30.07.2021

"Ökosystem Frankfurt"

ESG, digitale Infrastruktur & Innovation

Michael Jakobi, Senior Consultant, contagi Digital Impact Group
Michael Jakobi

Europa  im  Allgemeinen  und  Deutschland  im  Besonderen  machen  es  sich  bei  der Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft nicht leicht. So allgemein akzeptiert die Nachhaltigkeitsziele der UN, so sehr die Worte Ecological – Social – Governance (kurz: ESG) in aller Munde sind, so weit auseinander gehen die Haltungen und Handlungen, wie diese erreicht werden sollen. 

Insbesondere  in  Deutschland  ist  der  Wille  immens,  die  gesteckten  Ziele  in  allen Bereichen  und  auf  die  bestmögliche  Weise  zu  erfüllen  –  technischer  Fortschritt  soll egalitär,  demokratisch  und  datenschutzkonform  sein;  die  Energiewende  die  Umwelt schützen, ohne das Wirtschaftswachstum zu gefährden. Zielkonflikte und Grenzen, an die  wir  so  zwangsläufig  stoßen,  versuchen  wir  mit  viel  (technischem)  Know-how  und noch mehr Kapitaleinsatz zu lösen und zu überwinden.

Im Bereich der Digitalisierung und ihrer dahinterliegenden Infrastruktur wird die Ambivalenz noch deutlicher. Einerseits ist diese ein Schlüsselbaustein für ESG: sei es der Ersatz der Dienstreise durch ein virtuelles Meeting, der Online-Zugang zu Bildungszwecken auf dem Land oder die im Internet frei zugänglichen Informationen zum Handeln der öffentlichen Hand - um nur drei Beispiele zu nennen. Auf der anderen Seite verbraucht Digitalisierung große Mengen an Ressourcen, sei es Strom für Rechenzentren  oder  Seltene  Erden  für  Batterien  und  Geräte.  Auch  setzt  sie  neue Hürden in sozialer und beruflicher Teilhabe und steht durch die Datensammlung und -analyse, vor allem durch (amerikanische) Großkonzerne, in der Kritik.

Die  „Lösung“  dieses  Spannungsverhältnisses  läuft  leider  oft  auf  Stillstand  hinaus  - regulatorische  Anforderungen  verprellen  Investoren,  NIMBY  (Not  in  my  Backyard) Proteste  verhindern  oder  verzögern  kritische  Projekte  und  Prozesse  werden  „aus Datenschutzgründen“ nicht digitalisiert. Dass damit am Ende weder dem Klima noch der Gesellschaft geholfen ist, scheint zweitrangig zu sein.  

Gerade in Frankfurt, einer Stadt, die sich von der Banken- zur Daten-Hauptstadt der EU entwickelt (hat), zeigt sich die Herausforderung in der Praxis: so befindet sich die Stadt am Main, trotz fraglos vorhandenem Kapital, Know-how und Infrastruktur, weder auf Smart City Level (Hamburg) noch bei den Start-ups (Berlin/ Rhein-Ruhr/ München) an
der bundesdeutschen, geschweige denn europäischen Spitze. Auch mit der Rolle als (weltweit größter)  Internetknoten  und  bedeutender  Rechenzentrumsstandort  hadert die Stadt – schwierige Energieversorgung, ungenutzte Abwärme, verdrängtes Gewerbe - um nur einige Kritikpunkte zu nennen.

Die neue Regierungskoalition im Stadtparlament ist bestrebt, durch eine Digitalisierungsstrategie  auf  der  einen  und  regulatorische  Anforderungen  auf  der anderen Seite Abhilfe zu schaffen und nimmt dabei die Betreiber der Rechenzentren in  die  Pflicht,  z.B.  beim  Thema  Abwärme.  Hier  gibt  es  mit  dem  neuen  Telehouse
Datacenter in der Kleyerstraße auch schon einen Piloten, bei dem in Zusammenarbeit mit der Mainova Rechenzentrums-Abwärme ein Neubaugebiet beheizen soll. Dieses – sehr positive – Beispiel ist jedoch keine Patentlösung, sind die Bedingungen an anderen Standorten doch weit weniger optimal, von der Wirtschaftlichkeit bei der Umrüstung bestehender Infrastrukturen ganz zu schweigen.  

Von daher wird sich auch Frankfurt der Herausforderung stellen müssen, ganzheitliche Konzepte in Sachen Digitalisierung und digitaler Infrastruktur zu entwickeln – auf Basis fundierter Daten und unter Einbeziehung nicht nur der Rechenzentren, sondern auch einer  Vielzahl  anderer  Stakeholder  vom  Start-up  bis  zum  Hyperscaler  (AWS,  Google, Microsoft  &  Co).  Das  sich  diese  Akteure  in  Frankfurt  und  im  gesamten  Rhein-Main Gebiet auf geografisch engstem und doch international vernetztem Raum befinden, ist  dabei  eine  wichtige  Komponente,  die  menschlich  wie  technisch  Vorteile  bringt. Während  also  Unternehmensserver  mit  niedriger  Latenz  Daten  austauschen  und Großrechner  den  Einsatz  künstlicher  Intelligenz  ermöglichen,  können  menschliche
Entscheidungsträger  und  Spezialisten  physisch  zusammenkommen,  um  gemeinsam Lösungen zu finden.
 
Das  die  Thematik  in  den  nächsten  Jahren  an  Komplexität  und  Bedeutung  verliert, glaubt  niemand.  Im  Gegenteil,  vor  dem  Hintergrund  schwindender  Ressourcen  und fortschreitendem  Klimawandel,  sozialer  Ungleichheit  und  politischen  Spannungen, benötigen wir die Digitalisierung mehr denn je - für mehr Effizienz und soziale Teilhabe, schlankere  Verwaltung  und  schnellere  Prozesse  im  Allgemeinen.  Der  nun  endlich  in vollem Gange befindliche Glasfaserausbau, zusammen mit 5G und seinen Möglichkeiten,  vorhandenen  Ansätzen  wie  IoT,  KI,  M2M  usw.  zum  Durchbruch  zu verhelfen, sind hier wichtige Bausteine, ebenso wie Clouds und Applikationen.  

Zusammenfassend  lässt  sich  feststellen:  Erst  wenn  man  Rechenzentren  und  die  dort laufenden Applikationen als Teil eines komplexen Ökosystems, als Teil des gesellschaftlichen  Wandels  und  der  Energiewende,  betrachtet  und  deutlich  mehr Akteure  einbindet,  kann  das  Versprechen  einer  „ESG  –  positiven“  Digitalisierung eingelöst  werden.  Ob  in  Frankfurt,  in  Deutschland  oder  Europa,  ergibt  sich  so  die historische Chance, digitalen Wandel menschen- und klimafreundlich, frei und demokratisch zu gestalten.

Quellen/ weiterführend:
Bitkom Smart City Ranking
Borderstep/ eco, Hintemann/ Hinterholzer RECHENZENTREN IN EUROPA – CHANCEN FÜR
EINE NACHHALTIGE DIGITALISIERUNG

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Breitbandatlas
Datacenter-Insider zu „Grünen“ Rechenzentren
Digitalstrategie Frankfurt a.M.
Internetknotenpunkt Frankfurt - DE-CIX
Koalitionsvertrag Frankfurt a.M. 2021-2026
Mainova zu RZ Abwärmenutzung Telehouse Frankfurt
PwC, Deutscher Start up Monitor
United Nations - Sustainable Development - The 17 Goals

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Erstveröffentlichung: Juli 2021, Website finanzplatz-frankfurt-main.de

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