14.06.2017

Logistik und Wohnen

Zwei Assetklassen in Konkurrenz um knappe Flächen

Dr. Alexander Nehm, Geschäftsführer, Logivest Concept GmbH
Dr. Alexander Nehm

Eine gut funktionierende Logistik ist notwendig, damit der heimische Kühlschrank täglich mit frischen Lebensmitteln aufgefüllt werden kann oder trotz Ladenschluss die dringend benötigten Lehrbücher am nächsten Tag zur Verfügung stehen. Und die Logistik wiederum benötigt genau diesen Konsum zur Abnahme der gelagerten und transportierten Waren. Zunehmende Urbanisierung erfordert allerdings höhere Anforderungen an die Versorgungsinfrastruktur bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Wohnflächen. Trotz dieser engen und immer enger werdenden Wechselbeziehung zwischen Konsum und Logistik liegen räumlich gesehen Welten zwischen den beiden Parteien.

Abgesehen von den innerstädtischen Häfen Deutschlands. Hier ist Wohnen bereits in die traditionellen Gefilde der Logistik vorgedrungen. Ein gutes Beispiel ist der Bau zweier Wohnhochhäuser im Düsseldorfer Hafen an der Westseite der Speditionstraße. Die Hafengebiete sind reich an alten Speichern, die früher der Lagerung von Tee, Teppichen und anderen importierten Waren dienten. Für moderne Logistikprozesse eher wenig geeignet, verwandeln sich diese zunehmend in moderne Loftwohnungen oder schicke Büros in attraktiver Lage.

 

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Hafen City Hamburg - Bildquelle: Logivest Concept GmbH

Wohnen im Gewerbegebiet?

Mit der neuen Kategorie des urbanen Gebiets soll das Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe auch außerhalb der Hafen cities realisiert werden. Ganz neu ist dies jedoch nicht: Sogenannte Mischgebiete lassen ein Nebeneinander von Wohnimmobilien als auch Gewerbebetrieben zu. Anders als bei den Mischgebieten, sollen für die Umsetzung der "urbanen Gebiete" jedoch Lärmschutzstandards wie Dezibelobergrenzen und eine Reihe weiterer Einschränkungen gelockert werden.

Eine Erweiterung der Baunutzungsverordnung um die Kategorie des urbanen Gebiets zielt darauf ab, den Spielraum für Gemeinden bei der Erschließung zusätzlichen Wohnraumes zu erhöhen. Allerdings ist zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht klar, wie viele Gewerbegebiete insgesamt in Deutschland existieren und wie viele davon überhaupt für eine solche Nutzung infrage kommen. Aus diesem Grund wird es in erster Linie darauf ankommen, Richtlinien und Kriterien festzulegen, die als Rahmendbedingung für das geplante Vorhaben dienen. Ebenso unklar ist, welche der beiden Assetklassen von diesem Modell stärker profitiert.

Deutschlandweit vergleichbare Informationen zu Gewerbegebieten zu ermitteln, wird seit 2015 durch die Plattform Gewerbegebiete.de geleistet, die infrastrukturelle, wirtschaftliche und auch sozioökonomische Daten bereitstellt. Soll Wohnen im Gewerbegebiet tatsächlich umsetzbar sein, braucht es beispielsweise eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. Das garantieren bei Weitem nicht alle Gewerbegebiete. Die durch Gewerbegebiete.de zur Verfügung gestellten Informationen erhöhen die Transparenz und schaffen eine Entscheidungsgrundlage dafür, welche Gebiete zukünftig als urbane Gebiete genutzt werden können.

Konsum erfordert Logistik

Immer mehr Bürger kaufen online ein und wollen die Ware möglichst schnell beziehungsweise pünktlich. Um rund 20 Prozent jährlich ist das E-Commerce-Segment allein in den letzten Jahren angewachsen und hat damit auch die Nachfrage nach neuen Logistikflächen angetrieben. Einhergehend mit dem starken Wachstum des E-Commerce erhöht sich auch die Anzahl der Paketsendungen von Jahr zu Jahr. Bis 2020 prognostiziert der Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) einen Anstieg der Kurier-Express-Paket-Sendungen (KEP) um 5,1 Prozent pro Jahr auf knapp 3,8 Milliarden Sendungen. Damit liegt die geschätzte Entwicklung deutlich über dem bisherigen durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 3,8 Prozent im Zeitraum 2000 bis 2015.

Das beeinflusst natürlich auch die Neubauaktivitäten auf dem Logistikimmobilienmarkt: Mehr als 100.000 Quadratmeter Neubaufläche verzeichnete der Logistikimmobilien-Seismograph im vergangenen Jahr für die Kurier, Express und Paketdienste (KEP-Branche). Diese Zahlen lassen auch die Kommunen aufhorchen. Sie erkennen zunehmend, dass nicht nur die Bürger, sondern auch die dazugehörige Logistik ihren Platz braucht und hier akuter Handlungsbedarf besteht. Denn die steigende Nachfrage nach einer schnellen Lieferung von Waren des täglichen Bedarfs benötigt eine stadtnahe und leistungsstarke Logistikinfrastruktur – entsprechende Flächen und Immobilien eingeschlossen.

Ein weiteres Projekt zur flächenverträglichen Citylogistik ist in Nürnberg angelaufen: Die KEP-Unternehmen DPD und GLS prüfen unter wissenschaftlicher Begleitung den Einsatz von Mikro-Depots und Lastenrädern in der Innenstadt sowie in einem Wohngebiet.

In der Südstadt haben DPD und GLS eine größere Tiefgarage zudem in ein gemeinsames Warendepot umfunktioniert. Nach und nach wollen die Stadt und die Paketdienste das Pilotprojekt dann auf andere Wohngebiete ausdehnen. Benötigt es also gar nicht unbedingt einen so drastischen Schritt wie das urbane Gebiet? Mittelfristig gesehen könnten die kreativen Ansätze, die Unternehmen derzeit verfolgen, tatsächlich für etwas Spielraum im Kampf um die knappen Flächen sorgen.

Langfristig wird dies aber wohl nicht ausreichen. Vor allem Logistikzentren mit Waren aus dem Food- oder Nonfood-Segment, die täglich nachgefragt werden, müssen näher an die Ballungszentren rücken, damit schnelle Lieferzeiten realisiert werden können. Das häufig fehlende Flächenangebot seitens der Kommune zwingt potenzielle Ansiedler allerdings dazu, nach alternativen Standorten Ausschau zu halten. An diesem Punkt angekommen droht allerdings eine zunehmende Zersiedelung von Logistikimmobilien. Immer mehr Einzelstandorte sind dann zu erwarten, die folglich auch immer weiter von den klassischen Wirtschaftszentren und Konsumenten entfernt sind. Das Resultat sind zusätzliche und ökologisch ineffiziente Verkehre und häufig brachliegende Synergiepotenziale, beispielsweise beim öffentlichen Personennahverkehr. Nutzer von Logistikimmobilien und Kommunen sollten gemeinsam verstärkt in interkommunalen und infrastrukturellen Zusammenhängen denken.

Hand in Hand gehen

Ein Lösungsansatz liegt in der Aufnahme aller Bedarfe durch zentrale kommunale Stellen – so wie die Handhabung im Wohnungsbau. Alles andere ist ein eher kurzsichtiger Blickwinkel auf die Planung der Städte der Zukunft. Denn eine gute Versorgungsstruktur mit Waren und Dienstleistungen ist für Konsumenten heute schon zum Standard geworden. Aus diesem Grund müssen die für gewerbliche Nutzung wichtigen Standorte – außerhalb und innerhalb städtischer Zentren – erhalten und auch neue geschaffen werden.

Zur Erarbeitung nachhaltiger Lösungen ist ein verstärkter Dialog zwischen allen Parteien notwendig. Denn eine intensive Kommunikation hilft nicht nur dabei Projekte besser zu koordinieren, sondern auch Interessen aufeinander abzustimmen. Wie diese aussehen könnte, zeigt die Stadt Dachau, die seit 2015 an einem Gewerbeflächen-Entwicklungskonzept arbeitet. Bedenken gegenüber zusätzlicher Verkehre und steigendem Lärmpegel entgegnet die Stadt mit einem Arbeitskreis, in dem sich interessierte Bürger einbringen können.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Logivest Concept GmbH
Erstveröffentlichung: DVZ Themenheft transport logistic, Mai 2017

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