21.11.2022

Neue Präsenzkultur

Wie das Büro zum Flagship-Store der Arbeitgebermarke wird

Elke Hildebrandt, freie Autorin, Presse- und Redaktionsbüro Hamburg
Elke Hildebrandt

Arbeitsplätze à la New Work: In der Corona-Pandemie haben Büros ihre Poleposition verloren und müssen sich zwischen Homeoffice, Third Place und Workation erst wieder behaupten. Innovativ gestaltete Arbeitswelten liefern jetzt die nötige Inspiration.

Der New Work Harbour in der Hamburger Hafencity gilt als eine der attraktivsten Arbeitsumgebungen Deutschlands. Auf rund 20.000 Quadratmeter Mietfläche bietet das innovativ und digital durchgestylte Headquarter von New Work SE (Betreiber von Unternehmen wie Xing und Kununu) Einblicke in das Arbeiten im New-Work-Modus. Traditionelle Büroräume gibt es hier nicht, feste Arbeitsplätze auch nicht, dafür aber jede Menge offene Bürolandschaften, beschauliche Rückzugsorte und faszinierende Kreativflächen, die sich so gar nicht nach Arbeit anfühlen. Ein kuscheliges Kaminzimmer beispielsweise, eine urige Kiez-Kneipe und ein voll ausgestatteter Bandroom gehören dazu, um nur drei der vielen außergewöhnlichen Funktionsflächen zu nennen. „Wir haben einen Ort geschaffen, der sich radikal vom Büro unterscheidet, wie wir es bisher kannten“, erklärt Petra von Strombeck, CEO von New Work SE. „Neben Räumen für Austausch, Zusammenarbeit und konzentriertes Arbeiten gibt es zahlreiche Orte zum Entspannen und Auftanken“, denn, so die Überzeugung, „niemand ist in der Lage, permanent produktiv zu sein, geistige Ablenkung ist hier ausdrücklich erwünscht.“

Maß nehmen für hybride Arbeitswelten – die große Unbekannte
Doch welche Mehrwerte – Skeptiker nutzen als Metapher das „Bällebad“ – sind ein sinnvolles Investment? Und wie viel Bürofläche wird benötigt für eine attraktive hybride Arbeitswelt? Im New Work Harbour war im Jahr 2019, dem Beginn der Umzugsplanung, eine Belegungsquote von etwa 1,2 Köpfen pro klassischem Arbeitsplatz vorgesehen. Im Zuge der Pandemie und der beschleunigten Erfahrungen mit Remote Working hat sich dieser Wert jedoch nahezu verdoppelt. Schnell sei dem Digitalunternehmen klar geworden, dass das Verhältnis in Richtung 2:1 nach oben korrigiert werden musste. Damit verschoben sich bis zum Einzug im September 2021 die Verhältnisse: Einerseits sank der Flächenbedarf, andererseits stieg der Bedarf an geteilten Büroflächen. Robert Stüer, einer der beauftragten Architekten und Geschäftsführer bei Schnittger Architekten + Partner, erinnert sich: „Die Shared Ratio wurde durch die Pandemie deutlich hochgeschraubt.“ Hybrid arbeitende Unternehmen, so schätzt er, benötigten künftig nur noch die Hälfte oder gar nur ein Drittel der bisherigen Fläche. Aber, räumt er ein, wer ins Büro komme, wolle natürlich einen attraktiven Arbeitsplatz vorfinden.

Reichlich Platz für Büros, die sich nicht nach Arbeit anfühlen
New Work SE entschied, die gemietete Fläche in dem ikonischen Bürogebäude nicht zu reduzieren, sondern als Ankermieter beizubehalten. Das frei gewordene Potenzial wurde während der Umbauplanung in der sechsten Etage gebündelt, um hier mit einzigartigem Blick über die Elbe alle Möglichkeiten von New-Work-Arbeitswelten für die rund 900 Mitarbeitenden ausspielen zu können. Während die Etagen zwei bis fünf wie geplant als Arbeitszonen für die unterschiedlichen Teams konzipiert sind, wurde die oberste Etage in einen einzigartigen Coworking Space transformiert. Dort befinden sich nun vollkommen neue Raumkonzepte für die flexible und kreative Zusammenarbeit. „Die Pandemie hat gezeigt, dass uns im Homeoffice auf Dauer Austausch und physische Nähe fehlen. Wir brauchen einen Ort, an dem unsere Unternehmenskultur lebendig wird“, sagt Petra von Strombeck. Christoph Stanek, Senior Manager Corporate Communications bei New Work SE, betont mit Blick auf die Mitarbeiterschaft: „Wir müssen Anreize schaffen als attraktiver Arbeitgeber. Das Büro spielt dabei eine zentrale Rolle für die Arbeitgebermarke.“

Raum geben, im wahrsten Sinne des Wortes
Unternehmen, die New Work leben, brechen tradierte Hierarchien auf und machen Platz für agile Führung und neue Strukturen. Der damit verbundene Kulturwandel verändert das Organisationsdesign grundlegend. „Bei der Entwicklung des neuen Arbeitens hinken manche Firmen noch hinterher, andere sind ganz weit vorne“, weiß Martin E. J. Becker aus Erfahrung. Er ist Partner bei Drees & Sommer und Experte für Workplace Consulting. Becker betont, dass auch das Thema Vertrauensarbeitszeit erst eingeführt werden muss, damit New Work wirklich gut funktionieren kann. Für überzeugte Protagonisten wie New Work SE ist der Unternehmensname gleichsam Programm. Das Gebäude Am Strandkai 1 gibt den Beschäftigten Raum, im wahrsten Sinne des Wortes. Dabei sind Flächen und Möblierung digital auf der Höhe der Zeit, multifunktional nutzbar wie ein Schweizer Taschenmesser. Auch wurde der Umzug ins neue Headquarter als Change-Prozess begriffen, und die Mitarbeitenden wurden sehr eng in die zweijährige Planung und einjährige Umbauzeit einbezogen.

Stell dir vor, du hast ein Büro – und das bleibt halb leer
„Bei New-Work-Projekten gleicht die Bedarfsanalyse für das passende Bürokonzept einem Blick auf die DNA des Unternehmens“, sagt Daniel Sieber, Geschäftsführer des Planungs- und Beratungsunternehmens Sieber. Der Berliner Architekt arbeitet seit 2016 europaweit für alle Büroflächen von New Work SE. So hat er nicht nur das Konzept für den New Work Harbour entwickelt und umgesetzt, sondern auch ein historisches Gebäude in Wien umgebaut und zusammen mit der dortigen Belegschaft zur New Work Base transformiert. Die New-Work-Arbeitswelten in Wien oder Hamburg beschreiben jedoch keinen statischen Zustand und sie sind auch nicht beliebig übertragbar, aber sie inspirieren, vor allem Arbeitskräfte. „Wir investieren bewusst in eine großzügige, gut ausgestattete Fläche, weil wir uns davon versprechen, als Arbeitgeber die Menschen nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu halten“, betont Stanek.

Damit verbunden ist die eine drängende Frage, die derzeit Büromieter ebenso wie Immobilieninvestoren und Eigennutzer beschäftigt: „Was muss heutzutage ein Büro bieten, damit es sich vom Homeoffice unterscheidet und eine Sogwirkung auf die Beschäftigten ausübt?“ Menschen ins Unternehmen zitieren, das passt so gar nicht zu den neuen, selbstbestimmten Arbeitswelten. Bei New Work SE gibt es daher seit Mai eine 60:40- Regel. Die besagt, dass Mitarbeitende zu 60 Prozent außerhalb des Headquarters arbeiten dürfen; über die übrigen 40 Prozent bestimmt das jeweilige Team gemeinsam. Die Belegungsquote schwanke seither zwischen 20 und 70 Prozent. Man sei noch in der Erprobungsphase, sagt Stanek.

Das Büro wird zum Flagship-Store der Arbeitgebermarke
Das auf Bau und Immobilien spezialisierte Beratungsunternehmen Drees & Sommer gehört seit Jahren ebenfalls zu den Vorreitern von New-Work-Konzepten und geht selbst mit gutem Beispiel voran. An seinen Geschäftssitzen in Stuttgart und München schuf das Unternehmen zwei New-Work-Hubs. Die Bürotransformationen wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, in München-Obersendling unter anderem mit dem internationalen „Best Workspaces 2022“-Award für Architektur. Die neu konzipierte Fläche dort orientiert sich an den Strukturen einer kleinen Stadt und bietet Parallelangebote für Kollaboration, Kommunikation und konzentriertes Arbeiten sowie für Erholung und Erfrischung. Der Marktplatz ist das Herzstück des Büros. Personenbezogene Arbeitsplätze gibt es auch hier nicht mehr. Desk Sharing bietet vielmehr die Möglichkeit, wirtschaftlich und flexibel mit den Büroflächen umzugehen.

Workplace-Experte Becker betont neben der ökonomischen auch die emotionale Dimension: „Wer in Sachen Arbeitswelt die Nase vorn behalten will, der muss in die Qualität der Fläche investieren. Wie in einem Flagship-Store erlebe ich hier die Arbeitgebermarke; Markenwerte und Unternehmenskultur müssen daher in den Räumen spürbar und erlebbar sein.“ Großen Wert legt Becker beispielsweise darauf, dass Materialien und Möblierung nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip ausgewählt wurden, wodurch die umweltbewusste Haltung des Unternehmens zum Ausdruck komme.

Digitalisierung macht die hybriden Arbeitswelten smart
Insgesamt ist das Office nach der Pandemie wichtiger und unwichtiger zugleich geworden. Büros bilden nun einen neuen Kontrapunkt zum mobilen Arbeiten und zu Third Places – und ergänzen diese Konzepte, stellte Drees & Sommer in seiner Trendstudie „Workspace Benchmark 2021“ fest. Benötigt werden jetzt Arbeitsumgebungen, die die individuellen Arbeitsweisen der Mitarbeitenden ermöglichen und verschiedene Arbeitsorte mitdenken. Am Fortschreiten der Büro-Digitalisierung mit Buchungs-Apps und Smart-Building-Technologien führt kein Weg vorbei. Der Einsatz von Technologie dürfe dabei kein Selbstzweck sein oder sich auf Insellösungen reduzieren, gibt Lars Scheidecker, CEO der Union Investment Real Estate Digital GmbH, zu bedenken. „Technologie entfaltet erst dann ihre Wirkung im Sinne des New Work, wenn es uns gelingt, den (Arbeits-) Alltag zu vereinfachen, Arbeitsformen und -orte zu verknüpfen und tradierte Arbeitsroutinen aufzubrechen – egal, ob im Büro, im Homeoffice oder bei der Mittagspause im Sportstudio.“

Für Desk-Sharing-Skeptiker dürften die Veränderungen groß sein, und nicht zu jedem Unternehmen passen auf New Work getrimmte Flächenkonzepte. Der Anspruch, einen attraktiven Arbeitsort zu kreieren, an den die Menschen kommen können, aber nicht müssen, erscheint erst einmal gewöhnungsbedürftig – genauso wie der damit verbundene Freiheitsgrad für den Einzelnen und die sich verändernde Führungskultur. Neue Erfahrungen müssen vielerorts erst noch gemacht werden. Zweifelsohne steht der Bürowelt ein großer Transformationsprozess bevor, und noch bleibt abzuwarten, auf welchem Niveau sich die neue Präsenzkultur einpendeln wird.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Union Investment
Erstveröffentlichung: "raum und mehr", Immobilienmagazin von Union Investment, Heft 2/2022

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