09.06.2015

Zeit für eine gründliche Reform

Lebendigkeit, Dichte und Mischung. Eine Novelle der Baunutzungsverordnung (BauNVO) ist überfällig.

Prof. Jörn Walter, Oberbaudirektor der Freien und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg
Prof. Jörn Walter


Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) wurde 1962 erlassen und seitdem in manchen Details verändert, aber nicht in ihren Grundzügen reformiert. Sie atmet noch immer den Geist der Charta von Athen mit den Idealen der Funktionstrennung und der durchgrünten, eher locker bebauten Stadt. Heute streben wir nach Lebendigkeit, Dichte und Mischung. Auf dem Weg hilft uns die Baunutzungsverordnung nicht, sondern legt uns immer wieder Steine in den Weg. Zwar finden wir meist eine Lösung über komplizierte Ausnahmeregelungen – aber das ist arbeitsaufwendig, manchmal ein rechtlicher Balanceakt und Bürgern oft schwer zu vermitteln. Es ist Zeit für eine gründliche Reform, die die Baunutzungsverordnung vom Hindernis wieder zum Hilfsinstrument für gesellschaftlich gewünschte und von den Städten demokratisch beschlossene Ziele macht.

Beginnen wir mit der Dichte. Beispielsweise für Wohngebiete sieht die Baunutzungsverordnung eine maximale Grundflächenzahl (GRZ) von 0,4 und eine höchstmögliche Geschossflächenzahl (GFZ) von 1,2 vor. Diese Maße entsprechen dem Ideal der gegliederten, aufgelockerten Stadt und erzwingen aus heutiger Sicht Flächenfraß und suburbane Zersiedlung. In Hamburger Gründerzeitgebieten haben wir meist eine GRZ von 0,8 und eine GFZ von 2,0 bis 3,0. Und dies sind keine Slums, sondern die begehrtesten Quartiere der Stadt. Auch die Hamburger Hafencity entwickeln wir mit einer Dichte von 2,3 bis 3,0, in Kernbereichen bis zu 3,5. Dafür sind aufwändige Begründungen notwendig. Das bindet Ressourcen, bringt Verluste an Zeit und Transparenz und dient nur Juristen als Instrument zur Arbeitsbeschaffung.

Absurd ist auch, dass GRZ und GFZ für einzelne Grundstücke gelten und öffentliche Flächen nicht berücksichtigt werden dürfen. Das führt dazu, dass Freiflächen um Gebäude am besten privat sind, damit niedrigere GFZ-Werte eingehalten werden können. Ausgerechnet die Planung zugunsten großzügiger öffentlicher Räume führt zu rechtlich schwierigen, hohen Dichtewerten. In der Hamburger Hafencity differiert zum Beispiel die GFZ je nach Einberechnung der öffentlichen Flächen um etwa 0,5. Im Minimum brauchen wir deshalb die Möglichkeit zur Festsetzung einer Quartiersdichte.

Noch besser wäre, § 17 BauNVO ersatzlos aufzuheben. Wir brauchen keine gesetzlichen Höchstwerte, die vom Potsdamer Platz in Berlin bis zum Dorfkern von Posemuckel alles über einen Kamm scheren. Die Abwägungsgrundsätze des § 1 Abs. 5 und 6 BauGB reichen aus und die kommunale Planungshoheit würde gestärkt.

Lästig sind auch viele Nutzungskataloge für die verschiedenen Gebietstypen der BauNVO. In Kerngebieten ist Wohnen nur ausnahmsweise zulässig. In reinen Wohngebieten darf es erst nach einer aktuellen Gesetzesänderung Kindergärten geben – aber nur so viele, wie von den Gebietsbewohnern selbst gebraucht werden. Plätze für Kinder aus der Nachbarschaft sind nicht zulässig. In Mischgebieten müssen Wohnen und gewerbliche Nutzung gleichwertig (quantitativ) sein, weshalb sie wegen anderer Realitäten vor Ort kaum mehr festgesetzt werden. In Gewerbegebieten dürfen nur Betriebsinhaber oder -leiter wohnen. Dabei ist ein immer größerer Teil des Gewerbes weitgehend frei von Emissio nen und Schwerverkehr. Außerdem gibt es Orte, die gerade wegen ihres Gewerbes für das Wohnen attraktiv sind. Ein Beispiel aus Hamburg ist die Schlossinsel im Harburger Binnenhafen.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Baunutzungsverordnung ist noch immer von der veralteten Grundannahme geprägt, das unterschiedliche Nutzungen und hohe Dichten vor allem störend seien. Das mag in Einzelfällen stimmen. Aber der Andrang auf zentrale und gemischte Gebiete zeigt, dass eine Mehrheit der Bewohner und Interessenten inzwischen anders denkt und ein städtisches Leben mit starker Durchmischung, kurzen Wegen und hoher Dichte sucht. Gesetze sollten das ermöglichen und begleiten, aber nicht dem Bürgerwillen im Weg stehen.

Deshalb muss parallel auch das eng mit dem Bauplanungsrecht verknüpfte Immissionsschutzrecht an die heutigen technischen Möglichkeiten und städtebaulichen Ziele angepasst werden. Der strikte Trennungsgrundsatz nach § 50 Bundesimmissionsschutzgesetz (Blm- SchG) verhindert in vielen Fällen die Mischung von Wohnen und Arbeiten im Rahmen der Innenentwicklung. Die Regelung der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) zur Immissionsortfestlegung von 0,5 m vor dem geöffneten Fenster lässt die Berücksichtigung passiver Schallschutzmaßnahmen nur in wenigen Ausnahmefällen zu – eine völlig antiquierte Vorschrift in Anbetracht der Schalldämmmaße, die mit heutigen Fenstern erreicht werden. Richtig wäre, mit Ausnahme besonders schutzwürdiger Außenraumnutzungen, heutzutage auf Innenpegel abzustellen. Nicht der Immissionsschutz ist überholt, aber die Verfahren, mit denen er sichergestellt werden soll. Hier könnte eine Berücksichtigung des heutigen „Standes der Technik“ eine kleine Revolution zugunsten der gemischten und Arbeitsplätze schaffenden Stadt auslösen.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2014/2015