Untersuchung zur Verbreitung und Nutzung in Deutschland
Erscheinungstermin: Juli 2025
Herausgeber: BBSR - Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
In einer Zeit zunehmender Urbanisierung, wachsender Mobilitätsansprüche und steigender Anforderungen an Klimaschutz und Lebensqualität rückt das Leitbild der „15-Minuten-Stadt“ verstärkt in den Fokus stadtplanerischer Debatten. Es verspricht eine stadtstrukturelle Neuordnung, in der zentrale Funktionen des Alltags – Wohnen, Arbeiten, Versorgung, Bildung, Gesundheit und Freizeit – zu Fuß oder mit dem Fahrrad gut erreichbar sind. Für Kommunen, Wohnungswirtschaft und Investoren stellt sich dabei die Frage, wo in Deutschland dieses Leitbild bereits Realität ist, welche räumlichen Voraussetzungen gegeben sein müssen und wie sich die tatsächliche Nutzung dieser Nahraumangebote gestaltet. Die BBSR-Studie „Die Stadt der Viertelstunde“ untersucht diese Fragen auf Basis bundesweiter Erreichbarkeitsanalysen und ergänzt sie durch Fallstudien und Befragungen.
Die zentralen Ergebnisse:
Überraschend hohe Präsenz der 15-Minuten-Stadt
Gute Bedingungen für die 15-Minuten-Stadt sind nicht nur in Metropolen, sondern auch in Mittel- und Kleinstädten sowie dichten ländlichen Gemeinden vorhanden. Entscheidender Faktor ist weniger die Stadtgröße als vielmehr die Kompaktheit der Siedlungsstruktur. In mehr als 2.000 deutschen Städten und Gemeinden sind überdurchschnittlich viele Alltagsziele in 15 Minuten erreichbar – mit der Tendenz, dass größere Städte zwar vielfältigere Angebote bieten, aber auch peripher gelegene Stadtteile mit hoher Nahversorgung punkten.
Heterogene Nutzungsintensität trotz guter Angebote
Die Nutzung der Angebote ist ungleich verteilt. Während Wege zum Einkaufen oder zur Ausbildung häufiger im Nahraum stattfinden, werden Arbeitswege trotz guter Naherreichbarkeit oft motorisiert zurückgelegt. Besonders nutzungsaffin sind Jugendliche, Frauen, Nichterwerbstätige und Haushalte mit geringerem Einkommen. Für Immobilienentwickler und Stadtplaner bedeutet dies: Gute Nahversorgung allein reicht nicht – es braucht auch quartiersbezogene Mobilitätsanreize.
Räumliche Nähe ≠ passende Angebote
Die Studie zeigt außerdem, dass die subjektive Wahrnehmung der Angebotsqualität eine entscheidende Rolle spielt. Viele Menschen nutzen weiter entfernte Angebote, weil sie als qualitativ besser oder passender empfunden werden. In Fokusgruppen wurde deutlich: Wahlfreiheit bei der Angebotsnutzung ist wichtiger als bloße Nähe. Das hat direkte Implikationen für das Quartiersmanagement und die Angebotsplanung.
Soziale Mischung bleibt erhalten – keine Gentrifizierungstendenz
Entgegen mancher Annahmen wohnen in gut versorgten 15-Minuten-Stadtquartieren nicht nur privilegierte Bevölkerungsschichten. Eine bundesweite Auswertung der Mietniveaus zeigt eine hohe soziale Durchmischung – ein wichtiges Signal für eine sozial ausgewogene Stadtentwicklung.
Geringere Pkw-Abhängigkeit in 15-Minuten-Städten
Je besser das Nahraumangebot, desto geringer der Pkw-Besitz – auch bei einkommensstärkeren Haushalten. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Reduktion von Zweit- oder Drittfahrzeugen. Das unterstreicht den verkehrspolitischen Nutzen einer 15-Minuten-Stadt aus Sicht von Stadtverwaltungen und Verkehrsplanung.
Qualitätsunterschiede innerhalb von Städten
Die Studie weist auf erhebliche Unterschiede zwischen zentralen und peripheren Stadtteilen hin. Selbst in Großstädten ist die 15-Minuten-Erreichbarkeit häufig nicht flächendeckend gegeben. Für die Quartiersentwicklung bedeutet das: Flächenspezifische Maßnahmen sind erforderlich – ein einheitlicher Masterplan greift zu kurz.
Planung muss über Mobilität hinausdenken
Ein wesentliches Hemmnis für die Nutzung naher Angebote liegt in mangelnder Fuß- und Radverkehrsfreundlichkeit. Barrieren, unsichere Wege, fehlende Querungen und geringe Aufenthaltsqualität mindern das Potenzial des Konzepts. Die Förderung aktiver Mobilität ist daher integraler Bestandteil der 15-Minuten-Stadt.
Internationale Vorbilder liefern Inspiration
Die Studie diskutiert auch internationale Vorreiter wie Paris, Wien und Utrecht, die das Konzept mit unterschiedlicher Konsequenz und Schwerpunktsetzung umsetzen. Dabei wird deutlich: Erfolgreiche Strategien verbinden Mobilitäts-, Nutzungs- und Beteiligungsperspektiven – ein Modell auch für deutsche Städte.