21.03.2023

Weggabelung beim Klimaschutz

Sektorziele oder Ordnungsrecht – eine Entscheidung müsste her

Dr. Paul Kowitz, Partner, KPC KOWITZ Policy Consultants
Prof. Dr. Martin Dombrowski, Partner, KPC KOWITZ Policy Consultants
Dr. Paul Kowitz

Derzeit laufen beim Klimaschutz im Gebäudebereich zwei parallele Diskussionen: Zum einen verfehlt Deutschland zum wiederholten Male sein Klimaziel im Gebäudebereich, während andere Sektoren erfolgreicher sind. Die Sinnhaftigkeit der Sektorziele wird in Frage gestellt und innerhalb der Bundesregierung sehr laut darüber nachgedacht, ob das Bundes-Klimaschutzgesetz geändert werden müsste. Zum anderen geht das Gespenst des Ordnungsrechts um. Aus Europa droht eine Vorgabe, die weithin als „Zwangssanierung“ betitelt wird, und gleichzeitig soll national eine umfassende Heizungsmodernisierung umgesetzt werden. Beide Diskussionsstränge hängen zusammen, weil sie sich jeweils um die Wärmewende ranken. Doch sie schließen sich einander aus, was über kurz oder lang eine politische Grundsatzentscheidung notwendig macht.

Sektorziele benennen Verantwortlichkeiten

Als das Umweltbundesamt kürzlich die Rohemissionsdaten des abgelaufenen Kalenderjahres 2022 veröffentlichte, überraschte es kaum jemanden, dass der Gebäudebereich ein weiteres Mal sein sektorspezifisches Klimaziel verfehlt hatte. Obwohl die Emissionen binnen eines Jahres um rund 6 Mio. Tonnen CO2 zurückgegangen sind, war der Gebäudesektor mit einer Zielverfehlung von 4,6 Mio. Tonnen CO2 abermals nicht im Zielkorridor. Die CO2-Minderung war also erfolgreich, aber nicht so erfolgreich, wie das Bundes-Klimaschutzgesetz es gerne hätte.
Das Bundes-Klimaschutzgesetz hat das Ziel, den Treibhausgasausstoß Deutschlands bis zum Jahr 2050 um mindestens 80-95% im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Um dieses übergeordnete Ziel zu erreichen, sind im Gesetz Sektorziele für verschiedene Bereiche festgelegt. Die Sektorziele im Bundes-Klimaschutzgesetz dienen dazu, eine gezielte Reduktion von Treibhausgasemissionen in verschiedenen Bereichen der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft zu erreichen. Durch Sektorziele wird sichergestellt, dass jeder Sektor seinen Beitrag zur Erreichung des übergeordneten Ziels leistet und dass die notwendigen Reduktionsmaßnahmen gezielt umgesetzt werden. Ein Sektorziel kann dazu beitragen, dass die Verantwortlichen in diesem Bereich spezifische Maßnahmen ergreifen, um den Treibhausgasausstoß zu reduzieren. Die Benennung klarer Verantwortlichkeiten gilt den Autoren des Gesetzes als Schlüssel zum Erfolg.

Sektorziele verkennen Investitionszyklen

Kritiker der Sektorziele sagen, dass der jährliche Minderungspfad nicht die Investitionszyklen des jeweiligen Wirtschaftsgutes berücksichtigen. Gerade der Gebäudesektor ist unheimlich schwerfällig, energetisch transformiert zu werden. Bauteile haben in der Regel eine Lebensdauer von mindestens 25 Jahren, in Teilen auch weit über 30 Jahren.

Die FDP plädiert deshalb für einen Ausgleichsmechanismus zwischen den einzelnen Sektoren. Sektoren wie die Energiewirtschaft und Industrie sind häufig schneller und erfolgreicher bei der CO2-Minderung. Deren Überkompensation des Klimaziels könnte mit den Zielverfehlungen von Gebäude und Verkehr ausgeglichen werden. Denn – so ist die Logik – es kommt am Ende nur auf das nationale Gesamtziel an, welches erfolgreiche Klimaschutzpolitik ausdrückt.

Der Gegenvorschlag von Wirtschaftsminister Habeck lautet, dass die Sektorziele in ihrer Form erhalten bleiben, aber Verfehlungen vom Klimaziel toleriert werden dürfen, wenn es eine plausiblen Mittelfristplan gibt, wonach alle jetzt eingeleiteten Maßnahmen geeignet sind, das Sektorziel ab 2030 wieder zu erreichen. Dies ist gewissermaßen eine Wette auf Zeit. Beide Vorschläge tragen im Kern das Verständnis in sich, dass Investitionszyklen eine wesentliche Rolle dabei spielen, ob man wirtschaftliche und effiziente Klimapolitik erreicht.

Ordnungsrecht steht im Widerspruch zu Investitionszyklen

In eben jene Logik greift das Ordnungsrecht ein. Es kümmert sich nicht darum, ob ein Bauteil oder eine Heizungsanlage noch länger durchhalten könnte und dass der Austausch damit jetzt teurer ist, als bei einem anlassbezogenen Austausch zu einem späteren Zeitpunkt. Das Ordnungsrecht verfolgt streng nur ein Ziel unter Missachtung manch anderer – in diesem Fall das Klimaschutzziel.

So sind die Mindestenergieeffizienzanforderungen an Bestandsgebäude in der EU-Gebäuderichtlinie zu verstehen, die derzeit in Brüssel beraten und in Deutschland als Maßnahme der „Zwangssanierung“ verschrien sind. Gebäude, die sich in sehr schlechten Energieeffizienzklassen befinden, sollen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine höherwertige energetische Gebäudeklasse saniert werden müssen. Die EU-Kommission möchte, dass Wohngebäude bis spätestens 2033 die Gebäudeklasse E erreichen. Anders als vielfach kolportiert wird dies etwa einen Anteil am Wohngebäudebestand von 30 Prozent ausmachen. Allerdings dürfte der Anteil in der Praxis kleiner ausfallen, da die EU-Gebäuderichtlinie vermutlich mit diversen Ausnahmen ausgestattet sein wird, etwa für historische und denkmalgeschützte Gebäude, die nicht unter den harten Druck der Sanierung fallen werden. Dennoch, für denGebäudebestand, der keine Ausnahme geltend machen kann und energetisch ertüchtigt werden muss, gilt hartes Ordnungsrecht.

Gleiches gilt für die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes, die Wirtschaftsminister Habeck vorschlägt. Ab Januar 2024 sollen nur noch Heizungsanlagen eingebaut werden dürfen, die zu mindestens 65 Prozent unter erneuerbaren Energien laufen. Im Havariefall hätten Bestandsanlagen nur drei Jahre Zeit, auf die entsprechende Vorgabe einzuschwenken. Besonders einschneidend und in die Lebensdauer der Anlagen eingreifend sind dann eben die Fälle, die doch gar nicht so selten sind: Geht in einem Mehrfamilienhaus nur eine einzige Heizung kaputt, muss die gesamte Hausgemeinschaft binnen der genannten Dreijahresfrist ein Konzept für ein erneuerbares Heizungssystem erstellt haben, ehe weitere drei Jahre später das Konzept umgesetzt sein muss.

Eine Grundsatzentscheidung bleibt offen

In dieser Stelle passen die beiden Diskussionsstränge – Sektorziel und Ordnungsrecht – nicht zueinander. Bei den Sektorzielen ging es neben der Verantwortungszuweisung immer darum, einen grundsätzlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen CO2-Minderung stattzufinden hat. Wie stark die Minderung sein muss, definiert das gebäudespezifische Klimaziel in Jahresscheiben. Damit bleibt unausgesprochen ein Höchstmaß an Wirtschaftlichkeit und Technologieoffenheit erhalten. Denn das Sektorziel macht keine Vorgaben darüber, wie das Ziel erreicht werden soll. Ganz offensichtlich ist das Ordnungsrecht hier anders. Es ordnet Wirtschaftlichkeit und Technologieoffenheit als Prinzipien deutlich dem finalen Ziel unter.

Anders ausgedrückt: Wer Ordnungsrecht befürwortet, verfolgt Maßnahmen um jeden Preis, die das Klimaziel erreichbar machen, weshalb es keine Sektorziele mehr braucht. Wer bei den Sektorzielen bleiben und Gestaltungsspielräume bei Technologie und Innovationssprüngen erhalten will, kann als Instrument nicht das Ordnungsrecht wählen. Beide Konzepte schließen sich gegenseitig aus.

Abgesehen von der (nicht ganz unbedeutenden) Frage, wie teuer und effizient eine Maßnahme ist, wird das Ordnungsrecht fast immer sein Ziel erreichen – allerdings ohne Rücksicht auf Verluste. Bei den Sektorzielen muss man schon etwas Vertrauen haben und rückblickend für die letzten drei Jahre konnte der Gebäudesektor dieses Vertrauen nicht einlösen. Der Grund dafür ist aber auch ganz einfach: Sektorziele schaffen zwar einen sachgerechten Rahmen, aber enthalten keine Anreizsystematik. Damit fehlt es an Motivation der Marktakteure, auch zeitgerecht ins Handeln zu kommen. Diese Motivation kann in der Schule der Anreizpolitik eigentlich nur der CO2-Preis sein. Doch so niedrige Preise im Wärmemarkt, die bei 35 Euro je Tonne CO2 liegen und ab 2027 europäisch sogar bei 45 Euro je Tonne CO2 gedeckelt bleiben sollen, lösen keinen ausreichenden Handlungsdruck aus. Der Preis müsste – um diesen zu generieren - innerhalb kurzer Zeit auf über 200 Euro pro Tonne steigen. Die sozialen Verwerfungen ließen sich über die fünffach so hohen Einnahmen aus der Bepreisung abfedern. Ohne einen wirksamen CO2-Preis sind die Sektorziele im Gebäudebereich blutleer. Dann hilft eben doch nur Ordnungsrecht.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von KPC KOWITZ Policy Consultants
Erstveröffentlichung: The Property Post, März 2023

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