14.09.2022

Marktradar September 2022

Zinswende zeigt Auswirkungen am Immobilienmarkt

Francesco Fedele, CEO, BF.direkt AG
Prof. Dr. Steffen Sebastian, Lehrstuhl für Immobilienfinanzierung (Real Estate Finance), IREBS Institut für Immobilienwirtschaft
Francesco Fedele

Im August stieg die Inflation im Euroraum auf 9,1% zum Vorjahr und damit auf Rekordniveau. Seit der Existenz des Euro ist die Inflation noch nie so stark gestiegen. Die EZB erhöht nun den Leitzins deutlicher als erwartet, um die Inflation einzudämmen.

Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag, den 8. September den Leitzins stärker als erwartet angehoben. Marktbeobachter hatten mit einer Anhebung um 0,5 Prozentpunkte gerechnet, tatsächlich erhöhte die Notenbank den Zins um 0,75 Prozentpunkte. Der Wert liegt nun bei 1,25 Prozent und erreicht damit ein Niveau wie zuletzt im November 2011. Die EZB stellte zugleich weitere Zinserhöhungen in den nächsten Monaten in Aussicht. Hauptgrund für den Schritt ist die Inflation: In vielen Euro-Staaten liegt die Inflationsrate noch deutlich höher als in Deutschland; beispielsweise in Estland bei über 25 Prozent.

Insgesamt betrachtet werden die höheren Zinsen die Preisentwicklung im Immobilienmarkt bremsen; in einigen Segmenten werden die Preise auch sinken. Zwischen Dezember 2021 und Juni 2022 haben sich die Zinsen für zehnjährige Standardkredite bereits mehr als verdoppelt. Eine Vier vor dem Komma erscheint nicht mehr unrealistisch. Damit wäre Baugeld im langjährigen Mittel allerdings noch nicht übermäßig teuer. Vor zehn Jahren lagen Kredite mit zehnjähriger Zinsbindung bei rund 3,7 Prozent. Außergewöhnlich ist aber die Geschwindigkeit des Anstiegs.

Zinsanstieg zeigt Wirkungen auf den Transaktionsmarkt

Die aktuelle Zinsentwicklung wirkt sich auf Objekte, die zur Finanzierung einen hohen Anteil an Fremdkapital benötigen, bereits aus. Viele Interessenten können beim aktuellen Zinsniveau jetzt deutlich weniger oder gar nicht mehr finanzieren. Die Vermarktungszeiten verlängern sich bereits spürbar. Auch für Finanzierungsanfragen benötigen die Banken derzeit mehrere Wochen statt wenige Tage – hoffentlich ein vorübergehender Sondereffekt, weil die Institute mit Anfragen für Erst- und Anschlussfinanzierungen überlastet sind.

Von den Veränderungen besonders betroffen ist der Neubau. Die gestiegenen Zinsen, die hohen Baukosten, dazu noch die ausgelaufene KfW-Förderung machen den Neubau an vielen Standorten unrentabel. Die Anzahl der Baugenehmigungen ist im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland bereits um 17 Prozent gesunken. Ein weiterer Rückgang der Bautätigkeit ist zu erwarten; viele Projekte sind bereits eingestellt. Laut Verband der Bayerischen Wohnungsunternehmen wollen 60 Prozent der Mitglieder Neubau- und Modernisierungsprojekte zurückstellen, falls die Baukosten nicht wieder sinken.

Leider ist ein Ende der hohen Baukosten vorerst nicht in Sicht, denn hierfür müssten die internationalen Lieferketten wieder funktionieren und der Ukraine-Krieg beendet werden. Die Teuerung ist mit hoher Wahrscheinlichkeit vorübergehend, könnte aber länger andauern, als sich viele Marktteilnehmer leisten können.

Druck auf den Wohnungsmietmarkt steigt

Viele Interessenten für Eigenheime können nicht mehr kaufen oder verschieben angesichts der Unsicherheit vorerst ihre Pläne – und drängen nun auf den Mietmarkt. Die Fluchtbewegungen aus der Ukraine dürfte die Wohnraumnachfrage ebenfalls zusätzlich deutlich steigen lassen. Mit weiter steigenden Mieten ist daher zu rechnen. Im zweiten Quartal stiegen die Angebotsmieten für Bestandswohnungen um 2,7 Prozent. Hohe Mieterwartung sind preistreibend, weshalb eine Prognose der Deutschen Bank nur einen kurzen Rückgang der Immobilienpreise prophezeit.

Zinsentwicklung

Im August verzeichneten die langfristigen Zinsen eine bislang beispiellose Rallye. Nachdem der 10-Jahres-Zinswap im Juni bis von 2,22 auf 1,73 gesunken ist, stieg bis Ende August wieder auf 2,37 Prozent an. Der Anstieg bei den kurzfristigen Zinsen fiel ebenfalls stark aus. Der 3-Monats-Euribor stieg von 0,246 Anfang Juni auf zuletzt 0,620 Prozent. Der 6-Monats-Euribor stieg ebenfalls von 0,654 am Monatsanfang auf zuletzt 1,193 Prozent.

 

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Ausblick       

Weder die Dauer des Ukrainekriegs noch die weitere Entwicklung der Lieferkettenproblematik ist derzeit seriös prognostizierbar. Vorerst kann mit einer Entspannung der Lage also nicht gerechnet werden. Weiter steigende Zinsen sind wahrscheinlich und damit sinkende Preise zumindest im Bereich des Möglichen. Ein dramatischer Preiseinbruch bei Immobilien bleibt aber unserer Meinung nach unwahrscheinlich.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von BF.direkt AG, IREBS
Erstveröffentlichung: bf-direkt.de, September 2022

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