13.06.2016

Zusammenspiel der Assetklassen

Nutzungsmischung als Chance für urbane Lebensqualität

Prof. Dr. Guido Spars, Leiter Fachgebiet „Ökonomie des Planens und Bauens“ sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats ZIA e.V, Universität Wuppertal
Prof. Dr. Guido Spars

In der Immobilienwirtschaft und der Stadtplanung herrscht immer noch ein gewisses Ressortdenken vor. Um zukunftsfähige und lebenswerte Städte (weiter) zu entwickeln braucht es aber einen interdisziplinären und synergetischen Ansatz und einen Blick auf die volkswirtschaftlichen Vorteile der Quartiersentwicklung. Der Beitrag erläutert die Ansatzpunkte und Chancen mithilfe einer mutigeren Nutzungsmischung zu einer zeitgemäßen urbanen Stadtentwicklung zu finden.

Die heutige Stadt ist das Ergebnis permanenter Veränderungen in Wirtschaft, Demografie, Technologie und Mobilität. Das räumliche Management dieser komplexen Veränderungsprozesse stellt eine große Herausforderung für Stadtplanung und Immobilienwirtschaft dar, insbesondere wenn die Stadtentwicklung nachhaltig gelingen soll. Vergegenwärtigt man sich diese anspruchsvolle Aufgabe, so drängt sich der Eindruck auf, dass das Zusammenspiel der wesentlichen Akteure in unseren Städten noch nicht optimal funktioniert.

Was ist eine lebenswerte Stadt?

Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff der lebenswerten Stadt die Idee der (europäischen) „Stadt der kurzen Wege“, einer urbanen und bunten Mischung, einer funktionierenden Nahversorgung und einer gewissen Dichte und das Vorhandensein von Grün- und Freiflächen sowie entsprechender Mobilitätsangebote.

So sehen in einer Befragung von Difu und Bergischer Universität Wuppertal rund 90 Prozent der kommunalen Vertreter in der Nutzungsmischung die Voraussetzung für lebendige Quartiere und 97 Prozent sehen sie als Grundlage für die Stadt der kurzen Wege an (Pätzold, Bunzel, Spars et al. 2015). Was hier so selbstverständlich und nachvollziehbar klingt, ist in Wirklichkeit aber ungeheuer schwer zu planen und zu entwickeln. Dies liegt zum Teil auch daran, dass sowohl bei den Planern als auch in der Immobilienwirtschaft ein Denken in Ressorts bzw. in Assetklassen noch weit verbreitet ist. Das ist beispielsweise auch daran zu erkennen, dass bei der in den letzten Jahren vorherrschenden „Hochkonjunktur“ des Wohnens in den gefragten Städten viele Büroprojekte und gewerbliche Standorte eher als nachrangig betrachtet wurden und die Konkurrenz der Nutzungen – z.B. um knappes Bauland – noch stärker als sonst hervorgetreten ist.

Es liegt aber auch daran, dass zu Fragen der räumlichen Körnung unterschiedliche Auffassungen und Erfahrungen existieren. Viele Projektentwickler und Architekten sind nach wie vor auf ihr einzelnes Gebäude fixiert und beziehen das umliegende Quartier und die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Gebäude und Quartier noch nicht ausreichend in ihre Überlegungen mit ein.

Auch trifft man bei kommunalen Planern häufig die Forderung, dass die Nutzungsmischung möglichst auch vertikal in dem jeweiligen Gebäude abzubilden sei. Dies ist bei Hochhäusern und Großprojekten wie z.B. De Rotterdam oder Upper West Berlin zwar kein Problem. Bei geringeren Gebäudehöhen möchte die Immobilienwirtschaft hingegen die Mischung aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht vertikal, sondern lieber im quartierlichen Rahmen, maximal aber auf Baublockebene umsetzen.

Quartiersentwicklung aus volkswirtschaftlicher Perspektive

Aus volkswirtschaftlicher Sicht lassen sich bei der Quartiersentwicklung die Problematiken „externer Effekte“ bzw. „öffentlicher Güter“ erkennen. Es stellt sich somit die Frage, inwieweit die ökonomischen Vorteile der Mischung durch einzelne Akteure tatsächlich gesehen und auch „gehoben“ werden können. Oder handelt es sich lediglich um „öffentliche“ oder „meritorische Güter“ wie Urbanität, sozialer Ausgleich, Flair etc.? Einige Teile des „lebenswerten“ Quartiers würden unter rein betriebswirtschaftlichem Kalkül somit nicht entstehen, da der jeweilige Investor keinen ausreichenden Ertrag für Investitionen in diese Form der Quartiersqualität erwartet.

Auf dem Gebiet der (Weiter-)Entwicklung von gemischten Quartieren existieren noch eine Menge Mess- und Wahrnehmungsprobleme bei den handelnden Akteuren. So werden bei der Quartiersentwicklung beispielsweise selten stadtökonomische Analysen mit einbezogen.

Dem Problem des öffentlichen Gutes bei der Quartiersentwicklung kann man mit ganzheitlichen Quartiersentwicklungsansätzen begegnen, bei denen dann auf der größeren Projektskala Investitionen in öffentliche oder meritorische Güter ihren Beitrag zum Ertrag des Gesamtprojektes erbringen. So kann der immobilienwirtschaftliche Entscheider den betriebswirtschaftlichen Vorteil der Mischung erkennen und auch „heben“ (z.B. Binnenlageeffekte mit einbeziehen).

Mit der Entwicklung ganzer Quartiere oder der Weiterentwicklung bereits bestehender Stadtteile hat die Branche in Deutschland erst vor ca. 25 Jahren begonnen. Seit den 1990er Jahren sind laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bereits rund 300 Quartiersentwicklungen mit entweder mehr als 500 Wohneinheiten oder 1.000 Einwohner oder auf mehr als 10 Hektar entstanden. Nadler und Guhl (2015) berichten auf der Grundlage weiter gefasster Auswahlkriterien sogar von 514 neuen Quartiersentwicklungen die in den letzten 25 Jahren entstanden sind. Da in dieser Erhebung nur ca. 20 Prozent der Quartiere im City Centre (CBD) verortet werden, kann unterstellt werden, dass der Aspekt der Nutzungsmischung bei der Quartiersentwicklung noch nicht „ausgereizt“ ist.

Ansatzpunkte und Chancen

Folgende Chancen und Ansatzpunkte können bei den zukünftigen Quartiersentwicklungen gesehen werden. Die interdisziplinäre Planung und die dynamische Marktanalyse sollten sich künftig als Standard durchsetzen. Hierbei muss die Kommunikationsfähigkeit der Akteure aus unterschiedlichen Bereichen untereinander gestärkt werden. Aus Sicht der Investoren und auch der Finanziers sollte die Funktionsmischung als Risikodiversifikationsstrategie verstanden werden.

Die Entwicklungskonzepte können ab einer gewissen Größenordnung „Binnenlage-Effekte“ erzielen und die Nutzungen Wohnen und Arbeiten offensiver mischen. Es sollten die Synergieeffekte von Nutzungsmischungen insgesamt stärker in den Vordergrund gestellt und auch für Marketingzwecke eingesetzt werden. Es gibt somit genügend Argumente für die Entwicklungsakteure mutiger mit dem Thema der Nutzungsmischung umzugehen und ihre Vorteile im Sinne einer zeitgemäßen urbanen Stadtentwicklung auch zu nutzen.

Literatur

Pätzold, Bunzel, Spars et al. (2015) Nutzungsmischung und soziale Vielfalt im Stadtquartier – Bestandsaufnahme, Beispiele, Steuerungsbedarf, Endbericht des gleichnamigen Forschungsprojektes im Auftrag des MBWSV NRW, Düsseldorf.

Nadler und Guhl (2015) Development finance for new urban quarters – a reasonable investment market for urban development funds? Arbeitspapiere zur integrierten Immobilienentwicklung, Band, Nr. 3, TU Dortmund.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2016