02.05.2016

Wohnraumknappheit

Regulierung und Projektentwickler müssen sich anpassen

Andreas Gräf, COO, Instone Real Estate Group AG
Andreas Gräf

„Deutsche Gründlichkeit ist zwar super, aber es wird jetzt deutsche Flexibilität gebraucht.“ Das Zitat von Bundeskanzlerin Merkel trifft nicht nur auf die Flüchtlingsthematik zu, sondern auch auf die Wohnraumknappheit in vielen Ballungsgebieten. Denn der Wohnungsbau in Deutschland wird durch die Ordnungswut sehr stark eingeschränkt: EnEV, städtebauliche Verträge, Anforderungen an Barrierefreiheit, Emissionsschutz, Lärmschutz, Schneesicherheit… .Die Liste ist lang und führt vor allem dazu, dass die dringend benötigten Wohnungen in den großen Städten nicht gebaut werden. Einige der Regulierungen könnten ohne große Nachteile zumindest temporär ausgesetzt werden. Ein exemplarischer Punkt, der ohne großen Aufwand flexibler gehandhabt werden könnte, sind die Vorgaben zu den PKW-Stellplätzen. Darin wird vorgeschrieben, wie viele Stellplätze ein Projektentwickler beim Neubau eines Wohngebäudes schaffen muss. Die Begründung: Die Kommunen können die Kosten für die Schaffung von PKW-Stellplätzen nicht tragen, denn Stellplätze sind teuer: Die Herstellungskosten können von 2.000 Euro pro Platz bei einem ebenerdigen Stellplatz bis hin zu 25.000 Euro bei einem Platz in einer Tiefgarage reichen. Allerdings werden teilweise gar nicht mehr so viele Stellplätze benötigt: Im Zeitalter von Share-Economy & Co. besitzen immer weniger Menschen ein eigenes Auto. Insgesamt sind in Bezug auf die Stellplätze bereits erste positive Entwicklungen zu beobachten. So hat beispielsweise Frankfurt seine Stellplatzsatzung novelliert, die nun mehr Flexibilität ermöglicht. Andere Länder bzw. Kommunen sollten erwägen, ob sie diesem Beispiel nicht folgen können.

Neue Wohnkonzepte sind gefragt

Neben der Politik, die den regulatorischen Rahmen vorgibt, muss sich aber auch die Wohnungswirtschaft selbst an die veränderten Lebensgewohnheiten anpassen und flexiblere Wohnkonzepte schaffen sowie ihre Produkte stärker ausdifferenzieren. Denn die Lebensstile und Lebensrealitäten der Menschen haben sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend gewandelt. Die vielleicht wichtigste Änderung: Die Grenzen zwischen Arbeits- und Berufsleben verschwimmen immer mehr. Daher haben sich die Erwartungen der Menschen an ihre Wohnungsumgebung signifikant gewandelt. Die Wohnungswirtschaft hat noch viel zu wenig auf diese Trends reagiert. Das sollte sie aber. Denn es ist klar, dass es nicht funktioniert, die Konzepte der Vergangenheit einfach fortzusetzen. Das zeigt sich auch an den Haushaltsgrößen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren 2014 rund 41 Prozent in Deutschland Ein-Personen-Haushalte, aber der Wohnungsbestand verfügt nur über zwölf Prozent Ein- und Zwei-Zimmer-Wohnungen. Hier ist nun die Wohnungswirtschaft gefordert, das passende Angebot zu schaffen und ausreichend kleinteiligen Wohnraum in ihre Projekte zu integrieren.

Denn die gängigen Konzepte mit ihren festgelegten Grundrissen und herkömmlichen Raumproportionen erweisen sich für heutige Anforderungen als völlig ungeeignet. Ein Beispiel: 40 Quadratmeter große Wohnzimmer werden in vielen Lebensentwürfen ebenfalls nicht mehr gebraucht, weil das einstige Hauptmöbel Fernseher von raumunabhängigen Unterhaltungsmöglichkeiten wie Laptops oder Tablet Computern verdrängt wird. Die Pluralisierung der Lebensstile greift massiv in die Wohnungswirtschaft ein, weil sich dadurch der Anspruch der Menschen an ihre gebaute Umgebung radikal verändert hat. Eine Lösung sind nutzungsoffene Grundrisse, die dank modularer Bauweise jederzeit revidiert werden können. Fest vorgegeben sind dabei nur die tragenden Strukturen.

Fest steht: Wohnungen, deren Grundrisse relativ flexibel angepasst werden können, werden künftig klar im Vorteil sein – auch im Hinblick auf eine Drittverwendung. Entwickler von Wohnungsneubau müssen dies unbedingt heute schon berücksichtigen, um nicht an der Nachfrage von morgen vorbeizubauen. Geleichzeitig sollten alle regulatorischen Hemmschuhe für den Wohnungsbau auf den Prüfstand. Denn eine pragmatische – und zumindest temporäre – Aussetzung einiger Maßnahmen ist geboten.

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Erstveröffentlichung: Heuer Fach-Dialog - Temporäres Wohnen, April 2016