06.07.2016

Gegessen wird offline

Nahversorgungsstandorte gewinnen an Bedeutung

Niclas Karoff, Mitglied des Vorstandes, TLG Immobilien AG
Niclas Karoff

Weniger als ein Prozent. Das ist laut Handelsverband Deutschland der Anteil des Online-Umsatzes im Lebensmittelhandel. Nicht zuletzt deshalb ist diese vom Online-Handel bislang nur sehr begrenzt beeinflusste Immobiliensparte derzeit bei Investoren besonders beliebt, so wie Einzelhandelsimmobilien insgesamt. Das zeigt sich in dem hohen Transaktionsvolumen, das nach Angaben von BNP Paribas Real Estate im Jahr 2015 rund 18,5 Milliarden Euro beträgt – mehr als doppelt so viel wie noch im Jahr zuvor. Begehrt waren bei Investoren zuletzt in steigendem Maße Fach- und Supermärkte, die 2015 rund 32 Prozent der Retail-Investments ausmachten. Knapp darunter lagen mit einem Anteil von rund 29 Prozent von Shopping-Center-Transaktionen, bei denen jedoch deutlich niedrige Spitzenrenditen erzielt werden. So beträgt laut BNP Paribas Real Estate die durchschnittliche Spitzenrendite für Shopping-Center in den großen Investmentzentren 4,1 Prozent. Dagegen erzielten Fachmarktzentren als auch Fach- und Supermärkte noch Spitzenrenditen von 5,3 beziehungsweise 5,7 Prozent.

Bislang keine Gefahr durch E-Commerce

Während Shopping-Center aufgrund des Online-Handels einen zunehmenden Verkaufsflächenrückgang verzeichnen, droht dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) aus dem Internet bislang kaum Gefahr. Eine Konsumentenbefragung durch PricewaterhouseCoopers vom Jahresende 2014 hat ergeben, dass 87 Prozent der Deutschen ihre Lebensmittel ausschließlich im stationären Geschäft kaufen. Laut bulwiengesa haben sogar nur elf Prozent der Bevölkerung bereits einmal Lebensmittel über das Internet geordert, wobei es sich mehrheitlich um Spezialitäten handelte. Von denjenigen, die bereits einmal Lebensmittel im Internet bestellt haben, kaufen nur knapp sieben Prozent regelmäßig ihr Essen online. Das hört sich in den Ohren von Investoren nicht bedrohlich an, zumal wenn sie einen angelsächsischen Hintergrund haben. In Großbritannien liegt der Onlineanteil im LEH schon heute bei fünf bis sechs Prozent. Dies liegt allerdings auch an der zentralistischen Struktur des Landes, in welchem sich der Lebensmittel-Onlinehandel hauptsächlich auf London konzentriert. In Deutschland jedoch mit seinen zahlreichen Agglomerationsräumen sowie Klein- und Mittelstädten lohnt sich internetbasierter Lebensmittelhandel aus Kostengründen bislang kaum. Die deutschen Verbraucher sind bei Lebensmitteln traditionell kostensensibel und aufgrund der hohen Filialdichte in einer komfortablen Versorgungslage. So kaufen sie Lebensmittel in der Regel in unmittelbarer Wohnortnähe. Damit entfällt ein entscheidender Wachstumstreiber im Online-Lebensmittelhandel im Vergleich zu anderen Ländern. Während die Non-Food-Angebote bereits seit längerem und in stark zunehmendem Umfang in entsprechenden Online-Shops angeboten werden, hat sich der Lebensmittelhandel bislang mit einem Food-Angebot im Internet in Verbindung mit einem adäquaten Lieferdienst sehr schwer getan. Dies liegt unter anderem an dem hohen und damit kostenintensiven Logistikaufwand, insbesondere mit Blick auf die teils leicht verderblichen Waren. Ungeachtet dessen prognostiziert Ernst & Young in einer Studie einen Anstieg des Online-Lebensmittelhandels auf 20 Prozent im Jahr 2020. Unstrittig dürfte in jedem Fall sein, dass der Lebensmittelverkauf über verschiedene Vertriebsformen (‚Multi-Channel‘) zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Einige Lebensmittelhändler wie Rewe oder Kaiser’s bieten bereits solche Konzepte in ausgewählten Städten an. Der Kunde wählt die Waren per Internet von seinem PC oder Smartphone aus und zahlt per Kreditkarte. Diese kann er dann an einem Drive-In-Schalter abholen oder sich gleich nach Hause liefern lassen.

Gleichwohl ist aus heutiger Sicht nicht damit zu rechnen, dass der stationäre Handel mit Lebensmitteln in Deutschland einbrechen wird. Die Gewinnmargen vieler Lebensmittel sind bereits im stationären Handel wegen des Preisdrucks der Discounter äußerst gering, die Kosten für den Aufbau des Onlinegeschäfts dafür umso höher. Auch der Kundenmarkt bleibt vorerst begrenzt, da eine Belieferung des ländlichen Raumes bis auf weiteres kaum profitabel darzustellen sein dürfte. Zudem schätzen die Käufer die Vorzüge des Einkaufs im Geschäft nach wie vor: die spontane Warenverfügbarkeit, die Möglichkeit, die Ware zu sehen, anzufassen und auszuprobieren sowie die gute Erreichbarkeit. Viele Supermärkte nutzen diese Vorteile und haben eine Qualitätsoffensive gestartet, in dem es nun oft Verkostungsbereiche, attraktive Ladentheken und eine hochwertige Ladengestaltung gibt. Bei Neubauten achten zudem die Betreiber auf höherwertige Gebäudetypen, in die beispielsweise viel Tageslicht fällt, um die Aufenthaltsqualität zu steigern. Unter der Voraussetzung, dass die Lebensmittelhändler sich weiterhin flexibel und zeitnah an den Einkaufswünschen der Kunden ausrichten, sollte der Erlebniseinkauf in den Innenstädten und der wohnortnahe Einkauf zur täglichen Bedarfsdeckung nicht an Attraktivität und Relevanz verlieren.

Baurecht als Wettbewerbsschutz

Mietverträge für großflächige Nahversorgungsimmobilien haben meist eine Laufzeit von zehn bis 15 Jahren. In der Regel lassen sich die Mieter darüber hinaus bereits zu Mietbeginn einseitige Mieteroptionen für mehrere Vertragsverlängerungen einräumen. Für die Immobilieneigentümer bedeuten die langen Vertragslaufzeiten entsprechend gesicherte Mieterträge. Das Interesse der Mieter, sich gut gelegene und etablierte Standorte möglichst langfristig zu sichern, ist auch auf das restriktive deutsche Baurecht zurückzuführen. Entsprechend der in Deutschland gültigen Baunutzungsverordnung dürfen großflächige Einzelhandelsimmobilien mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche außerhalb innerstädtischer Kerngebiete und in bestimmten Sondergebieten in der Regel nur auf speziell ausgewiesenen Flächen errichtet werden. Daraus ergibt sich ein gewisser Wettbewerbsschutz für bestehende Nahversorgungsstandorte gegenüber neuen Objekten. Zwar zeichnet sich u.a. hinsichtlich der Lebensmittel-Vollsortimenter bei den Kommunen eine gewisse Flexibilität und eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Betreibern bei der Suche nach geeigneten Standorten ab, die möglicherweise auch in eine teilweise Flexibilisierung des Baurechtes münden könnte. So erleichtern beispielsweise manche Kommunen das Baugenehmigungsverfahren bei der maßvollen Erweiterung von Bestandsmärkten. Grundsätzlich ist aber für nicht davon auszugehen, dass bei der Genehmigung von großflächigem Einzelhandel in Deutschland eine Veränderung der aktuellen Praxis einsetzen wird. Vielmehr dürfte es aufgrund der bereits vorhandenen Marktdichte – und ungeachtet des starken Interesses der Betreiber an größeren Verkaufsflächen – zukünftig eher noch schwieriger werden, neue Objekte mit 1.000 bis 1.400 Quadratmetern Verkaufsfläche und vor allem auch Nahversorgungszentren mit mehreren Anbietern zu entwickeln. Damit werden künftig gut positionierte Nahversorgungsstandorte eine weiterhin stabile Anlageklasse bilden und an Bedeutung gewinnen. Zumal sich hier baurechtliche Entwicklungsmöglichkeiten im Vergleich zu Neubauten leichter realisieren lassen. Zudem sind auch kleinere, neue Objekte mit Verkaufsflächen bis einschließlich 800 Quadratmetern nicht mehr so einfach umsetzbar. Verschiedene rechtliche Neuregelungen erschweren und verteuern den Bau. Erhöhte Anforderungen in den Baubeschreibungen der Betreiber lassen ebenfalls die Baukosten steigen. Die daraus resultierenden höheren Mieten bei Neubauten, ist für die Betreiber oft die Modernisierung des bestehenden Standorts rentabler als der Umzug in eine neu errichtete Immobilie. Insgesamt sind daher die bestehenden großflächigen Nahversorgungsbetriebe im Wettbewerb vor neuen Objekten gut geschützt.

Stabile und langfristige Mietverträge

Die Vorteile von Nahversorgungsobjekten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zum einen bietet die Baunutzungsverordnung in Deutschland de facto einen Wettbewerbsschutz für großflächige und gut gelegene Bestandsimmobilien des LEH – besonders, wenn diese im zentralen Versorgungsbereich angesiedelt sind. Zum anderen sprechen die üblicherweise langen Mietvertragslaufzeiten und die bonitätsstarken Mieter für gesicherte Einnahmen. Darüber hinaus ist zumindest auf absehbare Zeit nicht damit zu rechnen, dass dem stationären Handel mit Lebensmitteln in Deutschland durch den Onlinehandel eine ähnliche Konkurrenz erwächst, wie dies für andere Produktgruppen bereits heute der Fall ist.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von TLG Immobilien AG
Erstveröffentlichung: Die Immobilie, April 2016