16.09.2015

Immobilien und Innovation

Wo stehen wir, wohin wollen wir, wie erreichen wir das?

Martin Rodeck, Geschäftsführer, OVG Real Estate GmbH
Martin Rodeck

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt und arbeitet in Städten, Tendenz steigend. Immobilien bilden die Grundlage der Stadt als Wirtschaftszentrum und Lebensraum und sollten daher in Funktionalität und Nachhaltigkeit nicht nur den aktuellen Forschungsstand abbilden, sondern künftige Bedarfe und Möglichkeiten antizipieren. Es ist Zeit, Innovation als Kernaufgabe der Projektentwicklung zu begreifen, sowohl auf der Produktebene als auch im Entwicklungsprozess. Die einzige Möglichkeit, neue Wege zu gehen, ist die, ausgetretene Pfade zu verlassen.

Bei Projektentwicklungen geht es heute um mehr, als nur Fläche bereitzustellen. Die Anforderungen an die Projektentwickler verändern sich radikal. Dies gilt für die Entwicklung von Wohnimmobilien und in besonderem Maße für die von Bürogebäuden. In diesem Sektor hat die Immobilie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit des in ihr beheimateten Unternehmens und damit wirtschaftliche Relevanz. Die technische Ausstattung des Firmensitzes und der Arbeitsumgebung entscheiden über die Leistungen und spiegeln das Image und die Philosophie des Unternehmens wider – nach innen und außen. Innovative Immobilien können zudem Kosten reduzieren, Kommunikationswege optimieren und neue Innovationsprozesse in Gang setzen. Es hat somit erst in zweiter Linie mit persönlichem Idealismus zu tun, wenn sich Projektentwickler heute den Anspruch auf die Fahne schreiben, mit jedem Projekt höchste technologische Standards zu erreichen und den nachfolgenden Generationen ein grünes Erbe zu hinterlassen. Es ist vielmehr der Pfad, den die gesamte Branche früher oder später wird beschreiten müssen, um den Ansprüchen ihrer Kunden gerecht zu werden.

Gerade große, namhafte Unternehmen betrachten Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und innovative „Workplace Solutions“ bei der Wahl ihres Firmensitzes längst nicht mehr als optionale Gadgets, sondern als Voraussetzung für gleichermaßen zeitgemäße wie zukunftsorientierte Arbeitsprozesse. Kurz: Produkt- und Serviceinnovationen wirken sich positiv auf das Absatzpotenzial aus. Schon heute die nachhaltigen, funktional optimierten Bürogebäude von morgen entwickeln. Die Bedeutung nachhaltiger, energieeffizienter oder gar energieneutraler Gebäude für das Ökosystem, in dem wir alle leben, ist heute allgemein bekannt. Lange Zeit jedoch galten derartige Innovationen vor allem als kompliziert und kostenaufwändig, mithin als negativer Renditefaktor. Doch das Gegenteil ist der Fall. Viele Unternehmen haben längst verstanden, dass die Energieerzeugung zum Heizen und Kühlen des Gebäudes, wenn sie über hauseigene Systeme wie integrierte Photovoltaik-Module, Blockheizkraftwerke oder thermische Grundwasserspeicher, geschieht, Kosten senkt. Gleiches gilt – um nur einige Beispiele zu nennen – für sensorgesteuerte Lüftungsanlagen, von Baubiologen speziell unter Nachhaltigkeitsaspekten zertifizierte Baumaterialien oder Systeme zur individuellen Steuerung von Licht und Temperatur in den Büros mittels Smartphones. Nicht nur große Firmen, auch junge Startups denken diese Perspektive heute oft von Anfang an mit, wenn sie sich für eine Bürofläche entscheiden.

So positiv es jedoch ist, dass das Wissen um diese Zusammenhänge sich auch bei den Projektentwicklern langsam durchsetzt, so wenig darf vergessen werden, dass Nachhaltigkeitstechnologien nur einen Teil der Innovationsmöglichkeiten ausmachen und Innovation ein dynamischer Prozess ist. Heute fortschrittliche Maßnahmen können schon morgen veraltet sein. Die Immobilienbranche muss beginnen, sich selbst als Innovationsmotor und Katalysator für Smart-Technologies zu begreifen. Hierfür ist es von größter Bedeutung, dauerhafte kooperative Prozesse zu fördern, nicht nur innerhalb der Branche, sondern auch branchenübergreifend, etwa in festen Partnerschaften mit technologischen Unternehmen. Die Koppelung des jeweiligen Know-hows potenziert die Innovationskraft aller.

Antizipation künftiger Bedarfe geht nur gemeinsam

Als Innovationsbeauftragter des ZIA sehe ich die in der Immobilienbranche tätigen Unternehmen als Partner in der Antizipation der Nutzeransprüche von morgen. Mit seiner Innovation-Task Force und seinem „Innovation Lab” wird der ZIA künftig den gemeinsamen Blick „über den Tellerrand” und somit in andere Branchen forcieren. Wie schon bei der Entwicklung des ZIA-Nachhaltigkeitskodex geht es darum, den Innovationsgedanken in die Branche zu implementieren und ihn intern wie extern zu leben. Dieser Anspruch reicht weit über die Produktebene hinaus. Die Branche muss sich vielmehr entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Thema auseinandersetzen. Das beginnt mit Augenfälligkeiten wie der Vereinheitlichung von Begrifflichkeiten und technischen Standards und reicht von Prozess- und Bauinnovationen, wie Building Information Modeling (BIM), Industrie 4.0 oder 3D-Druck, bis hin zur gemeinsamen Definition neuer Standards für die Ausstattung von Gebäuden und das Facility Management. Darüber hinaus können Prozessinnovationen zu einer flexibleren Leistungserstellung führen, die ihrerseits die Grundlage für diverse Produkt- und Serviceinnovationen ist.

Moderne Städte durch interdisziplinäre Zusammenarbeit

Um Innovationspotenziale optimal nutzbar zu machen, gilt es vor allem, die Immobilienmärkte transparenter zu gestalten. Für eine ganzheitliche Erneuerungsdynamik in der Immobilienwirtschaft ist das Zusammenspiel vieler Disziplinen und Marktakteure gefordert. Hierfür benötigen wir, neben einer intensiven Zusammenarbeit im ZIA sowie mit anderen Industrien, den Aufbau von kontinuierlich arbeitenden Wissensnetzwerken. In diesem Zusammenhang ist auch die Intensivierung der Vernetzung mit Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen dringend angezeigt. Hierbei geht es nicht nur um den Gewinn neuer Erkenntnisse, sondern auch um deren Vermittlung durch die gezielte Ausbildung und Weiterbildung von Fachkräften. Diese wiederum werden benötigt, um auch künftig für alle Phasen im Lebenszyklus von Immobilien konsequent „Best practice“-Lösungen entwickeln und zur Anwendung bringen zu können. Dass diese bloße Erkenntnis für die traditionell eher innovationsarme Immobilienwirtschaft schon eine Innovation ist, belegt die Tatsache, dass Immobilienwirtschaftslehre erst seit 1990 als akademische Disziplin etabliert ist. Bis heute wird (im Gegensatz etwa zur Baubranche) der Innovationsprozess im Asset-Management und in der Projektentwicklung mehrheitlich intern absolviert, wie kürzlich eine Studie der International Real Estate Business School (IREBS) im Auftrag von Deloitte belegte.

Der Weg zur „Smart City“

Innovation ist ein asymptotischer Prozess. Ziele werden definiert und erreicht, um gleich darauf neue Ziele zu definieren. In unserer temporeichen digitalisierten Entwicklung erfolgt die Neudefinition oft sogar schon, bevor das vorherige Ziel flächendeckend umgesetzt werden konnte. Dem „Green Building“ ist auf der Anspruchsebene längst das „Blue Building“ gefolgt, und perspektivisch manifestiert sich die gemeinsame Anforderung an Stadt- und Projektentwickler inzwischen im Begriff der „Smart City“. Das bedeutet, dass sich zu den drei vorrangigen Innovationskategorien für unsere Branche (Bau-, - Prozess- und Nutzungsinnovationen) auch stadtplanerische und infrastrukturelle Innovationskategorien gesellen, denen die Projektentwickler mittels Intensivierung ihres Networkings gerecht werden müssen, um den Erfolg ihrer Projekte sicherzustellen. Das betrifft zum einen den Bereich der besseren Integration von Wohn-, Arbeits-, Freizeit- und Versorgungsbereichen. Zum anderen betrifft es technologische Konzepte, wie die Optimierung von Informationszugängen und -wegen oder die Antizipation kommender Mobilitätsmodelle. In letzterem Fall etwa bietet es sich künftig an, die interne Energieerzeugung eines Bürogebäudes und den Energiebedarf für die E-Mobility der Mitarbeiter zusammen zu denken. Gleichzeitig beinhaltet die Zielvorgabe „Smart City“ auch Engagement über den Neubausektor hinaus, etwa bei der innovativen Nachrüstung von Bestandsgebäuden.

Grundsätzlich gilt: Innovation kann immer erst dann fruchten, wenn man den größeren Zusammenhang und damit den allgemeinen Innovationsgrad der Gesellschaft in den Fokus nimmt. Für die Immobilienwirtschaft als einen der vielfältigsten und größten Wirtschaftszweige in allen Volkswirtschaften bedeutet dieser erweiterte Fokus gleichermaßen gesellschaftliche Verantwortung und neue wirtschaftliche Perspektiven.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e. V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2014/2015