21.08.2020

Einzelkämpfer haben ausgedient

Marko Broschinski, Geschäftsführer, easol GmbH
Marko Broschinski

In der analogen Wirtschaft horteten Unternehmen Wissen und schirmten es streng nach außen ab. In der digitalen Welt funktioniert dieser Ansatz nicht mehr. Die gestiegene Komplexität und der schnellere Wandel sorgen dafür, dass geteiltes Wissen und Community-Ansätze gerade bei der Weiterentwicklung von Produkten die besseren Lösungen liefern. Wie können solche Ansätze in der Praxis aussehen und wo liegen die Vorteile?

Wissensvorsprung bringt in vielen Bereichen erhebliche Marktvorteile – beispielsweise, wenn ein Unternehmen die Rezeptur für eine bestimmte Arznei oder einen eine schützenswerte Erfindung besitzt. Der Schutz dieses Wissens ist für somit von größter Bedeutung, denn es ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil bzw. ein USP (Unique Selling Point). Dies gilt in vielerlei Hinsicht sicherlich auch für individuelle Softwarelösungen, die Firmen häufig mit sehr großem Aufwand entwickeln lassen und selbst prozessual steuern. In vielen Branchen und Bereichen zählen digitale Lösungen allerdings keinesfalls zu den USPs einzelner Unternehmen, sondern sind schlichtweg notwendig, um die Vielzahl vorhandener Daten richtig zu managen und für unternehmerische Entscheidungen und Berichte jederzeit an jedem Ort verfügbar zu halten. Aus diesem Grund hat sich der Gedanke der Sharing Economy entwickelt, in der geteiltes Wissen mehr Wert ist als die Konzentration von Know-how bei jedem Marktplayer allein.

Gerade beim Thema Weiterentwicklung, Anpassung und der Umsetzung neuer Ideen setzen viele Unternehmen mittlerweile auf das Wissen und den Beitrag ihrer Kunden beziehungsweise ihrer User-Community. Anschauliche und bekannte Beispiele sind die Online-Enzyklopädie Wikipedia oder das freie Office-Paket Open Office. Viele Privatpersonen tragen hier ihr Wissen bei, um das Lexikon immer besser zu machen bzw. Open Office immer weiter zu entwickeln. Die einzelnen User korrigieren sich gegenseitig und verbessern so die Qualität der Artikel sowie der Software immer weiter.

Diese Idee lässt sich hervorragend auf die Digitalisierung im Immobilienbereich übertragen, wie die Praxis zeigt. Ein Beispiel dafür sind IT-Lösungen für Immobilien-Asset-Manager, die – analog zu Wikipedia – nach dem Community-Ansatz entwickelt und gemanagt werden.

Was muss eine IT-Lösung im Real Asset Investment Management können? Sie muss den gesamten Lebenszyklus der Assets und abbilden und sollte aus etablierten und miteinander gut kombinierbaren Software-Lösungen bestehen. Wichtig ist die Konfiguration und Ausprägung mit Blick auf die Anforderungen des Asset- und Fondsmanagements. SAP, bison.box oder auch iX-Haus liefern z.B. solche Lösungen. Je nach Bedarf sollten auch Produkte jüngerer Marktteilnehmer aus dem PropTech-Umfeld berücksichtigt werden.

Community-Ansatz versus Make versus Buy
Die IT-Lösungen können auf unterschiedliche Weise gemanagt werden. Eine mögliche Lösung ist das Community-Prinzip – auch „shared“ Lösung genannt. Die Community ist die Gemeinschaft der User, die die IT-Lösung täglich nutzen. Entwickelt ein Anwender die Lösung an einer bestimmten Stelle weiter, können auch alle übrigen Kunden die Verbesserung sofort verwenden. Auf diese Weise werden aus Neuerungen und Verbesserungen Standards für alle Nutzer. Jeder Anwender hat die Möglichkeit, Ideen einzubringen. Unterm Strich wird so die Standardisierung im Management von Real Assets vorangetrieben und damit die Grundlage für effiziente, digitale Geschäftsprozesse in einer arbeitsteiligen Branche gelegt.

Was sind die Alternativen zum Community-Ansatz? Die erste Alternative wäre das „Make“. Das bedeutet, ein Immobilien-Asset-Manager entwickelt seine digitale Infrastruktur in Eigenregie mit eigener Programmierung, eigener IT und eigener Software-Lösung. Der Vorteil: Der Manager kann seine eigenen, ganz individuellen Vorstellungen verwirklichen. Der große Nachteil dagegen ist, dass der Aufwand und die Kosten für ein einzelnes Unternehmen sehr hoch sind.
Eine weitere, alternative Möglichkeit ist der „buy“-Ansatz, also der Kauf einer fertigen Software-Lösung. Diese muss dann durch die nutzende Firma individuell angepasst (Customizing) und an die eigenen Ansprüche adaptiert werden.

Community Ansatz schafft bessere Lösungen und ist effizienter
Trotz der Alternativen sind die Vorteile des Community-Modells überzeugend: Der erste große Vorteil ist, dass es erfahrungsgemäß fachlich bessere Lösungen generiert. Der Grund: Da verschiedene Nutzer der IT-Lösung mit unterschiedlichen Perspektiven an der Lösung einer Frage arbeiten, wird in der Regel bereits im Vorfeld einer Investition eine tragbare und allseits akzeptierte Lösung gefunden. Anders ausgedrückt: Eine Gruppe von Nutzern ist klüger als ein einzelner.
Der zweite große Vorteil des Community-Modells ist, dass es günstiger und effizienter ist. Dies zeigt sich insbesondere bei neuen regulatorischen Vorgaben. Diese müssen durch die Community nur einmal umgesetzt werden. Sobald dies geschehen ist, können alle Nutzer die neue regulatorische Vorgabe erfüllen und müssen nicht jeweils aufwändig eine eigene Lösung implementieren.

Die Kostenvorteile zeigen sich ebenfalls beim Thema Beschaffung: Die Community bildet eine Einkaufsgemeinschaft, die Software-Lizenzen und Dienstleistungen von den Anbietern in großer Menge erwirbt. Es liegt auf der Hand, dass sich hierbei Größenvorteile beim Preis erzielen lassen.

Der dritte Vorteil der Community ist, dass diese sich fachlich zunehmend breit aufstellt. Das bedeutet, dass die IT-Lösung immer größere Bereiche abdeckt, als die, die ein einzelner User selbst gegenwärtig nutzt. Dazu ein Beispiel: Auch wenn ein Asset Manager gegenwärtig nur Büroimmobilien im Bestand hat, ist eine Community-basierte IT-Lösung dennoch in der Lage, Wohn- oder Handelsimmobilien abzubilden. Wenn der Büroimmobilien-Manager in eine neue Nutzungsart einsteigen möchte, ist IT-seitig bereits alles vorhanden. Änderungen oder Neuausrichtungen von Strategien werden auf diese Weise durch die IT nicht mehr verlangsamt.

Größte Nachteile: keine individuellen Lösungen und längere Abstimmungsprozesse
Neben diesen Vorteilen haben IT-Lösungen, die nach dem Community-Gedanken gemanagt werden, auch einige Nachteile. Am häufigsten wird kritisiert, dass individuelle Lösungen für einzelne Nutzer nicht mehr – oder nur eingeschränkt – möglich sind. Für Unternehmen und User ist es daher wichtig, ihre Haltung kritisch zu überprüfen und den verbreiteten Wunsch nach größtmöglicher Individualität zugunsten zukunftsfähiger, effizienter Lösungen aufzugeben.
Teilweise nimmt auch die Geschwindigkeit bei Anpassungen ab. Dies liegt einerseits daran, dass Abstimmungsprozesse – in Abhängigkeit von der Größe der Community – generell länger dauern können.
Abschließend sollen einige Beispiele veranschaulichen, wie Verbesserungen durch die Community konkret aussehen können und wie alle User von den Neuerungen profitieren.

Erweiterung nutzungsfähiger Kennzahlen
Ein erstes Beispiel kommt aus dem Bereich Nischenimmobilien und deren spezifischen Kennzahlen: Ein Nutzer der IT-Lösung hat Pflegeimmobilien im Bestand. Für die Bewertung dieser Immobilien sind spezielle Parameter notwendig – beispielsweise die Zahl der Betten und andere Kennzahlen, die im Gesundheitssystem eine wichtige Rolle spielen – so genannte DRG-(Diagnosis Related Groups)-Kennzahlen. Der User bringt diese Idee in die Community ein, diese entwickelt die bestehenden Software-Produkte dahingehend weiter, dass die Zahlen abgebildet werden können. Künftig können alle User, selbst wenn sie noch nicht in ein Pflegeheim investieren, diese Weiterentwicklung nutzen und müssen die Datenfelder nicht mehr selbst implementieren.

Flexibilität bei der Buchungssystematik
Ein anderes Beispiel für Vorteile des Community-Ansatzes ist, dass infolge unterschiedlicher Anforderungen unterschiedliche Buchungssystematiken entwickelt und nebeneinander nutzbar sein können. So kann z.B. sowohl die Buchhaltung nach Handelsgesetzbuch (HGB) und als auch die Fondsbuchhaltung abgebildet werden. Beide Buchhaltungsverfahren unterscheiden sich erheblich. Immobilienunternehmen, die keine Fonds sind bzw. auflegen, bilanzieren nach HGB, Immobilienfonds müssen dagegen eine Fondsbuchhaltung durchführen. Wenn ein Unternehmen, das nach HGB bilanziert, sich später entscheidet, doch Fonds aufzulegen, dann sind die gesamten Buchhaltungssysteme der IT-Lösung bereits dafür ausgelegt. Die Nutzer gewinnen dadurch erheblich an Flexibilität, wenn sie – je nach Bedarf – die passende Bilanzierungssystematik nutzen können.

Optimierte Schnittstellenversorgung
Ein drittes Beispiel sind die üblichen Datenlieferungen an verschiedene Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVGs) mit unterschiedlichen Anforderungen an die Datenimporte. In einer Nicht-Community-Welt muss jeder Akteur, wenn er an eine neue (Service-) KVG andockt, sich mit dem jeweiligen Input-Format auseinandersetzen und in mühsamer Kleinarbeit neue Schnittstellen kostenintensiv implementieren. In einer Community-Welt wird es immer ein Mitglied geben, das die Schnittstelle zu einer KVG bereits etabliert hat. Dockt nun ein anderer User an dieselbe KVG an, kann er die im System vorhandenen Schnittstellen einfach mitnutzen und spart sich dadurch viel Implementierungsarbeit.

Ressourcenoptimierung und Zeitersparnis
Ein abschließendes Beispiel für die Vorteile des Community-Ansatzes ist die Zeitersparnis bei Änderungen von externen Vorgaben wie beispielsweise vonseiten des Regulators oder Verbänden. So hat die gif e.V. (Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e.V.) jüngst die Templates zur standardisierten Belieferung der Bewerter (VALXML) weiterentwickelt. Auch diese Neuerung wird in der Community einmal umgesetzt und getestet und ist dann für alle nutzbar.
Fazit: Die Digitalisierung wird im Immobilienbereich weiter voranschreiten. Unserer Meinung nach gibt es nur einen Weg, der zum Ziel führt: Wir sind davon überzeugt, dass die besten Lösungen von einer User-Community gefunden werden. Sind diese Lösungen einmal erprobt, eignen sie sich optimal als Standard für die Gesamtheit der User. Idealerweise werden solche Communities immer größer und erweitern sich in Zukunft auf die gesamte Branche. 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von easol
Erstveröffentlichung: The Property Post, August 2020

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