23.03.2022

Umkämpfte kommunale Vorrechte

Nach dem vorläufigen Ende des präventiven Vorkaufsrechts

Uwe Bottermann, Rechtsanwalt und Partner, Bottermann Khorrami
Uwe Bottermann

Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 4 C 1.20) zum kommunalen Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten vom November vergangenen Jahres mehren sich die Rufe, dieses „wieder herzustellen", damit Kommunen in Käufe von Mehrfamilienhäusern eintreten und die Bewohner vor zu erwartenden Veränderungen und insbesondere vor Verdrängung schützen können. Auch die Bundesbauministerin zeigt Sympathien für dieses Anliegen und hat Ende Januar bereits eine Gesetzesänderung noch vor der ohnehin geplanten Novellierung des Bundesbaugesetzbuches (BauGB) angekündigt.

Kern bundesverwaltungsgerichtlichen Entscheidung war die Feststellung, das kommunale Vorkaufsrecht für ein Grundstück dürfe nicht auf Grundlage der Annahme ausgeübt werden, der Käufer werde in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen. Begründet wird dies mit § 26 BauGB, in dem die Ausschlussgründe des Vorkaufsrechtes geregelt sind. Der Gesetzgeber untersagt darin unter Nr. 4 einen Vorkauf, wenn das Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans oder den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahme bebaut ist und genutzt wird und eine auf ihm errichtete bauliche Anlage keine Missstände oder Mängel […] aufweist. Mit seinem Urteil, das dezidiert auf den Ist-Zustand des jeweiligen Grundstücks verweist, kippte das Gericht eine jüngst vor allem in Berlin und Hamburg verbreitete Praxis, nach der die Bezirke in einen bestehenden Kaufvertrag für ein Wohnhaus eintraten, wenn sie in der Zukunft Modernisierungen oder die Aufteilung eines Mietshauses in Eigentumswohnungen annehmen konnten.

Das präventiv ausgeübte Vorkaufsrecht diente so verstanden als eigenständiges Instrument im Kampf gegen die Verteuerung von Wohnraum in den Innenstädten. Dabei wurde entweder das Vorkaufsrecht ausgeübt – in Berlin in der Regel zugunsten Dritter, zumeist kommunale Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften – oder die Käufer wurden angehalten, Abwendungsvereinbarungen zu unterschreiben. Darin verpflichteten diese sich zu Zugeständnissen, die in der Regel weit über die gesetzlichen Pflichten im Milieuschutzgebiet hinaus gingen; etwa energetische Sanierungen nur dann durchzuführen, wenn der Eigentümer dazu gesetzlich verpflichtet ist oder auch von einer Begründung von Wohnungseigentum weitgehend abzusehen. 

Ausgangspunkt ist immer § 172 BauGB, der aus in bestimmten Gebieten „besonderen städtebaulichen Gründen“ die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung schützen will (soziales Erhaltungsgebiet oder Milieuschutzgebiet) und hierfür Maßnahmen festlegt. An allen in einem sozialen Erhaltungsgebiet liegenden Grundstücken steht der Gemeinde, neben Genehmigungsvorbehalten für Modernisierungs- und Aufteilungsvorhaben, ein gesetzliches Vorkaufsrecht zu. § 172 lässt den Bezirken einen weiten Beurteilungsspielraum, bei der Frage, wann und warum eine soziale Erhaltungsverordnung erforderlich ist. So kann Milieuschutz überall dort erlassen werden, wo für die vorhandene Bevölkerung eine abstrakte Verdrängungsgefahr nachweisbar ist, selbst dann, wenn dieses auf aus wissenschaftlicher Perspektive unzureichender Grundlage geschieht. Insbesondere Berlin hat jüngst eine inflationäre Ausweisung sozialer Erhaltungsgebiete erlebt, mit unterschiedlichen und teils unklaren Genehmigungsvoraussetzungen für Vorhaben dort. Die Bezirke beklagen dennoch, das Milieuschutzrecht sei zu durchlässig. Demgegenüber hatten die Berliner Bezirksverwaltungen die Ausübung von Vorkaufsrechten zuletzt oft nur noch formelhaft begründet. All dies zeigt einen Konkretisierungsbedarf des § 172 bei Erlass und Anwendung von sozialen Erhaltungsverordnungen.

Für die Ausübung des Vorkaufsrechtes hat das Bundesverwaltungsgericht nun diese Konkretisierung vorgenommen. Nach seinem Urteil dürfen Bezirke das Vorkaufsrecht nur noch ausüben, wenn das Grundstück aktuell Missstände aufweist oder nicht gemäß der Verordnung genutzt wird. Im Rahmen einer sozialen Erhaltungsverordnung betrifft dies nun vor allem unbebaute Grundstücke und baufällige Liegenschaften sowie Wohnhäuser, die zum Zeitpunkt des Verkaufs überwiegend von gewerblichen Mietern wie Ärzten oder Rechtsanwälten genutzt werden. Letzteres könnte auch in Zukunft über eine Abwendungsvereinbarung korrigiert werden. Der Käufer könnte sich zum Beispiel verpflichten, nach Auslaufen der jeweiligen Gewerbemietverträge nur noch zu Wohnzwecken zu vermieten.

Der Gesetzgeber steht nun vor der Frage, ob die Einführung eines Prognoseelement im Geltungsbereich von Milieuschutzverordnungen realisierbar und im Sinne des Wohls der Allgemeinheit erforderlich ist. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung gibt es dazu einen Prüfauftrag. Bei der Prüfung wird zu berücksichtigen sein, dass das Vorkaufsrecht nur punktuell wirkt, oft mit erheblichen Kosten verbunden ist und keineswegs das einzige Instrument zum Milieu- und Mieterschutz ist. Die Bezirke haben weiterhin die Möglichkeit Genehmigungen für Vorhaben zu versagen, wenn sie steigende Wohnkosten und eine nachteilige Veränderung bei der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung befürchten. Die Landesregierungen können zudem – wie in Berlin bereits geschehen – Umwandlung in Eigentumswohnungen unter einen Genehmigungsvorbehalt stellen. Sinnvoller als eine Reinkarnation des präventiven Vorkaufsrechts könnte daher die Präzisierung dieser Instrumente des Milieuschutzrechts im Rahmen der Baurechtsnovelle sein.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Rechtsanwaltskanzlei Bottermann Khorrami
Erstveröffentlichung: Frankfurter Allgemeine Zeitung, März 2022

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