01.04.2021

Die Baubranche muss umdenken

Thorsten Krauß über die Widerstände gegen Design & Build.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

Mit Thorsten Krauß, Gründer der UNDKRAUSS Bauaktiengesellschaft, kann man sich auch am Telefon stundenlang unterhalten – über die Baubranche, die Gesellschaft, über notwendige Innovationen. Und man erfährt nebenbei auch noch die eine oder andere Anekdote aus seiner Zeit als Maurer und Zimmermann. Doch im Interview mit „The Property Post“ konzentriert er sich auf Design & Build. Sein Vorbild ist der US-amerikanischer Architekt, Konstrukteur, Visionär, Designer, Philosoph und Schriftsteller Richard Buckminster Fuller, der in den 1940er-Jahren proklamierte: „Architekten, Planer, Ingenieure, ergreift die Initiative, geht ans Werk und vor allen Dingen arbeitet zusammen und haltet nicht voreinander hinterm Berg.“

TPP: Herr Krauß, Sie wollen, dass sich die Baubranche ändert. Warum? Die Baukräne drehen sich während der Corona-Krise weiter, und wer einen Handwerker braucht, muss Monate warten. Der Baubranche geht es auch ohne Veränderung gut.
Thorsten Krauß:
Ja, ich wünsche mir, dass sich die Bau- und Immobilienbranche ändert. Ich glaube nicht, dass es der Baubranche gut geht. Die Realität sieht so aus: Wenn ein Projekt drei Jahre bis zur Fertigstellung benötigt, laufen dem Generalunternehmer zwischenzeitlich Materialpreise und Löhne weg. Dem Unternehmen drohen Verluste. Das liegt daran, dass die typischen Generalunternehmer-Verträge keine Klauseln enthalten, die es erlauben, den Preis an die gestiegenen Kosten anzupassen oder einen Mindestgewinn zu sichern. Es kommt nicht von ungefähr, dass im vergangenen Jahr große börsennotierte Baukonzerne Gewinnwarnungen veröffentlicht haben.

TPP: Woran fehlt es der Branche?
TK:
An Teamgeist. Aktuell ist es so, dass Architekten, Statiker und Haustechniker planen, wie gebaut werden soll. Dann hoffen alle, dass der angebotene Preis zu halten ist. Planen und bauen sind auseinandergerissen. Das ist falsch. Die Bau- und Immobilienbranche muss umdenken. Die Expertise der Baubranche muss am Anfang des Prozesses, also bei der Planung, und nicht am Ende eingesetzt werden. Planen und Bauen müssen in einem Prozess zusammengeführt werden, der sich Design and Build nennt. Bei Undkrauss geschieht das. Wir verstehen uns als Design and Build-Unternehmen.

TPP: Gibt es in anderen Ländern mehr Teamgeist?
TK:
Ja, beispielsweise in den Niederlanden, aber auch in Großbritannien und den USA. Dort gibt es die Aufteilung in Planen und Bauen nicht. Dort werden alle an einem Projekt Beteiligten von Anfang an einbezogen. In diesen Ländern haben Architekten nicht die Macht, die sie in Deutschland haben.

TPP: Welche Innovationen sind nötig, Design and Build zu etablieren?
TK:
Viele sagen, ein höherer Grad an Digitalisierung sei nötig. Für mich ist die Digitalisierung nur ein Hilfsmittel. Die deutsche Bau- und Immobilienwirtschaft muss sich an Prozessen orientieren.

TPP: Etwa gleichzeitig zu Design and Build sind auch andere englische Begriffe wie Building Information Modeling und Cradle to Cradle in der Bau- und Immobilienbranche aufgetaucht. Sie äußern sich auch zu diesen Themen. Wie hängen Sie zusammen?
TK:
Nicht unmittelbar. Building Information Modeling, kurz BIM genannt, beschreibt eine Arbeitsmethode der vernetzten Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden mit Hilfe von Software. Dabei werden alle relevanten Bauwerksdaten digital erfasst, kombiniert und modelliert. Das Cradle to Cradle-Prinzip sieht vor, Produkte zu entwickeln, die entweder vollständig biologisch abgebaut oder endlos wiederverwendet werden können. Die Wiederverwertung wurde in der Baubranche eigentlich schon immer praktiziert. Ein kleines Beispiel aus meiner Vergangenheit: Als ich Zimmermann gelernt habe, hat der Meister am Abend krumme Nägel gerade gekloppt, um sie wiederverwenden zu können.  
     
TPP: Zurück zu Design and Build. Lässt sich der Vorteil des Bauens nach dieser Methode beziffern?
TK:
Nach meiner Einschätzung könnte die öffentliche Hand, wenn sie nach Design and Build und mit geänderter Verantwortlichkeit bauen würde, um 15 bis 35 Prozent kostengünstiger bauen und würde trotzdem bessere Gebäude bekommen.

TPP: Wer sollte verantwortlich sein?
TK:
Wir brauchen echte Bauherren. Die gibt es unter den öffentlichen Auftraggebern zu selten. In der Praxis nicken die öffentlichen Auftraggeber fast alles ab, was vom Planer kommt. Vergabekriterium sind nicht die gute oder schlechte Leistung, sondern die Kosten. Die Aufträge werden zumeist an den Preisgünstigsten vergeben. Dieses Verhalten provoziert Nachträge. So ist es Taktik, zu Dumpingpreisen anzubieten und sich das Geld hinterher über Nachträge hereinzuholen. Früher hatten wir in Deutschland Baumeister, etwa die großen Dombaumeister. Die haben geplant, gebaut und auch die Kosten verantwortet.

TPP: Wenn die Öffentliche Hand den Vorteil von Design and Build nicht erkennt, wer tut es dann?
TK:
Sehr viele intelligente Investoren, etwa ein großes Bremer Bau- und Immobilienunternehmen.

TPP: Könnte ich auch mein Eigenheim nach dieser Methode bauen?
TK:
Selbstverständlich.

TPP: Deutsche Bauherren, private wie gewerbliche, kennen es nur so –  Angebote auf Basis einer Leistungsbeschreibung einholen, Preise vergleichen, ein Angebot annehmen. Design and Build funktioniert anders, aber wie?
TK:
Gehen wir weg vom Begriff Design and Build. Nennen wir das Verfahren einfach partnerschaftliches Bauen. Der Bauherr sucht sich einen Partner seines Vertrauens. Er hat diverse Möglichkeiten seinen Vertrag zu gestalten – etwa der Art, dass sich der Preis aus den Kosten plus einer Gebühr ergibt. Oder der Bauherr wählt die Variante Value Engineering, was bedeutet, dass für ein gegebenes Budget bestmöglich gebaut wird. Genauso gut kann er einen garantierten Maximalpreis vereinbaren.

TPP: Die Öffentliche Hand muss Aufträge ausschreiben, teils europaweit. Wie soll sie partnerschaftlich bauen?
TK:
Sie könnte es tun, aber sie will es nicht. Die Öffentliche Hand hat wenig Interesse daran, etwas zu verändern. Wenn die Schule hinterher das Doppelte kostet, dann ist das relativ egal, denn es ist nicht das Geld der handelnden Personen, das ausgegeben wird. Für die Akteure in der Verwaltung ist wichtig, dass alle Prozesse juristisch einwandfrei ablaufen, nicht das Ergebnis.

TPP: Was müsste geschehen, um Design and Build zu etablieren?
TK:
Dazu müsste das Vergaberecht, die Verdingungsordnung für Bauleistungen und die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure geändert werden. Doch das wird nur geschehen, wenn die Politik es will und alle Betroffenen nachdrücklich zur Zustimmung  bewegt.

TPP: Wenn Bund, Länder und Kommunen Design and Build nicht wollen, dann vielleicht die Privaten. Wie hoch ist der Anteil partnerschaftlichen Bauens über alle Auftraggeber hinweg am Hochbauvolumen von rund 230 Milliarden Euro in Deutschland?
TK:
Ich schätze, dass sich der Anteil im kleinen einstelligen Prozentbereich bewegt.

TPP: Das sind ernüchternde Zahlen. Woher kommt der Widerstand?
TK:
Die Architektenkammern haben wenig Interesse an partnerschaftlichem Bauen – aus einem einfachen Grund: Die für die Bezahlung von Architekten maßgeblich HOAI ist so ausgelegt, dass der Architekt umso mehr Geld bekommt, je mehr Geld er verbaut. Deshalb hat er auch kaum Interesse an niedrigen Preisen.

TPP: Die Architekten sind also dagegen. Was wollen Bauindustrie und Immobilienwirtschaft?
TK:
Die Bauindustrie bemüht sich, den Gedanken aufzunehmen. Wir sind jetzt mit einer Gruppe von zehn, fünfzehn innovativen Leuten aus der Baubranche mit dem Zentralen Immobilienausschuss ins Gespräch gekommen. Der ZIA ist bereit, Anstöße aufzunehmen.

TPP: Das klingt nicht so, als stünde Design and Build kurz vor dem Durchbruch. Wie wird in Deutschland in 20 Jahren gebaut?
TK:
Ich weiß nicht, ob wir uns bis dahin durchsetzen. Der Widerstand von Lobbyisten und Standesorganisationen wie den Architektenkammern ist immens. Wir brauchen einen kompletten Kulturwandel in der Bau- und Immobilienbranche, um partnerschaftliches Bauen durchzusetzen.

TPP: Herr Krauß, vielen Dank für das Interview.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von UNDKRAUSS Bauaktiengesellschaft
Erstveröffentlichung: The Property Post, April 2021

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Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

krauss_015 (002).jpgThorsten Krauß (60), Gründer der zum Design & Build-Unternehmen weiterentwickelten Berliner UNDKRAUSS Bauaktiengesellschaft, wollte in seiner Jugend Architekt werden. Gut, dass er es nicht geworden ist, denn heute müsste er sich verbiegen, was so gar nicht zu ihm passt. Schließlich vertragen sich Design & Build-Befürworter und Architekten nicht besonders gut. Wie man baut, hat er nicht allein im Studium zum Bauingenieur gelernt, sondern viel früher als Maurer und Zimmermann erfahren. Zusätzlich studierte er Betriebswirtschaftslehre und ist heute einer der Dienstältesten in der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaftslehre. Im Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA) gehört er dem Innovation Think Tank an. Nicht nur Innovationen in der Bauindustrie interessieren ihn. Krauß möchte das Thema Wasserstoff als Energieträger der Zukunft voranbringen und engagiert sich deutschlandweit bei verschiedenen Projekten. Zudem legt er Wert auf familienfreundliche Unternehmensführung, was er sich durch ein Zertifikat zum Audit berufundfamilie bestätigen ließ. Ein Mann, der in kein Klischee passt, schon gar nicht in das des wortkargen Friesen. „Nordfriese und ein Sechzehntel Seminole-Indianer“, präzisiert er.

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