17.09.2021

Und was ist mit Gewerbe?

Für die Parteien hat Wohnungsbau Vorrang. Sie ignorieren fehlende Gewerbeflächen.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Und was ist mit Gewerbe? Diese Frage drängt sich nach Durchsicht der Parteiprogramme zur Bundestagswahl auf. Wenn es um Immobilien geht, dann geht es den Parteien um Wohnungen. Wer die Worte Gewerbeimmobilie oder Gewerberaum in den Programmen sucht, erlebt eine faustdicke Überraschung. Ausgerechnet Die Linke befasst sich als einzige der fünf möglicherweise an einer künftigen Regierungskoalition beteiligten Parteien mit Gewerbeimmobilien. Allerdings gewiss nicht im Sinne der Branche. Die Partei fordert einen Mietendeckel für Kleingewerbe, Handwerk und kulturelle Einrichtungen sowie für soziale und gemeinnützige Träger.

Für SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und die Linke ist Wohnen ein Menschenrecht. Alle fünf Parteien wollen mehr Wohnungen schaffen. Die SPD verspricht: „Wir schaffen mehr Wohnraum durch den Bau von jährlich 400.000 Wohnungen, davon sind 100.000 öffentlich gefördert.“ Die CDU gibt als Ziel aus, bis 2025 rund 1,5 Millionen neue Wohnungen zu schaffen.

Woher das Bauland dafür kommen soll, sagt keine Partei. Wohnungsbauer beklagen seit Jahren, das Bauland sei zu knapp. Industrie- und Handelskammern beschweren sich über zu wenig neu ausgewiesene Gewerbeflächen. Was soll etwa die Stadt München tun? Ihr fehlen Gewerbeflächen. Die riesige Wohnraumnachfrage hat zu den höchsten Wohnungspreisen und -mieten in Deutschland geführt. Grund und Boden sind nicht vermehrbar.
Der Wettbewerb um Boden zwischen Gewerbe- und Wohnimmobilienentwicklern wird in allen prosperierenden Städten weiter zunehmen. Und dies nicht nur weil Wohnraum schon jetzt fehlt, sondern weil eine nach den Corona-Lockdowns wachsende Wirtschaft mehr Platz braucht und die Suche nach Wohnraum für die zusätzlich Beschäftigten den Druck auf die Wohnungsmärkte noch einmal erhöhen wird. 

Neue Wohn- und Gewerbegebiete am Stadtrand auszuweisen, die noch mehr Grünfläche versiegeln, ist keine Lösung. Wenn in der Breite und Länge kein Platz ist, muss es in die Höhe gehen – in die Höhe gehen dürfen. Wie hoch gebaut werden darf, bestimmen die Städte, mit nicht immer nach nachvollziehbaren Kriterien, wie etwa der Höhe eines Kirchturms. Mit rigiden Hochbaugrenzen verschärfen die Städte ihr Bauflächenproblem.
Und es ist keineswegs so, dass man nur Wohn- und Bürohäuser mehrstöckig bauen kann. Auch Produzieren und Lagern lässt sich auf mehreren Ebenen.
Was wo gebaut wird, wird von den Kommunen gesteuert. Insofern ist es irreführend, wenn Parteien verkünden, wieviel Wohnungsneubauten unter ihrer Regierungsverantwortung entstehen werden. Gerade SPD und CDU laufen Gefahr sich erneut zu blamieren, denn ihre noch amtierende Koalition hat ihr Wohnungsneubauziel verfehlt.

Was sollte die künftige Bundesregierung tun? Sie sollte eine bundeseinheitliche Bauordnung schaffen und bei dieser Gelegenheit Bauvorschriften rigoros zusammenstreichen, um den Aufwand für Planung, Genehmigung und Bauaufsicht zu verringern. Sie sollte den Flächenverbrauch eindämmen, indem sie Brachlandentwicklung den Vorrang vor Neuentwicklung auf der grünen Wiese gibt. Sie sollte festlegen, dass die Versiegelung von Boden durch Dachbegrünung kompensiert werden muss. Sie sollte unfairen Wettbewerb von Gemeinden um Gewerbeansiedlungen durch Dumpingpreise für Grundstücke unterbinden und für eine sachgerecht Grundstücksaufteilung zwischen Wohnungs- und Gewerbebau sorgen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Leitlinien zur Grundstücksvergabe und Nutzung formuliert werden und die Kommunen verpflichtet werden, sich an diesen zu orientieren – Sanktionen bei Verstößen eingeschlossen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Property Post
Erstveröffentlichung: The Property Post, September 2021

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