15.09.2020

Papierlose Baustelle

Ein Gespräch über den Stand des digitalen Bauwesens in Deutschland

Aydin Karaduman, Managing Director, Europe, ISG
Aydin Karaduman

The Property Post sprach mit Aydin Karaduman über den Stand des digitalen Bauwesens in Deutschland, seine entscheidenenden Treiber und finanziellen Vorteile.

The Property Post (TPP): Ist die papierlose Baustelle in Großbritannien, dem Heimatland Ihres Konzerns, schon Realität?

Aydin Karaduman (AK): Nicht flächendeckend, aber weitgehend ja. Denn in Großbritannien hat die Öffentliche Hand bereits in den 1990er Jahren auf die Ineffizienz des Bauwesens hingewiesen. Zwei Lösungen standen damals im Vordergrund: partnerschaftliche Prozesse und digitale Instrumente. Das haben die Briten in den Folgejahren konsequent verwirklicht. Heute sind dort moderne Vergabemodelle mit einer Fusion von Planung und Ausführung ebenso Realität wie eine Pflicht zum papierlosen Planen und Bauen. Seit 2016 müssen alle öffentlichen Bauaufträge ab einer gewissen Größe mittels Building Information Modeling (BIM), also einer gemeinsam genutzten digitalen Plattform von der ersten Idee bis zum Betrieb der Immobilie, abgewickelt werden. In Großbritannien nutzen wir auf allen Baustellen technische Hilfsmittel, die wir auch in Deutschland zum Standard erheben werden. Dazu zählen Virtual Reality-Brillen für virtuelle Baustellenbegehungen, Bauhelme mit Webcams oder auch Apps in 20 Sprachen mit Anweisungen für Gesundheit und Sicherheit auf der Baustelle.


TPP: Warum hängt die deutsche Baubranche hier hinterher?

AK: In Deutschland ist die Baubranche sehr kleinteilig und stark mittelständisch geprägt. Viele ehemals bekannte Konzerne wie Holzmann oder Bilfinger sind mittlerweile vom Markt verschwunden. Die zehn größten Baufirmen auf dem deutschen Markt kommen gerade einmal auf ein Fünftel des Gesamtumsatzes der Branche. Es gibt also kaum große Unternehmen, die den finanziellen Erstaufwand einer digitalen Baustelle stemmen können. Zudem hinken wir beim partnerschaftlichen Bauen hinterher. Die fein säuberliche Trennung von Planung und Ausführung in Deutschland ist ein echter Hemmschuh für ein vertrauensvolles und effizientes Miteinander. Wenn Sie stattdessen das Bauunternehmen bereits bei der ersten Idee ins Boot holen und gemeinsam mit Architekten und Fachplanern arbeiten lassen, gibt es beträchtliche Synergieeffekte. BIM ist genau dafür gedacht. Nicht zuletzt fehlt es in unserem Land an zentralen Stellen, die das digitale Bauwesen fördern. In England gab es nach dem Latham-Report der Unternehmen von 1994 und dem Egan-Report im Auftrag der Regierung von 1998 eine nationale Aufbruchsstimmung zur Reform des Bauwesens. Damals gab es einen Schulterschluss zwischen Regierung und Wirtschaft für effizientes Bauen. Wir benötigen noch diesen kräftigen Ruck, auch wenn es bereits viele Schritte in die richtige Richtung gibt. Hierzu zähle ich beispielsweise das Mittelstands-Kompetenzzentrum Planen & Bauen.


TPP: Welche finanziellen Vorteile bringt die papierlose Baustelle dem Bauherrn?

AK: Der Bauherr spart durch die papierlose Baustelle eine Vielzahl an Besprechungen, Begehungen und Kontrollschritten. Denn die digitale Live-Begehung der Baustelle erfolgt online. Außerdem befördert die papierlose Baustelle eine raschere Übergabe des Baus. Unsere Statistiken belegen die Reduzierung von Unfällen durch Helmkameras und digitale Wegmarkierungen. Mit der partnerschaftlichen BIM-Methode gibt es Erhebungen, die durchschnittliche Kosteneinsparungen von 20 Prozent belegen.


TPP: Könnten Politik und Behörden die Modernisierung des Baus entscheidend beschleunigen?

AK: Die digitalen Instrumente müssen sich in den Unternehmen etablieren. Das sollte auch Zielsetzung der Politik sein. Zwei Maßnahmen halte ich hierbei für sinnvoll: erstens die obligatorische BIM-Anwendung. Die digitalen Vorreiter in Europa sind heute diejenigen Länder, die ihre öffentlichen Aufträge frühzeitig an die BIM-Methode gekoppelt haben. Dazu zählen beispielsweise Schweden, Finnland und eben Großbritannien. Zweitens staatliche Kredite für die vielen kleinen Planungsbüros und Bauunternehmen. Sie brauchen die finanzielle Unterstützung in der digitalen Startphase. Sind die Instrumente erst einmal etabliert, stellt sich eine rasche Amortisierung ein.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ISG Deutschland GmbH
Erstveröffentlichung: FAZ vom 26.06.2020

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