06.01.2021

Das Glas ist längst halb leer

Die großen Maklerhäuser wollen die kommende Krise nicht wahrhaben.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

In der Immobilienbranche gibt es eine Gruppe, deren Glas noch nie halb leer, sondern immer mindestens halb voll war und die beim ersten Anzeichen von Abschwung sofort über den kommenden Aufschwung spricht: die Maklerhäuser. Das war vor 20 Jahren so, als sich abzeichnete, dass die Dotcom-Blase platzt und kurz nach der Lehman-Pleite 2008 nicht anders. Was geschah? Die Realität überholte die zunächst optimistischen Prognosen der Makler. Ist der Realitätssinn während des vom Covid-19-Virus erzwungenen Lockdowns größer? Offensichtlich nicht!

JLL prognostiziert, dass sich das wichtigste Segment, der Büromarkt, in diesem Jahr erholen wird. Die Gemeinschaftsprognose der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif), die die Erwartungen der Analysten großer Makler und Investoren abbildet, fällt kaum anders aus:  Demnach verharren die Renditen bis Ende 2021 auf historisch niedrigem Niveau, also bleiben die Preise hoch, steigen die Leerstände allenfalls leicht und die Spitzenmieten verändern sich nur wenig. Wenn der Textileinzelhandel in den Fußgängerzonen von Supermärkten und Discounter ersetzt wird, wie JLL annimmt, ist die Lage in diesem Segment auf den ersten Blick auch weniger dramatisch als gedacht. Und allenthalben erwecken die großen Immobiliendienstleister den Eindruck, dass das Geschäft mit Wohnungen sowie Immobilien für Logistik und den Lebensmitteleinzelhandel die Einbrüche in den Segmenten Hotels, Gastronomie, Einzelhandel und Büro zumindest zu einem sehr großen Teil wett machen kann. Ihre Begründung: Die Investoren schwimmen noch immer im Geld und pumpen es in Immobilien. Was sie nicht sagen: Indem sie das Geld dort hineindrücken, ruinieren sie die Renditen.

Und nicht nur das: Spätestens der zweite harte Lockdown treibt zigtausend Betriebe in Gastronomie, Hotelgewerbe und Einzelhandel in die Insolvenz. Das kann die bis Ende Januar 2021 verlängerte Corona-Aussetzung der Antragspflicht zur Insolvenzanmeldung nicht verhindern. Sie gilt nur für überschuldete Betriebe. Wer zahlungsunfähig ist, etwa weil staatliche Hilfen zu spät ausgezahlt werden, muss Insolvenz anmelden.

Mieten machen zwischen 40 und 60 Prozent der Fixkosten eines Einzelhändlers aus. Dass Fixkosten bis zu 90 Prozent ersetzt werden sollen, wird vielen von der Schließung ihrer Geschäfte betroffenen nicht helfen. Denn „bis zu“ bedeutet: Wer weniger als 30 Prozent Umsatzeinbuße gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat hat, bekommt nichts. Um 90 Prozent zu bekommen muss der Umsatzverlust größer als 70 Prozent sein.

Und was folgt nach dem Lockdown? Schon zuvor grub der Onlinehandel dem stationären Einzelhandel die Umsätze ab.  Der Lockdown hat weitere Kundengruppen an den E-Commerce gewöhnt. Dem stationären Handel drohen also nachhaltige Umsatzeinbußen. Allen Gewerbevermietern sollten die Worte von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu denken geben, der ankündigte, der Bund werde behilflich sein, wenn es darum gehe über Gewerbemieten zu verhandeln. Die Vermieter können wählen zwischen Mietkürzungen und Leerstand. Das gilt genauso gut für Einkaufszentren. Der Versuch die Einbußen durch den Onlinehandel auszugleichen, indem Ladengeschäfte durch Schnellrestaurants ersetzt wurden, wirkt im Lockdown besonders nachteilig. Die Restaurants mussten noch vor den Läden schließen. Zwangsläufig werden in allen drei Segmenten Mieten beziehungsweise Pachten sinken und die Preise gleich mit.

Auf dem Büromarkt wird es nicht anders kommen. Optimisten argumentieren, dass die Nachfrage nach modernen, erstklassigen Gebäuden in den Top-Lagen der Großstädte sogar steigt und bei nahezu stabilen Mieten die Preise hoch und die Renditen nach unten gehen. Doch das Gros der Bürogebäude erfüllt diese Voraussetzungen nicht und erzielt folglich auch keine Spitzenmieten. Je weiter ein Objekt von diesem oberen Segment entfernt ist, desto weiter werden Miete und Preis abrutschen. Und steigende BIP-Zahlen im nächsten Jahr treiben den Bedarf nicht hoch, weil sich das Nutzungsverhalten ändert. Zwei bis drei Tage Homeoffice pro Woche werden den Büroflächenbedarf nicht in gleichem Umfang reduzieren, erläuterte Deloitte-Partner Jörg von Ditfurth kürzlich in „The Property Post“ und schloss dennoch mit der Erkenntnis: „Wir brauchen weniger Bürofläche“.
Wohnungs- und Logistikmarkt werden die Einbrüche in anderen Assetklassen nicht ausgleichen. Im Moment ist der Umsatz mit Wohnungen im Vorjahresvergleich stabil und der mit Lagerflächen höher. Noch immer fehlt Wohnraum in Deutschland und Wohnen müssen die Menschen schließlich auch während einer Pandemie. Aber der Wohnungsinvestor muss sich darüber im Klaren sein, dass die Zahl der Arbeitslosen und Bezieher von Kurzarbeitergeld in den nächsten Monaten zunehmen wird. Die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes läuft Ende dieses Jahres aus, was die Arbeitslosenzahlen zusätzlich erhöhen könnte. Deshalb werden sich immer häufiger Mieter ihre aktuelle Miete nicht mehr leisten können. Mieterhöhungen, die die nach wie vor gezahlten hohen Kaufpreise rechtfertigen würden, werden kaum noch durchsetzbar sein. Dafür werden Gespräche über Mietstundungen und -minderungen wahrscheinlicher.

Der Onlinehandel boomt und wird auch nach der Pandemie wachsen. Also werden mehr Lagerflächen für diesen Zweck gebraucht. Doch ob die aktuell angebotenen Logistikimmobilien richtig dimensioniert sind und an der richtigen Stelle stehen, ist unsicher. Noch mehr von Zustellern zugeparkte Straßen werden die Städte nicht tolerieren. Es werden kleinere Läger in Innenstädten verlangt. Der technische Fortschritt verändert den Lagerbedarf. Ein Beispiel: E-Autos haben weniger Teile als ein Kfz mit Verbrennungsmotor - weniger Teile, weniger Lagerfläche. Die Logistikmarkt wird sich ändern.

Gemessen an den Risiken sind die Bewertungen stabil. Also scheint das Glas sogar noch fast voll zu sein. Ein Trugschluss: Den Sachverständigen fehlen die Anhaltspunkte für Neubewertungen quer durch alle Kategorien, weil aktuell fast ausschließlich wenig riskante Immobilien gehandelt werden – eben jene erstklassigen Büroobjekte in den Top-Lagen der Metropolen. So lange dies so bleibt unterliegen die Investoren einer „Vermögensillusion“, wie Thomas Beyerle, Chef der Catella Property Valuation, es nennt. Und die großen Maklerhäuser können leugnen, dass das Glas längst halb leer ist.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Property Post
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2021

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