attraktiv. Hinzu kommt, dass mehr und mehr Menschen die Zeit im Auto als verloren ansehen. Anders als im Zug oder Bus kann man die Zeit eben nicht mit lesen, ausruhen, arbeiten oder chatten verbringen. Der Ausbau des ÖPNV ist jedoch vielerorts unbefriedigend. Es wäre geboten, die gute Konjunktur und die niedrigen Zinsen für den groß angelegten Ausbau des ÖPNV zu verwenden. Gelingt die bessere Verzahnung von Metropolen und peripheren Regionen, könnten die Metropolen entlastet werden und auf der anderen Seite mehr Regionen eine bessere Perspektive erhalten.

Die bessere Anbindung allein reicht jedoch nicht. Damit mehr Regionen als Wohnstandort punkten können, müssen auch der Breitbandausbau vorangebracht und die öffentliche Infrastruktur verbessert werden. Derzeit fühlen sich viel zu viele Regionen abgehängt und es ist eine große gesellschaftliche Aufgabe dafür zu sorgen, dass die vom Grundgesetz postulierte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch wieder in diesem Sinne wahrgenommen wird.

Der Aufbau neuer Stadtviertel, der Ausbau des Personenverkehrs und die Stärkung der Regionen, all dies sind große gesellschaftliche Herausforderungen, für die möglichst bald die entsprechenden Weichen gestellt werden müssen – gerade solange der Staat finanziell große Spielräume hat. Doch all dies sind langfristige Aufgaben, die keine kurzfristigen Erfolge versprechen. Der Wohnungsmangel ist jedoch akut, was kann also getan werden?

Tatsächlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die auch kurzfristig helfen können. Zu nennen ist hier zum Beispiel das Wohngeld. Das Wohngeld ist eine fast vergessene Sozialleistung; doch es dient gerade dazu, bei Haushalten über der Grundsicherung sicherzustellen, dass die Wohnkostenbelastung nicht zu stark steigt. Die Transfers sind gerade so bemessen, dass die Wohnkostenbelastung nicht über 30 Prozent des Einkommens steigt. Anders als der soziale Wohnungsbau, bei dem Probleme der Fehlbelegung allgegenwärtig sind, ist das Wohngeld streng einkommensabhängig und wird nur solange gezahlt, wie das Einkommen die festgesetzten Grenzen nicht übersteigt. Außerdem gibt es, ebenfalls anders als beim sozialen Wohnungsbau, einen Rechtsanspruch auf die Leistungen. Das Wohngeld hat jedoch einen ganz entscheidenden Konstruktionsfehler – es wird zu selten angepasst. In der Vergangenheit wurden die Leistungen nur alle sieben Jahre verbessert, was zur Folge hat, das immer mehr Menschen aus der Förderung herausfallen. Wenn das Wohngeld nicht an die Einkommens- und Mietentwicklung angepasst wird, entwerten sich die Leistungen und Menschen verlieren ihren Anspruch, obwohl sich ihre Lage nicht wirklich verbessert hat. Ebenso wie die Grundsicherung sollte auch das Wohngeld jährlich angepasst, also dynamisiert werden. Es ist bedauerlich, dass diese nachvollziehbare Forderung einzig von den Grünen im Wahlkampf vertreten wurde, im Koalitionsvertrag der Bundesregierung findet sich hierzu hingegen keine Vereinbarung.

Des Weiteren gibt es große Potenziale im Bestand. Die Potenziale des Ausbaus von bestehenden Gebäuden sind in den letzten Jahren mehrfach analysiert worden. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Regionen mit angespannten Märkten 580.000 Mehrfamilienhäuser aufgestockt werden könnten, wodurch 1,1 Millionen zusätzliche Wohnungen entstehen können – also genug, um den Fehlbedarf der letzten Jahre auszugleichen. Die Potenziale sind damit groß, und der Ausbau bestehender Gebäude bietet weitere Vorteile. So ist für die Schaffung dieser Wohnungen kein neues Bauland notwendig und im Wesentlichen auch keine neue Infrastruktur. Dennoch werden die Potenziale kaum genutzt.

Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen. Oftmals ist es schwierig, Baugenehmigungen zu erhalten, da es sich bei Aufstockungen um komplexere Bauvorhaben handelt. Insbesondere der Brandschutz erweist sich hier als Hemmschuh. Hinzu kommen aber weitere Auflagen, die die Aufstockungen deutlich verteuern. Hierzu gehören die Stellplatzpflicht, also die Auflage der Bereitstellung zusätzlicher Parkplätze, die Einhaltung von energetischen Standards wie im Neubau, der Wegfall des Bestandsschutzes für das Gesamtgebäude oder aber die Pflicht zum Einbau von Aufzügen. All dies kann die Kosten so stark erhöhen, dass sich der Bau nicht lohnt.

Angesichts der Notwendigkeit der Schaffung neuer Wohnungen in den Städten müssen die Rahmenbedingungen für den Dachausbau verbessert werden. Eine ganz entscheidende Maßnahme bestünde darin, Dachausbauten nicht als Neubauten anzusehen, sondern als Bestandsmaßnahmen, wie dies in einigen Bundesländern auch schon umgesetzt ist. Damit würde verhindert werden, dass der Bestandsschutz für das Gebäude entfällt und im Gesamtgebäude höhere energetische Standards umgesetzt werden müssen. Selbstverständlich wäre ein Dachausbau weiter genehmigungspflichtig, aber die Hürden für die Umsetzung der Maßnahme wären dann deutlich geringer. Darüber hinaus wäre es wichtig, dass die Städte solche Maßnahmen auch politisch unterstützen und dabei helfen, mögliche Widerstände zu überwinden. Hilfreich wäre es auch, wenn die Städte gerade privaten Eigentümern auch Beratungsangebote zur Verfügung stellten.

Ein zweiter Ansatz besteht darin, den vorhandenen Wohnungsbestand besser zu nutzen. Viele Haushalte leben in Wohnungen, die sie nicht vollumfänglich nutzen. Ein typisches Beispiel sind beispielsweise Rentner, die alleinstehend oder zu zweit in großen Einfamilienhäusern leben. Dies kann selbstverständlich gewünscht sein, doch oft werden in solchen Fällen viele Räume kaum sinnvoll genutzt. Hier wäre es bedenkenswert, überflüssige Räume unterzuvermieten, oder aber Einliegerwohnungen aus ihnen zu machen. Auch dies würde die Situation im Wohnungsmarkt entspannen.

Einliegerwohnungen waren gerade in den 1960er bis 1980er Jahren ein wichtiges Instrument zur Stabilisierung des Wohnungsmarktes, das vor allem durch steuerliche Anreize unterstützt wurde. Diese Option sollte angesichts des großen Potenzials im Wohnungsbestand wieder ergriffen werden. Dabei ist zu sehen, dass dies eine Win-Win-Situation darstellt, denn die zusätzlichen Mietangebote tragen zur Entspannung des Wohnungsmarktes bei, die zusätzlichen Mieteinnahmen hingegen verbessern die Einkommen der Eigentümer und ermöglichen es vielen Haushalten damit erst, in dem bislang genutzten Haus oder der Wohnung dauerhaft zu bleiben.

Neben den selbstgenutzten Immobilien sind auch im Mietwohnungsbestand Potenziale für eine bessere Allokation vorhanden. Gerade in der aktuellen Lage gehen die Mieten bei bestehenden Verträgen und Wiedervertragsmieten auseinander, so dass Haushalte trotz zu großer Wohnungen die Wohnungen nicht wechseln. Hinzu kommen die vertraute Umgebung und die Umzugskosten, die Haushalte von einem eigentlich sinnvollen Wechsel in eine kleinere Wohnung abhalten. Nach Daten des Sozioökonomischen Panels leben knapp 1,3 Millionen Ein- und Zweipersonenhaushalte im städtischen Raum in Wohnungen, die mit vier oder fünf Räumen ausgestattet sind. Wie eine Studie der Schader-Stiftung zeigt, sind rund ein Drittel aller Haushalte mit Personen über 55 Jahren bereit, noch einmal umzuziehen, gerade auch weil sie ihre Wohnung als zu groß empfinden. Bevorzugt werden dann barrierearme Wohnungen gesucht, die bislang allerdings noch Mangelware sind. Nichtsdestotrotz können hier Umzugshilfen zusätzliche Anreize setzen, den Wohnungswechsel tatsächlich zu vollziehen.

Die Lage im Wohnungsmarkt ist insgesamt schwierig, aber mit den richtigen Instrumenten kann der Staat die Situation für Menschen in Stadt und Land verbessern. Es wird darauf ankommen, in dieser Legislaturperiode sowohl Maßnahmen zu ergreifen, die kurzfristige Entspannung versprechen, als auch den Rahmen so zu setzen, dass die Städte auch wachsen können, um den Wohnungsmangel nachhaltig zu überwinden.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.
Erstveröffentlichung: LEG Wohnungsmarktreport NRW 2018

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