17.09.2019

Risiken durch die Digitalisierung

Im Immobilienbewertungsmarkt

Jörg Kuttig, MBA FRICS, Geschäftsführer, JKT Immobilien GmbH
Jörg Kuttig

Wenn von Auswirkungen der Digitalisierung auf die Immobilienbewertung die Rede ist, geht es in aller Regel um die Qualität von Gutachten und um die Zukunftsperspektiven von Gutachter/-innen. Es werden Fragen behandelt wie „Unter welchen Voraussetzungen ist ein maschinell ermittelter Wert ausreichend belastbar?“ und „Inwieweit ist es heutzutage noch sinnvoll für einen Hochschulabsolventen, sich für eine Laufbahn als Sachverständiger zu entscheiden?“ Das sind wichtige Themen; es ist völlig gerechtfertigt, dass ihnen so viel  Aufmerksamkeit  zukommt. Allerdings sollten andere wichtige Themen nicht vernachlässigt werden. Deshalb geht es in diesem Beitrag um eine andere bedeutsame Frage, nämlich die, welche volkswirtschaftlich riskanten Fehlentwicklungen sich zurzeit als Nebenwirkungen der Digitalisierung im Wettbewerb der Immobilienbewertungsunternehmen abzeichnen.

Dabei konzentrieren sich die Ausführungen auf den deutschen Markt und zwar auf das Segment, in dem Immobilienbewertungen für kreditwirtschaftliche Zwecke  vorgenommen werden und dieses im Zusammenhang mit Neugeschäft und durch externe Gutachter. Unterstellt wird bei alldem, dass eine  voll automatisierte Liegenschaftsbewertung zunächst einmal nur für Teile des Wohnimmobilienmarktes zu befriedigenden Ergebnissen führen wird, dass aber in allen anderen  Segmenten noch auf Jahrzehnte menschliche Experten durch EDV zwar unter-stützt, aber nicht ersetzt werden können. In dem Markt der finanzwirtschaftlichen Immobilienbewertung herrscht ein sehr hoher Rationalisierungsdruck, weil bei weiterhin hoher Bankendichte das Zinsniveau gefallen ist, weil die Konkurrenz durch alternative Finanzierungsformen gestiegen ist und weil die Geschäftsmodelle der Kreditinstitute insgesamt durch die Digitalisierung unter Druck geraten sind, zum Beispiel betreffend die Abwicklung des Zahlungsverkehrs. Zum einen müssen Kreditinstitute bestrebt sein, die Kosten von Immobilienbewertungen möglichst niedrig zu halten, um dem möglichen Kunden insgesamt wettbewerbsfähige Konditionen bieten zu können, denn dieser hat die Kosten letztlich zu tragen.

Zum anderen müssen sie sich darum bemühen, die Bewertungsergebnisse möglichst schnell vorliegen zu haben, um dem potentiellen Kreditnehmer rechtzeitig eine verbindliche Kreditentscheidung mitteilen zu können, denn dieser steht meistens seinerseits unter Zeitdruck –Stichwort Kaufpreisfälligkeit. Dieser Zeit- und Kostendruck bedeutet für die Kreditinstitute indes nicht, dass die hohen Anforderungen an die Qualität der Gutachten sinken dürfen, denn es ist für die Banken/Sparkassen von überragender Bedeutung,  dass sowohl die in den Gutachten ausgewiesenen Marktwerte und ggf. Beleihungswerte als auch ggf. die  zugehörigen Reinerträge hinreichend genau sind – es ist sehr viel schmerzhafter, wenn ein Kredit ausfällt und sei es auch nur teilweise, als wenn er an die Konkurrenz verloren geht. Das gilt zumindest dann, wenn das Kreditinstitut das Kreditausfallrisiko nicht zwischenzeitlich weitergegeben hat. Und das Risiko zu behalten, ist in Deutschland weit verbreitet. So ist die Refinanzierung von Immobilienkrediten über Kundeneinlagen durchaus noch üblich.

Und auch bei der deutschen Eigenart der Refinanzierung über hoch vertrauenswürdige Pfandbriefe bleibt das emittierende Institut mit in der Haftung. Das rechtfertigt, dass Werte von Pfandobjekten intern, also durch eigene Mitarbeiter,ermittelt werden: Es gibt keinen Interessenskonflikt innerhalb des Kreditinstitutes, vielmehr ist die finanzierende  Einheit (Kreditinstitut) ganz genauso wie die refinanzierende Einheit (zum Beispiel Sparbuchinhaber, Pfandbriefzeichner) an einer möglichst objektiven Beurteilung der Eignung einer Immobilie als Kreditpfand interessiert. Gleichwohl vergeben die deutschen Kreditinstitute Immobilienbewertungen auch an Externe. Dafür gibt es viele Gründe. Ein Grund kann sein, dass die Zahl der erforderlichen Bewertungen konjunkturell oder geschäftspolitisch bedingt schwankt, das Institut die internen Kapazitäten aber nicht nach den Spitzen im Geschäft bemessen kann. Ein externesImmobilienbewertungsunternehmen hat weniger mit Schwankungen zu kämpfen, wenn es für eine Vielzahl von Kunden tätig ist, deren Geschäftsanfall nicht vollständig positiv korreliert.

Ein solches Unternehmen ist unter bestimmten Voraussetzungen auch in der Lage, den Konflikt zu lösen, der zwischen den Zielen einer möglichst schnellen und  niedrigpreisigen Immobilienbewertung einerseits und einer qualitativ hochwertigen Erstellung von Gutachten andererseits besteht. Zu diesen Voraussetzungen gehören u.a. eine hoch qualifizierte,motivierte, umfangreiche und routinierte sowie sich an strikte Berufsgrundsätze haltende Belegschaft mit Kenntnissen bezüglich allerrelevanten Objektarten und -lagen(Makro-und Mikrolagen), eine große Zahl logistisch vorteilhaft verteilter Zweigstellen/Niederlassungen, eine dem Stand der Technik entsprechende Hard- und Softwareausstattung, straff organisierte Prozesse, eine für jedermann erkennbare, gute Ausstattung mit langfristig gebundenem Eigenkapital, eine hohe Berufshaftpflichtversicherungsdeckungssumme, ein rigides Datenschutzmanagement und eine durchdachte Corporate Governance. All diese Voraussetzungen haben sich erst in der jüngeren Vergangenheit nach und nach ergeben bzw. verschärft. So wie die Rahmenbedingungen für die  Kreditinstitute immer schwieriger geworden sind, sind auch die Anforderungen an Immobilienbewertungsbetriebe stetig gestiegen. Das hat bereits zu erheblichen Änderungen im Markt der Immobilienbewertung geführt; es ist ein Konzentrationsprozess zu beobachten. Nicht nur betreffend bestimmte Teile der Bewertung einer Kreditanfrage führt der Rationalisierungsdruck dazu, dass Kreditinstitute umfangreich auf Dritte zurückgreifen, sondern auch betreffend die Gewinnung von Kreditanfragen – hier lassen sie sich Geschäft von Vermittlern zutragen. Im Markt der Vermittler waren in den vergangenen Jahren noch viel ausgeprägtere Veränderungen zu beobachten als im Markt der Bewerter;insbesondere hat die Konzentration noch deutlich stärker zugenommen.

Das liegt vor allem daran, dass die Digitalisierung hier schon weitaus bessere Möglichkeiten bietet, Kosten zu senken und Prozesse zu beschleunigen. Unternehmen, welche diese Möglichkeiten geschickt zu nutzen wussten, haben eine enorme Schlagkraft entwickelt. Die Digitalisierung ist der Grund dafür, dass sie sich innerhalb erstaunlich kurzer Zeit eine finanzielle Macht verschaffen konnten, die so groß ist, dass sie damit den Markt der Immobilienfinanzierung  insgesamt,  also auch über ihr eigentliches Teilgebiet hinaus, strukturell umgestalten könnten.So bedauerlich bislang schon diese Konzentrationsprozesse für hoch kompetente „Einzelkämpfer“ waren, so sinnvoll waren sie doch bisher aus volkswirtschaftlicher Sicht. Mittlerweile aber zeichnet sich ab, dass die Konzentration übertrieben wird, dass also der Rationalisierungsdruck zu Fehlentwicklungen führt, welche dem Gemeinwohl schaden könnten. Denn es könnte dazu kommen, dass strukturelle  Interessenskonflikte und damit erhebliche Risiken in Kauf genommen  werden.  Es werden nämlich mit der Absicht,  die Prozesse bis zum Abschluss des Kreditvertrages maximal zu beschleunigen, Versuche unternommen, die Vermittlung von Krediten und die Ermittlung des Wertes des als Pfand für den jeweiligen Kredit dienenden Objektes untereinem Dach, sprich innerhalb einzelner großer, technologiebasiert arbeitender Unternehmensgruppen, also sozusagen in „Kreditfabriken“,zu vereinen.Darlehensvermittler werden dem Grunde nach in Abhängigkeit vom Zustandekommen des Kreditvertrags, also erfolgsabhängig, vergütet – kommt es zur Kreditvergabe, erhält ein Vermittler seine volle Provision, kommt es nicht zur Kreditvergabe, geht er leer aus. Hingegen werden externe Immobilienbewerter dem Grunde nach nicht in Abhängigkeit vom Zustande-kommen des Kreditvertrags vergütet – ein Bewerter erhält sein Honorar in voller Höhe, gleich ob es zur Kreditvergabe kommt oder nicht. Ein Gutachter darf die Immobilie nicht zu opti-mistisch bewerten, sonst läuft das ihn beauftragende und letztlich das Objektrisikotragende Kreditinstitut Gefahr, Ausfälle zu erleiden. Er darf die Immobilieaber auch nicht zu pessimistisch bewerten, sonst entgeht dem Kunden ein eigentlich gutes Geschäft.Im Unterschied zum Kreditinstitut übernimmt der Darlehensvermittler das Objektrisiko nicht. Er kassiert seine Provision und ist raus; kommt es später zum Ausfall, dann berührt ihn das unter normalen Umständen nicht. Der Gutachter ist zwar im Falle des Kreditausfalls nicht derart unmittelbar betroffen wie die Bank, doch auch er haftet für eine unangemessene Be-wertung des Pfandobjektes,und dies in beide Richtungen, weil sowohl eine zu hohe als auch eine zu niedrige Bewertung ersatzpflichtigen Vermögensschaden beim Kunden verursachen kann. Aus alldem folgt: Der Darlehensvermittler hat ein Interesse  an einer optimistischen Bewer-tung der Immobilie, der Gutachter an einer neutralen. Schon allein deswegen gilt: Ist eine Unternehmensgruppe an der Vermittlung eines Kredites beteiligt (sei es direkt als Vermittler oder indirekt, indem sie Vermittlern eine Plattform bietet), so kann sie nicht zugleich an der Ermittlung  des  Wertes  des  für  diesen  Kredit  gebotenen  Pfandes  beteiligt  sein  (sei  es  als alleiniger   Auftragnehmer   oder   als   Hauptauftragnehmer   mit   nachgelagerten   Subunternehmern), völlig unabhängig davon, ob es sich innerhalb der Unternehmensgruppe um ganzheitliche, mehrheitliche oder mehr als unbedeutend minderheitliche Beteiligungen handelt.

Zusätzlich ist zu beachten: Darlehensvermittlung ist einträglicher als Immobilienbewertung. Die Provisionen aus dem einen Geschäft sind sowohl bezogen auf den Personalaufwand als auch bezogen auf den Gesamtkapitaleinsatz deutlich höher als die Honorare aus dem anderen. Daraus ergibt sich innerhalb ein und  derselben Unternehmensgruppe ein struktureller Druck, dem kaum standzuhaltenist, selbst wenn die einzelnen handelnden natürlichen Personen noch so redlich motiviert sind. Zusätzlich wird die Situation verschärft, wenn die Unternehmensgruppe börsennotiert ist, also kapitalmarktorientiert geführt werdenmuss, also  quartalsweise Erfolge zu berichten hat und dabei der Preis ihrer Aktien (zum Beispiel ausgedrückt als Verhältnis von Kurs zu Gewinn) die Erwartung an ein starkes Wachstum spiegelt. Es besteht dann ein Risiko, dass die Gruppe auch problematischeWachstumsversuche unternimmt. Richtig brenzlig wird es dann, wenn eine  solche Unter-nehmensgruppe volkswirtschaftlich bedeutsame Marktanteile erobert oder gar nur noch einige wenige solcher Unternehmensgruppen den Löwenanteil des Marktes beherrschen.Es gibt einige Merkmale des deutschen Immobilienfinanzierungsmarktes, die im Hinblick auf konjunkturelle Schwankungen der Pfandobjektwerte stabilisierend wirken, wie die langfristige Bindung des Zinssatzes, die ergänzende Übernahme persönlicher Haftung der Kreditnehmer verbunden mit einer entsprechenden Bonität derselben (gleich ob natürliche oder juristische Personen) und die annuitätische Ausgestaltung der Tilgung sowie die Tatsache, dass bei der Strukturierung sehr vieler Finanzierungen zusätzlich zu einem stichtagsbezogenen Wert (Markt-/Verkehrswert) auch ein zeitraumbezogener, also nachhaltiger Wert (Beleihungswert) maßgebend ist. Das alles ersetzt aber nicht eine unvoreingenommene Bewertung des Pfandobjektes. Die US-amerikanische  Subprime-Krise hat gezeigt, welch großen Schaden die falsche strukturelle Gestaltung von Bewertungsprozessen anrichten kann. Das im Zuge der Digitalisierung  drohende Entstehen ähnlicher Strukturen in Deutschland sollte sicherheitshalber vermieden, Interessenskonflikte sollten „weiträumig umfahren“, Vermittlung und Bewertung in ein und demselben Geschäftsvorgang konsequent nach verschiedenen Unter-nehmen/Unternehmensgruppen getrennt werden.Nur dann, wenn ein  Vermittler Datenbanken und damit verbundene Analyse-/Synthese-software echter Dritter nutzen  würde, ohne irgendeinen (!) Einfluss auf das Ergebnis zu haben, wenn er also nur unbestreitbare Fakten wie die Objektadresse, die Fläche und das Baujahr in das System  eingeben, jedoch selbst keinerlei  (Teil-)Bewertungen,  nicht einmal eine auf einer Objektbesichtigung basierende Zustandsbeurteilung, vornehmenwürde, er auch keinerlei  Einfluss auf die Formulierung  der verwendeten Bewertungsalgorithmen hätteund zugleich die vom System gelieferten Ergebnisse belastbar wären, wäre es gerechtfertigt, auf den Einsatz mit ihm in keiner Weise verbundener, von ihm völlig unabhängiger menschlicher Bewerter zu verzichten. Für eine solche Verwendung geeignete Systeme wird es in absehbarer Zukunft  nur für ganz wenige Objektarten und wenige Lagen geben, wobei es bei dem dadurch abgedeckten Standardgeschäft in Geldeinheiten gemessen durchaus um einen großen Marktanteil geht. Für alle anderen Marktsegmente aber gilt:

Ohne einen derzeit nicht absehbaren, disruptiv wirkenden Quantensprung in der Technologieentwicklung, in dessen Folge künstliche Intelligenz den Faktor Mensch ganz aus der Bewertung eliminiert, ist es auch bei in bisheriger Geschwindigkeit voranschreitender Digitalisierung der Diensterbringung nicht möglich, die  Arbeitsteilung zwischen Vermittlung und Bewertung aufzugeben und damit sehr weitgehende Rationalisierungsvorteile zu nutzen, ohne dass ein unauflöslicher Interessenskonflikt entsteht.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von JKT Immobilien GmbH
Erstveröffentlichung: IREBS Standpunkt Nr. 79, August 2019, https://www.irebs-immobilienakademie.de/fileadmin/user_upload/08_IREBS-Standpunkt/pdf/IREBS_Standpunkt_79_2019-08-07_Joerg_Kuttig.pdf

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