14.09.2022

Mietspiegel-Termin wird knapp

Prof. Dr. Steffen Sebastian erläutert, wie es um die Transparenz des Mietwohnungsmarkts steht

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Seit 1. Juli müssen Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern einen Mietspiegel veröffentlichen. Sofern sie nicht auf einen bereits vorliegenden Spiegel zurückgreifen können, haben sie bis zum 1. Januar 2023 Zeit einen einfachen Mietspiegel zu erstellen. Für einen qualifizierten Mietspiegel läuft die Frist bis zum 1. Januar 2024. Der Unterschied: Die Verarbeitung der Daten für den einfachen Mietspiegel ist nicht mit einem wissenschaftlichen Verfahren verknüpft, doch es muss dokumentiert werden, wie die Daten erhoben und verarbeitet wurden. Für den qualifizierten Mietspiegel müssen Primärdaten bei Mietern und Vermietern erhoben werden und mittels Regressions- oder Tabellenanalyse verarbeitet werden. Prof. Dr. Steffen Sebastian war an der Reform des Mietspiegelrechts als Berater beteiligt und ist Vorsitzender der Mietspiegelkommission der gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V.

 

The Property Post: Herr Prof. Dr. Sebastian, nehmen viele Städte die Pflicht zur Erstellung eines Mietspiegels nicht ernst?
Prof. Dr. Steffen Sebastian:
Grundsätzlich schon. Ich sehe jetzt einige Ausschreibungen der Städte, die externe Dienstleister beauftragen, bis zu Beginn des Jahres 2024 einen qualifizierten Mietspiegel für sie zu erstellen. Allerdings könnten die verbleibenden 16 Monate bis zur Fertigstellung sehr knapp bemessen sein. Zumal zwar mehrere Unternehmen Mietspiegel erstellen, aber letztendlich nur etwa ein Dutzend Personen diese Arbeit leisten.

TPP: Sieht es denn bei den Städten, die einen einfachen Mietspiegel vorlegen wollen, besser aus?
SS:
Bedingt. Mein Eindruck ist, dass einige Städte den Termin für den einfachen Mietspiegel verpassen werden. Zu einem einfachen Mietspiegel gehört zwingend auch eine Dokumentation und die liegt bislang fast nirgendwo vor. Am 1. Januar werden viele erschrocken aufwachen und merken, dass sie nun eigentlich einen qualifizierten Mietspiegel erstellen müssen, da rechtlich gesehen kein einfacher Mietspiegel vorhanden ist. Ein einfacher Mietspiegel lässt sich im Extremfall binnen 14 Tagen erarbeiten, für einen qualifizierten braucht ein Dienstleister in etwa ein Jahr. Doch zuvor muss – wie beschrieben – ausgeschrieben werden und bis zur Auftragsvergabe vergeht Zeit.   

TPP: Nehmen wir mal an, dass doch einige Städte früher aufwachen. Trauen Sie es Städten zu, selbst einen Mietspiegel zu erstellen?
SS:
Ja, ein gutes Beispiel ist Leipzig, die achtgrößte Stadt in Deutschland. Die Stadt hat eine gut besetzte Statistikstelle, Erfahrung mit Umfragen und statistischen Auswertungen und war so in der Lage, einen sehr guten qualifizierten Mietspiegel zu erstellen. Auch in Stuttgart wird das mittlerweile sehr professionell gemacht. Es gibt noch weitere Kommunen, die strukturell und personell besser aufgestellt sind als so mancher professionelle Mietspiegelersteller. Aber dennoch sollte keine Kommune leichtfertig auf die Idee kommen, einen qualifizierten Mietspiegel selbst zu machen. Das ist eine ausgesprochen komplexe Angelegenheit.

TPP: Ab welcher Einwohnerzahl muss eine Stadt einen qualifizierten Mietspiegel vorlegen?
SS:
Eine derartige Verpflichtung gibt es nicht. Der Gesetzgeber lässt den Städten unabhängig von der Größe die Wahl zwischen einfachem oder qualifiziertem Mietspiegel. Unsere Forderung ist, dass dort, wo die Mietpreisbremse gilt, ein qualifizierter Mietspiegel existieren muss, auch wenn die Gemeinde weniger als 50.000 Einwohnen hat. Solche Gemeinden befinden sich etwa im Umland von München. In diesen Kommunen ist der Mietmarkt kaum weniger angespannt als in München selbst. Bei Großstädten ab 100.000 Einwohnern sollte es dann ebenfalls ein qualifizierter Mietspiegel sein. So steht es auch im Koalitionsvertrag.

TPP: Gibt es denn Großstädte ohne qualifizierten Mietspiegel?
SS:
Leider, so etwa die rheinischen Metropolen Köln und Düsseldorf. Zusätzliches Problem ist, dass diese beiden Städte noch keine Dokumentation zu ihren einfachen Mietspiegeln veröffentlicht haben, was sie am 1. Juli hätten tun müssen. Formal haben die Städte keine Mietspiegel mehr. Faktisch hat das aber nur geringe Auswirkungen. Auch mit diesen ungültigen Mietspiegeln kann eine Mieterhöhung begründet werden.

TPP: Was genau muss dokumentiert werden?
SS:
Im Gesetz heißt es schwammig, dass die „Grundzüge“ der Erstellung offengelegt werden müssen. In vielen Städten erstellen Mieterverein und Vertreter der Vermieter auf Basis empirischer Erhebungen oder auch nur aufgrund ihrer Einschätzungen einfache Mietspiegel. Tatsächlich habe ich kaum eine Kommune gefunden, die für einfache Mietspiegel bereits eine Dokumentation vorgelegt hat. Das liegt auch daran, dass diese häufig gemeinsam von Mieter- und Vermietervereinen ohne wesentliche Beteiligung der Kommune erstellt werden.

TPP: Was kann ein Bürger tun, wenn seine Wohnortgemeinde den Mietspiegel nicht oder nicht rechtzeitig veröffentlicht?
SS:
Nicht viel. Theoretisch könnten Mieter und Vermieter die Stadt wegen Untätigkeit verklagen. Auch kann jeder Bürger Beschwerde bei der Kommunalaufsicht des Landes einlegen, wenn die Kommune ihr auferlegte Aufgaben – hier die Erstellung eines Mietspiegels – nicht erfüllt. Aber das ist reine Theorie. Verspätungen sind daher wahrscheinlich, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine Kommune der Verpflichtung zur Erstellung eines Mietspiegels dauerhaft entzieht. Dafür ist das einfach politisch zu bedeutsam.

TPP: Die Beschwerden, so sie kommen, werden nicht dazu führen, dass Mietspiegel überall fristgerecht vorgelegt werden. Was bedeutet es, wenn es zum Streit zwischen Mietern und Vermietern über die Miethöhe kommt?
SS:
Ohne Mietspiegel ist der vom Gesetzgeber gewünschte Mieterschutz nicht gegeben. Der Vermieter kann dann Mieterhöhungen mit den Mieten von drei Vergleichswohnungen begründen. Selbst wenn Zweifel an der Begründung bestehen, scheuen Mieter in der Regel das Prozesskostenrisiko. Vermieter können es eher darauf ankommen lassen, weil sie die Prozesskosten steuermindernd geltend machen können.

TPP: Warum laufen die Mietervereine nicht Sturm gegen diese Situation?
SS:
In manchen Gemeinden hat sich die seltsame Meinung etabliert, dass die Existenz eines Mietspiegels Mieterhöhungen begünstigt und es deswegen im Interesse der Mieter sei, wenn kein Mietspiegel existiere. Ich halte diese Auffassung für falsch. Ein Mietspiegel schützt Mieter vor überzogenen Mietforderungen. Er erleichtert zwar für Vermieter den Verwaltungsaufwand einer moderaten Mieterhöhung. Viele moderate Mieterhöhungen senken aber die ortsübliche Vergleichsmiete, die als Mittelwert der Mieterhöhungen und der Miete bei Neuvermietungen gebildet wird. Bei Neuvermietungen wird regelmäßig eine höhere Miete als bei Mieterhöhungen verlangt. Ein Mietspiegel kann also dazu beitragen, dass die Mietpreisentwicklung gebremst wird. Für Städte über 50.000 Einwohner hat sich aufgrund der Mietspiegelpflicht das Thema erledigt. Anders ist es in kleineren Gemeinden, die keinen Mietspiegel, aber trotzdem einen angespannten Wohnungsmarkt haben. Dort sollten die Mietervertreter langsam mal öffentlich Druck machen, damit ein qualifizierter Mietspiegel erstellt wird. Oder sich wenigstens mit dem Vermieterverein auf einen einfachen Mietspiegel einigen.

TPP: Hätte der Druck Aussicht auf Erfolg?
SS:
Ich glaube schon. Das Thema Mietspiegel hat immer größere Bedeutung. Wenn etwa Bremen und Würzburg, die derzeit noch keinen Mietspiegel haben, zu Beginn des Jahres 2024 keinen Mietspiegel vorlegen würden, müssten sie mit heftigen Angriffen der Bürgerinnen und Bürger rechnen, selbst wenn der Mieterverein Ruhe halten würde. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass in Städten mit einfachen Mietspiegeln, in denen derzeit die Dokumentation noch fehlt, eine Oberbürgermeisterin oder ein Oberbürgermeister sich vor seine Gemeinde stellt und sagt: ‚Das fanden wir nicht so wichtig.‘ Dazu ist Wohnungspolitik ein viel zu heißes Eisen .

TPP: Herr Prof. Dr. Sebastian, vielen Dank für das Interview.

 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von IRBES
Erstveröffentlichung: The Property Post, September 2022

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prof_dr_steffen_sebastian_13.jpegProf. Dr. Steffen Sebastian wusste schon vor mehr als 30 Jahren, was er will:  wirtschaftswissenschaftlich forschen. Für Außenstehende war dieses Ziel während der Ausbildung zum Steuerfachgehilfen noch nicht erkennbar. Doch dem Berufsabschluss 1990 folgte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre, das Sebastian 2003 mit der Promotion an der Universität Mannheim abschloss. Das in diesem Tagen wieder aktuelle Thema seiner Dissertation: „Inflationsrisiken von Aktien-, Renten- und Immobilieninvestments“. Der Habilitation an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt 2006 folgte noch im gleichen Jahr die Berufung auf den Lehrstuhl für Immobilienfinanzierung an der IREBS International Real Estate Business School der Universität Regensburg. Seit 2009 ist er stellvertretender Direktor des zwei Jahre zuvor von ihm mitgegründeten Center of Finance an der Universität Regensburg. Noch im gleichen Jahr übernahm er eine Forschungsprofessur am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

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