13.02.2017

Catella Market Tracker 02/2017

Innovationen, Start-ups und Immobilienstandorte im 21. Jahrhundert

Dr. Thomas Beyerle, Managing Director, Catella Property Valuation GmbH
Dr. Thomas Beyerle

Standortfaktoren wandeln sich dramatisch
 
Amsterdam, Paris, Frankfurt oder doch lieber Dublin? Die Liste potentieller und vermeintlicher BREXIT-Profiteure ist lang. Doch der simple Vergleich nach der „besseren Finanzinfrastruktur“ oder den günstigeren Mieten entspricht nicht mehr einer zeitgemäßen Standortentscheidungspolitik. Auch im Jahr nach der britischen Entscheidung, die EU zu verlassen, ist unklar, welche der genannten Städte Nutznießer der Situation sein könnten. Eine detaillierte Betrachtung der genannten Metropolen bietet sich daher an. Unbestritten ist bisher, dass eine Abwanderung von Unternehmen aus der Finanzbranche aus Großbritannien vor allem die Hauptstadt London treffen würde. Diese Metropole, bekannt als bedeutendster Unternehmens- und Finanzstandort der alten Welt, wird weiterhin alles versuchen diesen „brain drain“ zu verhindern und sich auf besonders attraktive Kapitalmarkt-und Techfunktionen zu fokussieren. Doch wer wäre der vermeintliche Nutznießer auf dem Kontinent? Klar ist, dass es im 21. Jhd. definitiv mehr als nur die sog. harten Faktoren, also die quantifizierbaren Standortfaktoren wie z. B. Gewerbsteuersätze, Mieten oder Büroflächenbestand sind, welche eine Entscheidung determinieren. Was zeichnet Tech- respektive Finanzstandorte heutzutage aus? Sind sog. Start-ups und Technologieunternehmen ein Gradmesser um Standorte mit Zukunftspotential und Finanzschwerpunkt zu identifizieren? Klar ist bereits eines: die Frage „Wie viel werden verlagert?“ weckt zwar Euphorie, lässt aber die Digitalisierungsfortschritte und damit Arbeitsplatzprognosen in den Mutmaßungen völlig außer Betracht. Am Beispiel Dublin und Frankfurt lässt sich dies praktisch analysieren.

Die Diamanten Frankfurt und Dublin

Städte und Regionen, in denen sich eine Anhäufung bestimmter Industrien feststellen lässt, gibt es in vielen Ländern Europas; diese werden nach generellem Verständnis als Cluster bezeichnet. Bestimmte Standorte haben den Ruf, besonders für eine Industrie interessant zu sein, so wie z. B. das „Terza Italia“ im Norden Italiens durch die Lederindustrie. Der Porter’sche Diamant beschäftigt sich mit den Entstehungsgründen solcher Cluster (vgl. Abb. 2). In einem Cluster kann zwischen den Unternehmen der jeweiligen Industrie ein Netz aus geschäftlichen und außergeschäftlichen Beziehungen entstehen, was positive Auswirkungen für alle Akteure des Clusters haben kann. Als Nährboden für Innovation wirkt die Region außerdem attraktiv auf potentielle neue, wie auch bereits etablierte Unternehmen der jeweiligen Industrie. Vor allem Start-ups können in diesem Zusammenhang für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg einer Region von großer Bedeutung sein, weshalb aktives Fördern von Start-ups entscheidend sein kann (vgl. Potter Abb. 2). Die Entstehung eines Start-up Ökosystems mit Start-ups aus vielen verschiedenen Branchen ist somit ein Faktor, der die Gesamtwirtschaft der Region positiv beeinflusst. Die sich international vermarktenden Tech- und IT-Hubs Stockholm und Dublin, weisen in der Verteilung der Start-ups nach Branchen (Abb. 1) im „Enterprise“-Sektor (B2B-Tech-Lösungen) den höchsten Anteil auf, der Finanzstandort Frankfurt im FinTech-Sektor den höchsten Anteil. Die Anzahl und der Charakter der Start-ups können so als Gradmesser für wirtschaftlich erfolgreiche Regionen angesehen werden und einen Blick werfen zur zukünftigen Positionierung dieser Regionen im globalen Wettbewerb. Dublin ist weiterhin ein Beispiel für die Entstehung einer Start-up Infrastruktur, welches für örtliche etablierte Unternehmen und auch die Gesamtindustrie von Vorteil sein kann. In Dublin prägen millionenschwere „Multinationals“ wie Google, Facebook, Twitter oder LinkedIn die lokale Tech-Szene, sodass verschiedene Institutionen und Behörden diesbezüglich entstanden sind, die die lokale Ökonomie ankurbeln. Frankfurt hingegen hat den Ruf inne, eines der wichtigsten Finanzzentren zu sein mit global agierenden Banken, der Europäischen Zentralbank und der größten Wertpapierbörse Deutschlands. Es finden sich in Frankfurt (Stand: 31.12.2016) 289 Startups, was deutlich weniger ist als bspw. Dublin (1.220) und Paris (718) oder Berlin (708) und auch eine ausgeprägte Start-up Infrastruktur ist in diesem Zusammenhang noch nicht in gleichem Maße entstanden. Nichtsdestotrotz besitzt Frankfurt, das mit DE-CIX Standort des größten Internetknotens der Welt ist, schon den höchsten Anteil an FinTech-Startups der untersuchten Städte. Diese Zahl könnte durch aktive Bemühungen verschiedener Akteure in den kommenden Jahren weiter steigen.

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Kreative Klasse als Büronachfrager?

Laut Richard Florida gibt es eine besondere Zielgruppe, die eine Region anlocken sollte, wenn sie darauf abzielt, für Innovation und Entrepreneurship attraktiv zu sein. Die „ Creative Class“ sieht hochkreative Individuelle als entscheidend für die Wirtschaftlichkeit einer Region an. Die Bedingungen hierfür werden in Floridas Theorie der „3 Ts“ (Technologie, Talent und Toleranz) aufgeführt. Technologie bezeichnet hier das Vorhandensein von Zukunftstechnologien in der Region, Talent bezieht sich auf das regional vorhandene kreative Humankapital und Toleranz auf das Umfeld in der Region. Dublin ist durch die ansässigen „Multinationals“ und unterstützende Tech-Institutionen sowie Universitäten und der jungen Arbeiterschaft in Bezug auf Technologie, Talent und Toleranz gut ausgestattet und auch hinsichtlich harter Standortfaktoren kann Dublin u. a. den Internetknoten INEX vorweisen. Auf Immobilienebene hat Dublin jedoch noch mit sehr hohen Mietpreisen zu kämpfen und einem eher kleinen Büroflächenbestand. Die großflächige Umsetzung von Mixed-Use-Konzepten auf der Immobilienebene zeigt die objektspezifische Umsetzung der „modernen“ Arbeitswelt, in welcher die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben zunehmend verwischen. Flexibilisierung wird außerdem in der steigenden Nutzung von neuen Bürokonzepten, u.a. mit „pay-per-use“-Konzepten sichtbar. Dies ist vor allem für Start-ups entscheidend, da sie Büroraum ohne langfristige, kostenintensive Verpflichtungen nutzen können.

Start-ups. Start-ups. Start-ups.

Die Anzahl vorhandener Start-ups und die Entwicklung einer entsprechenden Infrastruktur sind von großer Bedeutung im aktuellen europäischen Standortwettbewerb. Ein funktionelles Start-up-Ökosystem bildet in der aktuellen Innovations- und damit Standortdebatte die Basis um das Flächenpotential in den folgenden Jahren abzuleiten. Diese Basis wird die Entscheidung zu Standortverlagerungen zunehmend determinieren. Den sog. weichen, also nur schwer zu quantifizierbaren Faktoren, kommt eine bedeutende Rolle zu. Trotz aller aktueller Euphorie sind Start-ups allein zwar ein hinreichender, aber kein zwingender Marktmechanismus für die Zukunftsfähigkeit funktionierender Büromärkte in Europa. Als Innovationsschub sind sie zweifelsfrei enorm wichtig, da sie strukturverändernd wirken können.

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Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Catella Property Valuation GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, Februar 2017

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