23.02.2015

Neues Leben statt Lücken

Konversion: eine Chance für nachhaltige Stadtentwicklung

Prof. Thomas Dilger, Geschäftsführer, Nassauische Heimstätte Wohnungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH
Prof. Thomas Dilger

Großstädte erleben eine Renaissance. Hohe Mobilitätskosten, der Wunsch nach kurzen Wegen oder kulturellen Angeboten: Menschen aus allen Bevölkerungsschichten zieht es in Ballungszentren, um dort zu arbeiten und zu leben. Doch angesichts begrenzter Flächen stellt diese Re-Urbanisierung gerade Ballungsräume vor große Herausforderungen: Frei werdende, zentrumsnahe Flächen mit vorheriger militärischer oder industrieller Nutzung bieten Chancen zur Nachverdichtung im Sinne nachhaltiger Stadtentwicklung.

Eine ehemalige Kaserne oder Housing Area, eine nicht mehr genutzte Hafen oder Bahnanlage oder ein aufgegebener Industriestandort: Wo zuvor eine große städtebauliche Lücke klaffte, kann mit dem passenden Nutzungskonzept lebendige Vielfalt entstehen. Die Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte/Wohnstadt verfügt über eine langjährige und umfangreiche Expertise im Bereich Konversion. 2006 wurden die Entwicklungsaufgaben der Unternehmensgruppe in der Marke NH ProjektStadt zusammengefasst. Einige herausragende Projekte aus der Vergangenheit, aber auch aus dem aktuellen Tagesgeschäft, mögen im Folgenden den Umgang mit den unterschiedlichsten Konversionsflächen verdeutlichen.

Frei werdende US-Flächen in Heidelberg: ein gesamtstädtisches Thema

Aktuellstes Beispiel einer umfassenden Konversion ist Heidelberg: Bis zum Jahr 2015 werden dort durch den Abzug der US-Streitkräfte fast 200 Hektar Flächen und Immobilien frei – dies entspricht der Größe von 270 Fußballfeldern. Dadurch ergeben sich vielfältige Chancen und Herausforderungen für die gesamtstädtische Entwicklung der historischen Universitätsstadt an der Mündung des Neckars. Nach Beauftragung durch die Stadt Heidelberg im April 2012 erfolgen nun die Projektsteuerung und die Durchführung der Vorbereitenden Untersuchungen nach Baugesetzbuch auf den US-Flächen. Damit soll frühzeitig und nachhaltig der Konversionsprozess für die fünf – überwiegend noch bis 2015 genutzten – Flächen eingeleitet werden. Unter Einbeziehung der Bürgerschaft und lokaler Akteure werden derzeit erste Planungen für die einzelnen Standorte erarbeitet. Diese Ansätze werden anschließend zu einem integrierten Gesamtkonzept zusammengeführt, orientiert an den bereits von einem Entwicklungsbeirat formulierten Leitlinien.

Kassel: früher Kaserne – heute urbaner Stadtteil

In nur acht Jahren ist in Kassel auf einem ehemaligen Gelände der Hindenburg- und Wittich-Kaserne der neue Stadtteil Marbachshöhe entstanden. Im Jahre 1994 wurde die 37 Hektar große Fläche von der Bundeswehr aufgegeben. Das städtebaulich attraktive Gelände stand für eine zivile Nachnutzung zur Verfügung mit dem Ziel, aus dem Standort einen integrierten und gemischt genutzten Stadtteil werden zu lassen. Neben einer intensiven Bestandsaufnahme galt es auch, die Masterplanung und die gesamte Projektsteuerung in die Wege zu leiten und zu verantworten. Die erzielten Ergebnisse wurden Grundlage der Bebauungspläne und eines städtebaulichen Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Stadt Kassel und der Arbeitsgemeinschaft Marbachshöhe (Wohnstadt und GWG Kassel). Diese seinerzeit völlig neuartige Zusammenarbeit einer Kommune mit dem Bund als Grundstückseigentümer fand unter dem Begriff „Kasseler Modell“ breite Beachtung. Für Ordnungs- und Erschließungsmaßnahmen dieses Projekts wurden rund 12,5 Millionen Euro eingesetzt. Die im Zuge der Konversion ausgelösten Gesamtinvestitionen betrugen rund 150 Millionen Euro. In den wenigen Jahren ihres Bestehens hat sich die Marbachshöhe zu einem attraktiven lebendigen Viertel entwickelt. Das geplante Mischkonzept ist aufgegangen: Neben über 600 Wohnungen durch Um- und Neubau sind in Betrieben und Einrichtungen vor Ort über 1.000 Arbeitsplätze entstanden.

Konversionserfahrung zahlt sich aus

Als kapitalmarktfinanzierte Projektentwicklung im Rahmen einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme wurden die Konversionsflächen des Eschborner „Camp Phoenix“ – vor den Toren Frankfurts – einer sinnvollen Nachnutzung zugeführt. Aufgabe für unsere Stadtentwickler: Projektentwicklung und -steuerung wie auch die gesamten Planungsleistungen zur Schaffung des Baurechts. Auf dem 50 Hektar großen ehemaligen Militärgelände ist ein Gewerbegebiet entstanden, das heute als attraktiver Standort zum Arbeiten und Einkaufen dient. Zudem ist es gelungen, bislang über 900 neue Arbeitsplätze in zentraler Lage zu schaffen.

Auch in Gießen gelang die erfolgreiche Konversion eines 55 Hektar großen Militärgeländes zum Gewerbegebiet. Auch hier war das Spektrum umfassend: Stellen von Fördermittelanträgen, Projektleitung und -steuerung als Entwicklungsträger und -treuhänder bis hin zum Verkehrsanschluss. Flächen wurden entsiegelt, Tankstellen zurückgebaut, Kanäle und Leitungen verlegt sowie Straßen und Wege umgebaut. In nur knapp zehn Jahren entstand das florierende Gewerbeareal „Europaviertel“ mit optimaler Verkehrsanbindung, eigenem Gleisanschluss und 1.200 neuen Arbeitsplätzen. Viele Betriebe aus der Medizin- und Biotechnologie sowie der Logistik und Energieversorgung siedelten sich dort an.

Babenhausen: vom Militärareal zum nachhaltigen Modellquartier

Im Rahmen des Programms „Stadtumbau in Hessen“ steht in Babenhausen seit 2007 die Umnutzung eines 60 Hektar großen Kasernenareals zu einem nachhaltigen Quartier für Wirtschaft, Arbeiten und Wohnen auf der Agenda. Hier gilt es, Planungs- und Diskussionsprozesse, Bürgerbeteiligung, Politikberatung, Öffentlichkeitsarbeit und Investorenansprache zu koordinieren. Aufbauend auf die preisgekrönte Planungsidee aus dem europäischen Architektur- und Städtebauwettbewerb „EUROPAN 9“ wurde in einem interdisziplinären Team von Fachplanern ein Rahmenplan für das Areal erstellt, der ökologische und soziale Qualität mit hoher Investitionseffizienz verbindet. Infrastruktur, Gebäude und Freianlagen werden über ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet. Intelligente Kreislaufund Management-Systeme sind ebenso vorgesehen wie die intensive Nutzung vorhandener Substanz. Für dieses Modellprojekt nahmen Babenhausen und NH ProjektStadt auf der Expo Real 2011 die Zertifizierung durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) in der neuen Systemvariante „Stadtquartiere“ entgegen. Die Auszeichnung eines ehemaligen Militärgeländes in dieser Kategorie ist bundesweit bislang einzigartig und auch für Investoren mehr als interessant.

Butzbach: soziale Stadt trifft Konversion

Die Stadt Butzbach steht im Bereich ihrer nordwestlichen Kernstadt vor einer großen Herausforderung. Hier befinden sich zwei Gebiete, die jeweils spezifisch entwickelt werden müssen: Das Quartier „Degerfeld“ weist eine Kumulation städtebaulicher, wohnungswirtschaftlicher und sozialer Probleme auf. In direkter Nachbarschaft liegt eine ehemalige Housing Area der US-Army, die für eine zivile Nachnutzung qualifiziert werden muss. Bei dieser Stadtentwicklungsaufgabe haben wir die Kommune von Anfang an begleitet. Schon im Jahr 2007 wurde ein umfassendes Entwicklungskonzept für die Housing Area und das Wohngebiet vorgelegt, das 2009 zur Aufnahme von „Degerfeld“ sowie von Teilen der Housing Area in das Förderprogramm „Soziale Stadt“ führte. 2010 folgte das Integrierte Handlungskonzept, das von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig beschlossen wurde.

Die Housing Area wurde 2011 an private Investoren veräußert, die das Gebiet unter der Qualitätsmarke „Wohnen am Limes“ als Wohnstandort für neue Zielgruppen etablieren. Für Butzbach bietet sich damit die Chance, beide Quartiere integriert zu entwickeln und so einen Stadtteil mit neuer Qualität zu schaffen. Für eine solche unmittelbare Verbindung von „Sozialer Stadt“ und Militärkonversion gibt es bundesweit nur wenige Beispiele. Unser Unternehmen wird an diesem Prozess weiter mitwirken: Seit 2011 sind wir gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Wetteraukreis mit dem Quartiersmanagement beauftragt.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2012/2013

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