26.07.2023

Mehr Geld für bezahlbare Mieten

Helfen Genossenschaften gegen Wohnungsnot? Antworten von Ingeborg Esser.

Reiner Reichel, Redakteur, The Property Post

In Deutschland fehlt bezahlbarer Wohnraum. Für „The Property Post“ ist das ein Anlass, mit Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, darüber zu sprechen, inwieweit Wohnungsgenossenschaften helfen können, diesen Mangel zu beheben.

The Property Post (TPP): Frau Esser, wie viele Wohnungsgenossenschaften gibt es in Deutschland und wie entwickelt sich die Zahl?
Ingeborg Esse
r: Im GdW sind rund 1.800 Wohnungsgenossenschaften Mitglied. Außerhalb des Verbandes dürfte es noch etwa 200 weitere geben, so dass ich von etwa 2.000 Wohnungsgenossenschaften in Deutschland ausgehe.

TPP: Die Zahl stagniert offensichtlich. Hat das im Oktober 2022 aufgelegte Programm zur Förderung von Wohnungsgenossenschaften keinen Zuwachs gebracht?
IE:
Nein, großen Zuwachs gibt es seitdem nicht. Vor zehn Jahren gab es eine überschaubare Gründungswelle kleiner Wohnprojektgenossenschaften. Der Trend hat aber nicht angehalten, weil diese Projektgenossenschaften von den gleichen negativen Entwicklungen betroffen sind wie alle anderen Wohnungsbaugesellschaften – steigende Preise und hohe Zinsen.

TPP: Geht das neue Förderprogramm am Bedarf vorbei?
IE:
Es hat zwar keine Neugründungswelle angestoßen, aber es hilft den in den vergangenen zehn Jahren gegründeten Genossenschaften sehr. Die beginnen nun zu bauen und haben einen hohen Eigenkapitalbedarf. Denn ihre Mitglieder können nun Anteile bis zu 100.000 Euro mit zinssubventionierten Krediten fremdfinanzieren und zusätzlich Tilgungszuschüsse erhalten.

TPP: Nach meiner Vorstellung ist der typische Mieter einer Genossenschaftswohnung nicht in der Lage, einen fünf- oder gar einen sechsstelligen Betrag zu finanzieren. Diesen Wohnungssuchenden hilft das Programm offensichtlich nicht.
IE:
Richtig ist, dass sich die überwiegende Zahl der Einlagen bei unseren Bestandsgenossenschaften in einer Spanne zwischen 600 und 3.000 Euro bewegt. Das sind in etwa die Beträge, die nichtgenossenschaftliche Vermieter als Mietkaution verlangen. Aber die Situation neugegründeter Genossenschaften ist völlig anders. Bei diesen müssen die Mitglieder in etwa einen Anteil einbringen, der dem Eigenkapitalanteil zur Finanzierung einer neuen Genossenschaftswohnung entspricht. Wer Mitglied in einer dieser Genossenschaften werden will, muss Eigenkapitalanteile zwischen 30.000 und 100.000 Euro zeichnen. Diesen Genossen hilft das neue Förderprogramm immens, weil sie diese Beträge in der Regel nicht aus der eigenen Tasche bestreiten können.

TPP: Es gibt Menschen, die verbinden mit Genossenschaftswohnungen unterdurchschnittliche Mieten, wenn nicht gar sozialen Wohnungsbau.
IE:
Diese Assoziation ist nicht richtig. Unsere Bestandsgenossenschaften bauen sogar unterdurchschnittlich viele Sozialwohnungen.

TPP: Bedeutet das, dass auch Wohnungsgenossenschaften nicht in der Lage sind, bezahlbaren Wohnraum zu bauen?
IE:
Doch, das tun sie. Sie bauen im für ihre Mitglieder bezahlbaren Segment. Denn in den Ballungsräumen sind selbst Doppelverdiener-Haushalte häufig nicht in der Lage, die Mieten für freifinanzierte Wohnungen zu bezahlen. Deshalb gibt es inzwischen Modelle wie eines in München, das neu gegründete Genossenschaften mit preisgünstigen Grundstücken versorgt, unter der Bedingung, dass die Genossenschaft sich an eine vorgegebene Maximalmiete hält. Diese Miete muss in der Regel 1,50 bis 2,00 Euro unter der Marktmiete liegen. Dafür dürfen die Einkommen der Mieter die Einkommensgrenzen für den sozialen Wohnungsbau deutlich überschreiten. Andere Kommunen ziehen jetzt nach. Doch solche Programme sind nicht für die Bezieher kleiner Einkommen gedacht.

TPP: Die großen börsennotierten Gesellschaften haben den Neubau eingestellt. Was tun die Genossenschaften?
IE:
Sie bauen unter den gleichen Bedingungen. Das heißt: Es werden fast nur noch begonnene Projekte fertiggestellt. Sie sind nicht mehr in der Lage zu den von ihren Mitgliedern bezahlbaren Mieten von etwa bis zu zwölf Euro pro Quadratmeter zu bauen. Mieten ab 16 Euro, die zur Kostendeckung nötig wären, können sich ihre Mitglieder nicht leisten. Im vergangenen Jahr wurden 8.000 Genossenschaftswohnungen fertiggestellt. Wir gehen allerdings davon aus, dass künftig weniger Wohnungen bereitgestellt werden.  

TPP: Wir brauchen jährlich 100.000 neue Sozialwohnungen. Wenn die Genossenschaften für Haushalte mit mittlerem Einkommen bauen, wer baut dann die Wohnungen mit Sozialmieten von 6,50 bis 8,00 Euro pro Quadratmeter?
IE:
Kommunale Gesellschaften bauen noch Sozialwohnungen, wenn die Fördermittel ausreichend sind. Aber Wohnungen im bezahlbaren Segment darüber hinaus können sie auch nicht bauen, da geht es ihnen auch nicht besser als den Genossenschaften. Ihnen fehlt das Eigenkapital und auch sie können die Preise für Neubauten nicht zahlen. Sie sind bereits dadurch belastet, dass sie Sozialwohnungen bereitstellen. Man muss ehrlich werden. Wer eine ganz geringe Mietrendite akzeptierte, der kam im Jahr 2021 mit einer Monatsmiete von etwa zwölf Euro aus. Heute müsste er für eine vergleichbare Qualität 16 bis 18 Euro Miete verlangen. Für 16 bis 18 Euro Miete gibt es kaum Mieter, die sich das leisten können. An dieser Stelle muss man ansetzen. Es wäre wichtig, Kostenmieten von 16 bis 18 Euro auf das Niveau bezahlbarer Mieten von etwa zwölf Euro zu subventionieren. Das ist die Hilfe, die die Genossenschaften suchen, damit sie ihre Mieter bedienen können. Dieses Segment wird von den Anbietern frei finanzierter Wohnungen nicht bedient.

TPP: Was müsste geschehen, damit der soziale Wohnungsbau endlich in Schwung kommt?
IE:
Man muss unter diesen Rahmenbedingungen massiv mehr Fördergelder reinstecken. Da reden wir nicht über die aktuellen Beträge, sondern über das Vier- bis Fünffache.

TPP: Wer die Diskussion über die Wohnungspolitik in Deutschland verfolgt, hat den Eindruck, dass alle wissen, was zu tun ist, aber keiner packt es an. Teilen Sie diesen Eindruck?
IE:
Ich gebe Ihnen recht. Es gibt kein Erkenntnisproblem, aber ein Umsetzungsproblem.

TPP: Haben Sie eine Idee, wie man das Umsetzungsproblem lösen könnte?
IE:
Wir hätten Verständnis dafür, wenn die Sozialbindungen verlängert würden. Die Länder, deren Aufgabe der soziale Wohnungsbau ist, finanzieren diesen zum Teil aus Fonds mit revolvierenden Mitteln, die höher dotiert werden könnten. Man könnte Sondervermögen für den Wohnungsbau schaffen. Aber das sind Haushaltsüberlegungen, die wir nicht beeinflussen können. Letztendlich muss die Bundesregierung mehr Geld zur Verfügung stellen, wenn es voran gehen soll.

TPP: Aber mit einem Bundesfinanzminister Christian Lindner wird dies wohl nicht gelingen.
IE:
Trivial wird das jedenfalls nicht.

TPP: Frau Esser, vielen Dank für das Interview.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von The Property Post
Erstveröffentlichung: The Property Post, Juli 2023

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Reiner Reichel, Jahrgang 1956, war viele Jahre Immobilienredaktuer des Handelsblatts. Journalismus betreibt er, wie er Fußball spielt: hart aber fair.

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Ingeborg Esser ist Hauptgeschäftsführerin des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Sie sei die Frau für die Zahlen, sagt sie über ihre Rolle im Verband, für den sie seit 30 Jahren arbeitet. Ihre Ausbildung prädestiniert sie geradezu für diese Rolle. Esser wuchs in Salzburg auf, begann ihre akademische Laufbahn mit einem Architektur-Studium in Innsbruck, wechselte ins Fach Betriebswirtschaftslehre, das sie in Regensburg als Diplom-Kauffrau abschloss. Es folgten Examen als Steuerberaterin und Wirtschaftsprüferin. Diese Expertise bringt sie als Vorsitzende des Immobilienwirtschaftlichen Fachausschusses ein in den IDW Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. Doch sie allein als Frau für die Zahlen zu sehen, täte ihr Unrecht. Sie ist zudem die Ansprechpartnerin im Verband, wenn es um die Genossenschaftsmitglieder geht. Darüber hinaus engagiert sich die begeisterte Golferin  für den nachhaltigen Wohnungsbau, unter anderem als Vorstandsvorsitzende des Vereins zur Förderung der Nachhaltigkeit im Wohnungsbau e.V. (NahWoh), und im DigiWoh Kompetenzzentrum Digitalisierung der Wohnungswirtschaft, in denen der GdW Mitglied ist.

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