05.12.2018

Große Umwälzungen

René Westerheider, Head of Transactions, Trei Real Estate GmbH
Martin Mörl, Geschäftsführer, Girlan Immobilien GmbH
Peter Axmann, Leiter Immobilienkunden, Hamburg Commercial Bank AG
René Westerheider

Der Einzelhandel steht unter sehr starkem Veränderungsdruck – vor allem durch den E-Commerce. Viele Investoren fragen sich, ob Handelsimmobilien noch ein Investment mit Zukunft sind. Mit Peter Axmann, Leiter Immobilienkunden bei der HSH Nordbank, Martin Mörl, Geschäftsführer von Prelios Immobilien Management, und René Westerheider, Head of Transactions bei der Trei Real Estate, geben drei Experten im Interview ihre Sicht auf die wichtigsten Trends wieder und erläutern, welche Segmente und Konzepte keine Zukunft mehr haben, und wo es noch Chancen gibt.

Herr Axmann, sind Einzelhandelsimmobilien ein Investment mit Zukunft?
Axmann: Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten, da die Entwicklungen in den unterschiedlichen Typen von Einzelhandelsimmobilien – beispielsweise in Shopping-Centern, Fachmarktzentren oder Supermärkten – und je nach Lage sehr unterschiedlich sind. Die gesamte Branche verändert sich mit der Ausbreitung des Online-Handels, aber die Digitalisierung macht sich in den einzelnen Segmenten unterschiedlich stark bemerkbar. Daher betrachten wir jede Objektklasse differenziert.

Anders gefragt: Welches Segment hat denn wenig Zukunftsperspektive, und wo gibt es positive Aussichten?
Axmann: Wir halten wettbewerbsfähige Objekte in A-Lagen weiterhin für wertstabil und wir sehen hier auch eine entsprechende Nachfrage auf Investorenseite. Das Gleiche gilt für Fachmarktzentren mit ihrem Mietermix aus Lebensmittlern, Drogeriemärkten und Non Food-Discountern, die sich bislang relativ immun gegenüber der Onlinekonkurrenz zeigen und deshalb auch künftig eine nachhaltige Miet- und Renditeperformance aufweisen dürften. Schwieriger wird es für Einkaufszentren und Kaufhäuser selbst in zentralen Lagen, sofern sie sich nicht oder nicht ausreichend auf den Wandel im Handel eingestellt haben. Das Gleiche gilt für Nebenlagen und für C- oder D-Städte.

Eine Vernetzung von stationärem und Online-Handel beispielsweise, mit Abholstationen für via Internet bestellte Waren, ist künftig ein „Muss“. Als Finanzierer achten wir auf die Zukunftsfähigkeit der Einzelhandelsimmobilie: Stimmt die Aufenthaltsqualität und der Mietermix? Überzeugen das Betreiberkonzept und die Lage? Und besonders wichtig: Gibt es eine flexible Objektstruktur, die auch eine andere Nutzung als die aktuelle zulässt? Entsprechend aufgestellte Handelsimmobilien sind und bleiben aus unserer Sicht eine nachhaltige Assetklasse. Gleichwohl halten wir an unseren konservativen Kreditstandards fest und rechnen ausreichende Puffer ein, um sinkende Mieten und Marktwerte abfedern zu können.

Welche Rolle spielt der Online-Handel in diesem Zusammenhang?
Axmann: Der E-Commerce wuchs im ersten Halbjahr 2018 um rund 7 Prozent, der stationäre Handel nahm aber auch um immerhin 2,5 Prozent zu. Das heißt, der Handel insgesamt wächst, der Kuchen wird also größer. Es gilt, sich auf die Ansprüche der Kunden einzustellen, die heute gut informiert sind, Preisvergleichsportale nutzen und oftmals nicht mehr nur Einkaufen wollen. Shopping-Center und Einkaufspassagen positionieren sich inzwischen vielfach neu als „Erlebnis-Center“ mit Wohlfühlatmosphäre, Food-Court und attraktiven Freizeitangeboten.

Herr Mörl, wie schätzen Sie die Perspektive von Einzelhandelsimmobilien in Deutschland heute ein?
Mörl: Nun, in einigen Punkten kann ich Herrn Axmann zustimmen. Jede Immobilie muss individuell betrachtet werden. In einem Punkt muss ich aber widersprechen. Wir sehen auf der Investorenseite sehr wohl langfristig ausgerichtetes Interesse an kleinen und mittelgroßen Shopping Centern und Kaufhäusern außerhalb von A- und B-Städten. So haben wir erst vor kurzem zwei Einkaufscenter in Gießen und Marburg im Auftrag der Eigentümer an Investoren verkauft, beides Städte mit weniger als 100.000 Einwohnern. Man sieht also, dass die Perspektive von Einzelhandelsimmobilien – mit einer entsprechenden Weiterentwicklung der Assets – auch als positiv eingeschätzt werden kann. Letztlich sind der Standort, die Objektqualität, die Kaufkraft, die demografische Entwicklung und die Zentralität entscheidend für die Vermietung und den Verkauf von Einzelhandelsimmobilien.

Sie sagten mit entsprechenden Anpassungen. Wie hoch ist der Bedarf an Anpassungen bzw. Erneuerungen?
Mörl: Der Anteil der Einkaufszentren, die veraltet sind, liegt in Deutschland bei rund 50 Prozent. Dies zeigt, wo der Handlungsbedarf in den kommenden Jahren in Deutschland liegt. Dieser konzentriert sich nicht auf den Neubau, sondern auf das Refurbishment bzw. die Repositionierung von Bestandsimmobilien. Neubau kommt aufgrund der Marktsättigung nur in Ausnahmefällen vor, wie etwa in Orten, in denen der Tourismus stark zunimmt. Ein gutes Beispiel hierfür ist Husum, die historische Hafenstadt an der Nordseeküste, mit circa. 24.000 Einwohnern, aber einer extrem hohen Einzelhandelszentralität von 222 (Durchschnitt = 100). Dazu kommen aber jährlich rund drei Millionen Tagestouristen, die erhebliche Kaufkraft mit in die Stadt bringen.

Und was machen Sie, wenn die Vermietungssituation so schwach ist oder die Einzelhandelsimmobilie nicht mehr funktioniert?
Mörl: Sofern die Fundamentaldaten stimmen, ist die Repositionierung eines Shopping Centers oder Fachmarktzentrums mit schwacher Vermietungssituation eine vielversprechende Option. Sehr gut gelegene Objekte lassen sich durch gezielte Nachvermietungen und Weiterentwicklungen wieder auf Vordermann bringen. Der große Modernisierungs- und Anpassungsbedarf von Einzelhandelsimmobilien birgt ja auch große Chancen für Eigentümer, Betreiber und Städte. Wenn Handel am Standort nicht mehr funktioniert, kann über eine Verkleinerung der Handelsflächen und eine teilweise Umnutzung nachgedacht werden. Problematisch sind ja häufig die oberen Etagen. Hier kommen eine Büro-, Wohn- oder auch Co-Working-Nutzung in Frage. In letzter Zeit sehen wir zum Beispiel auch verstärkt Fitnessstudios in Einkaufszentren. Sind die Zukunftsperspektiven für Einzelhandel negativ, ist eine komplette Konversion immer denkbar, etwa in eine Wohn-, Hotel- oder Büronutzung. Es kommt auf ein stimmiges Immobilien- und Nutzungskonzept an.

Herr Westerheider, Sie sind schwerpunktmäßig im Bereich Lebensmitteleinzelhandel unterwegs. Sie können sich ja eher zurücklehnen, denn das Lebensmittelsegment gilt als letzte Bastion des stationären Handels.
Westerheider: Im Moment ist das noch richtig. Während beispielsweise in den Produktsparten „Consumer Electronics“, „Fashion & Accessoires“ oder „Freizeit & Hobby“ jeweils rund ein Viertel des Umsatzes online gemacht werden, lag dieser Anteil im Lebensmittelsegment 2017 bei gerade einmal zwei Prozent. Ich bin mir jedoch sicher, dass das nicht so bleiben wird. Der E-Commerce wird auch im Lebensmittelsegment zunehmen. Außerdem bedeutet der geringe Online-Anteil nicht, dass sich der Lebensmittelhandel sonst nicht verändert. Es gibt in diesem Segment erhebliche Veränderungen.

Welche denn?
Westerheider: Ein Trend ist, dass auch die Discounter versuchen, aus dem Einkauf ein Erlebnis zu machen, so wie die Shopping-Center es ja schon seit Längerem vorgeben. Mittlerweile gibt es auch im Discount-Segment Food-Inseln, breite Gänge, Kundentoiletten und generell höhere Ansprüche an die Architektur und Warenpräsentation. Anders ausgedrückt: Das bloße Hinstellen von Paletten reicht heute nicht mehr aus.

Betrifft das nicht eher den Mieter als den Eigentümer?
Westerheider: Es betrifft beide – sowohl Mieter als auch Eigentümer. Eine ganze Reihe von Veränderungen bei den Discountern hat bauliche Konsequenzen, was dazu führt, dass wir als Eigentümer und Manager die Immobilien anpassen müssen. Eine Entwicklung ist, dass die Sortimente immer größer werden. Viele Discounter bieten heute Frischfleisch, Bioprodukte oder Gourmet Produkte an. Hinzu kommt, dass immer mehr Supermärkte Pfandflaschenautomaten im Vorkassenbereich sowie Brotbackautomaten einführen. Auch dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Immobilie – insbesondere aus den Brotbackautomaten resultieren erhebliche bauliche Anforderungen an den Brandschutz.
Unterm Strich führen die ausgeführten Trends dazu, dass der Flächenbedarf steigt. In der Regel haben konventionelle Discounter häufig zwischen 700 und 800 Quadratmeter Verkaufsfläche. Benötigt werden aber mindestens 200 bis 300 Quadratmeter mehr. Das entspricht rund 20 bis 30 Prozent mehr Verkaufsfläche.

Ist das – insbesondere in den Städten – realisierbar?
Westerheider: Das hängt sehr von der individuellen Situation und dem jeweiligen Grundstück ab. In den großen Städten mit hohem Wohnraumbedarf überbauen wir in zentralen Lagen auch „Flachmänner“ – also eingeschossige Lebensmittelmärkte – mit einem Neubau bestehend aus Handelsflächen im Erdgeschoss und Wohnungen in den oberen Etagen. Dies betrifft derzeit vor allem Berlin. Im Zuge eines solchen Abriss-Neubaus bekommt automatisch auch der Einzelhändler eine neue und – sofern möglich – größere Fläche.

Werte Herren, vielen Dank für das Gespräch!

 

Über die Personen
Peter Axmann ist Leiter Immobilienkunden bei der HSH Nordbank. Axmann ist 1981 in die Bank eingetreten und hat seit 1994 mehrere Führungsaufgaben im Geschäftsbereich Immobilienkunden wahrgenommen, unter anderem als Leiter der Niederlassung Berlin.

Martin Mörl ist seit 2007 Geschäftsführer bei Prelios und als Head of Real Estate Services unter anderem für die Bereiche Asset Management, Vermietung und Center Management verantwortlich. Diplom-Kaufmann Mörl verfügt über 24 Jahre Erfahrung in der Immobilienschaft und war vor Prelios bei B&L Projektentwicklungsgesellschaft, I.T.C Immobilien Team Consulting und DGAG Shopping Immobilien tätig.

René Westerheider ist Head of Transactions bei der Trei Real Estate. Er leitet den Bereich Transaktionen und verfügt über langjährige Erfahrungen im Transaktionsmanagement sowie in der strukturierten Immobilien- und Unternehmensfinanzierung. (Anmerkung: von der Trei-HP)

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von HSH Nordbank, Prelios, Trei Real Estate
Erstveröffentlichung: Private Banking Magazin, Oktober 2018

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