18.01.2023

Historische Bedrohung unseres Wohlstands

Ein Blick auf die aktuelle Konjunkturentwicklung

Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn, emeritierter Präsident ifo Institut, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München,
Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn

Hans-Werner Sinn ist einer der bedeutendsten deutschen Ökonomen. Wir haben mit ihm über die aktuelle Krise gesprochen. Eine nachhaltige Lösung der Energiekrise hat die Bundesregierung seiner Meinung nach noch nicht gefunden. Die Zinsen werden 2023 weiter steigen, die Realzinsen aber dennoch negativ bleiben. Bei den Immobilienpreisen erwartet er in den nächsten Jahren eine Seitwärtsbewegung mit leichten Preissenkungen.
 
TPP: Wie ist die wirtschaftliche Situation Deutschlands Anfang 2023 im Vergleich zu vor einem Jahr?
Hans-Werner Sinn:
Die Situation hat sich deutlich verschlechtert, wie alle Daten bestätigen. In den Prognosen des IWF ist Deutschland mit einem Wachstum von -0,4% so ziemlich das Schlusslicht unter allen relevanten Ländern. Allerdings ist die Situation schon wieder dabei, sich ein kleines bisschen aufzuhellen. Die Exporte laufen wieder ganz gut und die Erwartungen der Unternehmen sind etwas weniger pessimistisch.

TPP: Ist diese Krise eher temporärer Natur oder ist es wirklich eine Bedrohung unseres Wohlstands?
HWS:
Es handelt sich um eine historische Bedrohung. Wir sind abhängig von der russischen Energie, rund 30 Prozent unserer Primärenergie kam aus Russland. Diese muss ersetzt werden und das ist auf jeden Fall teuer – vor allem beim Gas. Beim Öl ist es etwas einfacher. Hier gibt es mehr Anbieter auf dem Weltmarkt.

TPP: Sind wir bei der Bewältigung der Krise – Stichwort LNG-Deals – schon auf einem guten Weg, oder kommt das dicke Ende erst noch?
HWS:
Das, was die Politik bislang macht, ist akutes Krisenmanagement. Das ist vertretbar, aber teuer. Eine nachhaltige Lösung unserer Probleme besteht darin, billiges Röhrengas als Ersatz für das russische Gas anderswo zu finden. Das ist schwierig, weil die Pipelines erst gebaut werden müssen und viele mögliche Lieferländer nicht über die entsprechenden Kapazitäten verfügen.

TPP: Sind Sie der Meinung, dass hierzulande Fracking betrieben werden sollte?
HWS:
Ja, Fracking würde uns 14 Jahre lang jedes Jahr so viel Gas beschaffen, wie Russland geliefert hätte. Damit würden wir zumindest etwas Zeit gewinnen.

TPP: Kommen wir zum für die Immobilienbranche wichtigen Thema Zinsen. Welche Zinspolitik der EZB erwarten Sie 2023?
HWS:
Die EZB wird die Zinsen noch weiter anheben. Der Grund ist die Inflation. Diese verliert zwar an Stärke, ist aber noch nicht vorbei. Die Notenbank wird die Zinsen aber nicht genug anheben, um mit der Inflationsrate Schritt zu halten. Insofern werden uns die negativen Realzinsen, die wir heute haben, erhalten bleiben. Sie bedeuten eigentlich gute Investitionsmöglichkeiten für Anleger, die bereit sind, Kredit aufzunehmen.
 
TPP: Zinsänderungen brauchen eine Weile, bis sie wirken. Kann es nicht sein, dass die Notenbanken im Laufe von 2023 feststellen, dass sie zu schnell waren und wieder umkehren müssen? Die FED hat 2018 schon einmal eine ähnliche Kehrtwende vollzogen.
HWS:
Ich halte eine Umkehr der Zinspolitik für nicht wahrscheinlich. Im Bereich des Möglichen liegt jedoch, dass die Erhöhungen im Laufe des Jahres ausgesetzt werden.
 
TPP: Wir haben jetzt diesen zehnjährigen Immobilienboom mit kontinuierlich steigenden Preisen hinter uns. War das rückblickend eine gesunde Entwicklung?
HWS:
Der Boom startete schon 2010 – er ist also zwölf Jahre alt. Er war eine klare Reaktion auf die Niedrigzinspolitik und die Angst vor Staatskonkursen. Man wusste ja nicht mehr wohin mit dem Geld und floh in das Betongold. Die Niedrigzinspolitik war letztlich eine Rettungspolitik für überschuldete Staaten der Eurozone. Ich hab sie immer für übertrieben und falsch gehalten und insofern ist die Heftigkeit des Immobilienbooms, die daraus resultiert, auch übertrieben.

TPP: 2022 haben wir erstmals wieder leicht sinkende Preise gesehen. Wohin geht die Reise 2023 und längerfristig?
HWS:
Sie meinen die Immobilienpreise, nicht wahr. Ja da gab es leichte Rückgänge. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in den nächsten Jahren eine Seitwärtsbewegung mit leichten Preissenkungen sehen werden. Aber für Investoren ergeben sich trotzdem Gelegenheiten, weil auf einmal sehr gute Objekte auf dem Markt sind. Ähnlich war es in den 20 Jahren zwischen 1990 und 2010. Richtige massive Preisstürze sind hierzulande unwahrscheinlich, u.a. weil die Finanzierungspraxis sehr langfristig orientiert ist. Die normale Reaktion der Investoren ist, dass sie ihre Verluste aussitzen und warten. Mittel- und langfristig wird dann die allgemeine Inflation für weitere Steigerungen sorgen.
Die aktuelle Situation am Immobilienmarkt kann man als paradox beschreiben: Wir haben eine Transaktionsflaute und stagnierende bis fallende Preise, während parallel dazu die Inflation deutlich anzieht und die Realzinsen damit stark negativ werden.  Das Paradoxon wird sich irgendwann aufheben: Die Marktteilnehmer werden merken, dass es letztlich auf die Realzinsen ankommt. Dann werden sie mangels anderer Alternativen wieder zurückkehren zu den Immobilien.

TPP: Gibt es beim Zinsanstieg eine Schmerzgrenze, ab der erhebliche Auswirkungen auf Immobilien spürbar werden und wenn ja, wo liegt diese?
HWS:
Schmerzen spürt der eine oder andere Marktteilnehmer sicher jetzt schon. Es gibt da aber keine harte Grenze. Wirklich kritisch würde es, wenn die Realzinsen stiegen. Davon sind wir jedoch weit entfernt.

TPP: Nächstes Jahr dürften die Realzinsen zumindest weniger negativ sein, wenn die Inflation etwas zurückgeht.
HWS:
Das stimmt. Aber die Realzinsen bleiben vermutlich negativ und solange sie negativ sind, sehe ich nicht, dass sich etwas fundamental verändern sollte.

TPP: Wenn man in die weitere Zukunft blickt, ist der wichtigste Treiber von Immobilien und deren Werten die Demographie. Lange war Konsens, dass Deutschland an Einwohnern verlieren wird. Kürzlich prognostizierte Kanzler Olaf Scholz jedoch bis zu 90 Mio. Einwohner. Welche Entwicklung erwarten Sie?
HWS:
Ich glaube, dass wir gar nicht so viel Immigration haben können wie wir bräuchten, um den natürlichen Bevölkerungsschwund auszugleichen. Das zeigen jedenfalls alle Prognosen aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg. Wenn sich dieser Krieg weiter hinschleppt, dann werden immer mehr Menschen aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Schon jetzt hatten wir von dort mehr Migration als auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle zur Merkel-Zeit. Die Zuwanderer fragen preisgünstigen Wohnraum nach und sie sind fleißige Arbeiter, die der Wirtschaft guttun. Sie verdrängen andere Mieter sukzessive in die mittleren Marktsegmente. Zudem werden insbesondere auch Immobilien, die seniorengerecht sind, gefragt sein. Denn die Zahl älterer Menschen nimmt vorläufig stark zu. Die Babyboomer, die jetzt im Mittel 58 Jahre alt sind, wollen in wenigen Jahren in Rente gehen. Das führt dazu, dass die Gruppe der über 65-Jährigen für die kommenden 20 Jahre erst einmal relativ stark wächst. Kurz gesagt: Preisgünstiger Wohnraum und Wohnraum für Ältere werden am stärksten gefragt sein.

TPP: Herr Professor Sinn. Vielen Dank für das Interview!

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Werner Sinn
Erstveröffentlichung: The Property Post, Januar 2023

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