Erfolgsstrategien für den stationären Einzelhandel
Es ist schon komisch: während sich ganze Industrien mit revolutionären Veränderungen beschäftigen, sperren viele Händler immer noch jeden Morgen ihren Laden auf und warten darauf, dass der Kunde eines schönen Tages doch plötzlich zur Vernunft gekommen ist und wieder dankbar ins Regal greift, um Ware zu erwerben. Das wird nicht passieren, denn der Kunde hat längst das Interesse an der reinen Ware (und an Warenhäusern) verloren, es geht ihm vorwiegend um seinen persönlichen Nutzen, um Erleben und Spaß. Die größte virtuelle Shopping Mall der Welt betritt er über Apple und Samsung, sie hat an sieben Tagen rund um die Uhr geöffnet und befindet sich in der Jackett- oder Handtasche.
Der Handel setzt dieser bunten, kreativen und blitzschnellen Welt weder genügend Innovation entgegen noch nutzt er die möglichen Kanäle ausreichend. Wenn die Händler den Konsumenten nicht umerziehen können, dann bleibt nur die Möglichkeit, sich selbst zu ändern. Dazu muss man versuchen, den Kunden in allen Facetten zu verstehen: Der moderne Mensch surft omnipräsent durch sein Leben, hat 140 facebook Freunde und versendet am Tag 42 Whats-App Nachrichten. Kein Netz zu haben oder ein leerer Akku führen selbst bei kurzen Ausfallzeiten zu immensem Stress: So mancher Kunde ist bereit (fast) alles dafür zu geben, das „Nicht-verbunden-sein“ zu verhindern. Die Angst, etwas zu verpassen ist spürbar und messbar: Menschen laufen in Großstädten heute 20 Prozent schneller als vor 10 Jahren und essen noch dabei.
Die immense Zunahme der Singlehaushalte (plus 30 Prozent seit 2003) und die weltweit wachsende Bedeutung der Frau, die heute schon 65 Prozent der globalen Konsumausgaben verantwortet, beantworten weder Produzenten noch Händler ausreichend, sondern verfolgen oft noch eingleisig die „family brand stategy“.
Aber es geht auch anders! Die erfolgreichsten Einzelhändler weltweit setzen meist mehrere oder gar alle der sieben nachfolgend skizzierten Strategien ein:
Der Begriff der Inszenierung wurde am Theater geprägt und die Nähe zu Bühnenbildnern und Dramaturgen ist sehr logisch. Diese designen heute allerdings Erlebnisse im Shop: Fassade, Eingang und der „Welcome-Bereich“ sind aufeinander abgestimmt und die Warenwelten sind Themenwelten gewichen. Ich empfehle, einmal das Konzept der „Quantum of the Sea“ anzusehen, die im November 2014 ihren Dienst aufnehmen wird: 100 Meter über dem Meer schwebende Aussichtsgondel, Surfwelle, Kletterwand und Freiflugsimulator sind neben dem 270 Grad Musicaltheater nur einige Highlights, die den rund 4.200 Gästen an Bord die Zeit verkürzen werden. Das hat mit der ursprünglichen Aufgabe, die Schiffe über Jahrhunderte hatten wahrlich nichts mehr zu tun, außer gut gemachte Unterhaltung zu bieten. Zuwachsraten von über 12 Prozent im letzten Jahr beweisen eindrucksvoll, dass der Gast diese Art der Rundumversorgung honoriert.
Der Handel kann das nicht kopieren, aber kapieren und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Wer Kaffeekapseln mit einer Geschichte „in Szene setzt“, dem gelingt es, Kaffeepulver wie in einem Juweliergeschäft zu fast ebendiesen Preisen zu verkaufen...
Immer wenn dieses Zauberwort – auch von mir – in den vergangenen Jahren genannt wurde, hörte man, das sei ja klar. Konsequent umgesetzt haben es dennoch nicht viele: Einen Marktplatz modern zu interpretieren und mit all seinen Funktionen zu erleben, heißt eben, dass man neben der Ware auch Information, Unterhaltung und Identität bietet. Dabei wird die Verweilqualität zunehmend wichtiger, wozu auch ein gastronomisches Angebot passen kann. Das berühmte Kaufhaus JELMOLI in Zürich wird regelmäßig zum Erlebnishaus: Es setzt z.B. samstags zwei Barkeeper ein, die in der Herrenabteilung Cocktails mixen während bei den Damen eine fernsehbekannte Stylistin beim Shoppen hilft. Im Basement wartet ein Foodconcierge, der in allen Themen rund um Lebensmittel und Kochen (den vielen Singles) hilft. Wir sehen, es geht gar nicht so sehr um die Ware, sondern um den Menschen mit seinen Bedürfnissen. So wünsche ich mir das Einkaufen von morgen!
Die wichtigste Nachricht gleich zu Beginn: Das Internet ist weder gut noch böse – es ist wie ein unbeschriebenes Blatt Papier, was wir gleichermaßen in einen Liebesbrief oder in eine Kriegserklärung verwandeln können. Es liegt an jedem Marktteilnehmer selbst, was er daraus macht, nur „Abwarten und hoffen, dass das wieder vorbei geht“ ist falsch, denn täglich starten neue frische Konzepte an Küchentischen und in Garagen, die in wenigen Jahren den Markt beeinflussen und über die wir alle sprechen werden. Technisch sind wir längst in der Lage, alle Vertriebskanäle zu vernetzen und genau wie der Kunde blitzschnell dazwischen zu wechseln, es mangelt aber sehr oft an der richtigen Umsetzung. Click-and-collect wird eine wichtige Rolle spielen, die den Kunden zur Abholung der Ware in den Laden bringt – die Chance für Zusatzverkäufe!
Ja, zugegeben: Wir alle zögern, etwas kaputt zu machen und wollen bekannte Dinge gerne bewahren. Ganze Berufsgruppen und Branchen sind untergegangen, weil neue Entwicklungen sie zerstört haben. Wer kennt heute noch den Beruf der Stenotypistin? Vor 100 Jahren waren in vielen Teilen der Erde die Menschen über 50 Prozent Farmer bzw. in der Landwirtschaft tätig, heute sind es zum Teil weniger als 2 Prozent. Der nächste gefährdete Beruf könnte gemäß Professor Khoshnevis von der Universität South California der des Bauarbeiters sein, denn das Haus aus dem 3D-Drucker ist längst Wirklichkeit und kann binnen 20 Stunden und mit 75 Prozent Kostenersparnis erstellt werden. Mir gefällt das Bild, etwas loszulassen statt es zu zerstören besser, denn mit freien Händen kann man besser etwas Neues erschaffen, als wenn man Altes fest umklammert. Dort wo gestern noch Schlecker war, zieht morgen wahrscheinlich MyMüsli, Google oder Zalando ein.
Täglich sehen wir beim Blick in die Tageszeitung, dass sich bislang recht fremde Industrien miteinander verbinden: Ray Ban wird Google Glasses designen. Nike hat mit Apple einen chip für Laufschuhe entwickelt. Gucci designt den Fiat 500 und Prada kauft in Mailand einen alteingesessenen Pralinenladen. Marc Zuckerberg schluckt Whats- App und Google bastelt mit BMW am selbstfahrenden Auto. Nestlé stellt einen Stammzellenforscher als einen der Top Manager ein. Die CEO von Burberry wechselt zu Apple. Vor 10 Jahren hätten wir bei jeder einzelnen Meldung behauptet, das sei Unsinn und widerspreche dem Grundsatz „Schuster bleib bei Deinen Leisten“. Vielleicht geht es vielen Schustern bzw. Schuhhändlern heute nicht gut, weil sie zu sehr an diesem falschen Leitsatz festgehalten haben. Ich beauftrage regelmäßig die Zuhörer meiner Vorträge, binnen 14 Tagen mit einem völlig branchenfremden Menschen zum Lunch zu gehen und gemeinsam nach Schnittmengen zu suchen. Die Ergebnisse, die bei mir zurückkommen, sind kraftvoll und inspirierend. Probieren Sie es aus!
Wenn der Händler nach dem „3rd place“ Gedanken möchte, dass der Kunde möglichst oft zu ihm kommt, dann müssen sie Freunde werden. Starbucks, Apple, Hollister zelebrieren es förmlich, dass aus Kunden Fans und Freunde werden: Fans folgen, Kunden muss man gewinnen. Fans verzeihen, Kunden reklamieren. 7. Story, Story, Story Schreiben Sie ein Drehbuch rund um Ihre Produkte, Menschen jeden Alters lieben Geschichten. Haben Sie mal die Kochsendung von Jamie Oliver gesehen? Er bekommt immer kurzfristigen Besuch, kocht für hungrige Kollegen oder erzählt eine Geschichte, wo alle bester Laune sind. So bekommt man Lust, Dinge auszuprobieren. Was ist die Geschichte rund um Ihr Shopping Center? Sind Sie damit im Guiness Buch der Rekorde? Kunden lieben Rekordversuche. Das Größte, Schnellste, Teuerste, Älteste oder Einzige ist immer für eine Geschichte gut. Ich kann drei Center mit vier Weltrekordeinträgen vorweisen, jeder davon hat vor Ort zu einer riesigen Frequenzerhöhung gesorgt und die Center nachhaltig bekannter gemacht.
Ich widerspreche ausdrücklich, dass wir bald nur noch online kaufen. Dafür macht es viel zu viel Spaß, mit allen Sinnen in den tollen Städten Deutschlands einzukaufen. Ich bin aber überzeugt, dass Händler und Handelsimmobilien, die an alten Erfolgsmustern festhalten und die Innovationsfreude des Kunden nicht teilen, rasch Probleme bekommen. Bitte erinnern Sie sich: Der Kunde will überrascht werden, er will entdecken und ausprobieren, er will gerne, dass man mit ihm spielt und ihn verführt. Wer dieses Ritual beherrscht und die sieben Strategien ausprobiert, hat alle Chancen, auch in Zukunft stationär zu den Gewinnern zu gehören.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2013/2014