29.04.2015

Altersgerechtes Wohnen

Die Chancen einer älteren und vielfältigeren Gesellschaft müssen beim Wohnungsbau berücksichtigen werden.

MdB Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher, CDU/CSU Bundestagsfraktion
MdB Jens Spahn

Im Jahr 2030 wird jeder dritte Deutsche älter als 60 sein. Das hat einen Wandel in allen gesellschaftlichen Bereichen zur Folge. Denn ältere Menschen stellen andere Anforderungen an die Stadtgestaltung, den öffentlichen Personennahverkehr, die Betreuung im Krankheitsfall und vor allem an ihre eigenen vier Wände. Erste Anzeichen, in welche Richtung es geht, sind bereits zu erkennen. Der Trend liegt auch bei pflegebedürftigen Personen im Verbleib in der eigenen Wohnung oder zumindest in kleinen privaten Wohnformen. Nicht nur in finanzieller Hinsicht sind wir gut beraten, bei der Planung von Neubauten oder notwendigen Umbauten die Chancen einer älteren und vielfältigeren Gesellschaft zu berücksichtigen.

Wir stecken mitten in einem einmaligen Prozess: Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt stetig, jeden Tag im Schnitt um mehrere Stunden. Laut Statistischem Bundesamt steigt sie bei neugeborenen Jungen bis zum Jahr 2060 um acht auf 85 Jahre und bei neugeborenen Mädchen um sieben auf 89,2 Jahre

Heute besteht die Bevölkerung mit jeweils einem Fünftel noch fast zu gleichen Teilen aus Kindern und jungen Menschen unter 20 Jahren sowie aus 65-jährigen und Älteren. Schon in 20 Jahren werden die 65-jährigen und Älteren etwa 29 Prozent der Bevölkerung ausmachen. 2060 wird dann jeder Dritte (34 Prozent) mindestens 65 Lebensjahre durchlebt haben. Das Hauptziel der Überlegungen und Maßnahmen besteht darin, den Menschen ein möglichst langes selbstbestimmtes Leben im Alter zu ermöglichen. Umfragen belegen, dass ein Leben in Selbständigkeit, in der vertrauten Umgebung und mit der Erhaltung der sozialen Kontakte zu den wichtigsten Wünschen der älteren Bevölkerung zählt.

Außerdem erreichen immer mehr Menschen ein hohes Alter bei immer besserer körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit. Wir leben länger und bleiben länger gesund. Das ist ein Grund zur Freude, schon seit Jahrhunderten träumen die Menschen den Traum vom längeren Leben. Bei uns wird er Realität. Gleichzeitig nimmt aber vor allem im hohen Alter das Risiko für den einzelnen zu, an Demenz zu erkranken oder pflegebedürftig zu werden.

Vor diesem Hintergrund werden insbesondere die sozialen Sicherungssysteme und hier vor allem die Pflegeversicherung vor neue Herausforderungen gestellt. Die Menschen wollen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung und damit in den eigenen vier Wänden bleiben. Dabei haben ältere Menschen andere Anforderungen an ihren Wohnraum. Diese müssen erfüllt werden, um möglichst lange ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben zu ermöglichen. Gelingen kann das nur, wenn die Finanzierung, die Planung, die Ausgestaltung und der Bedarf gemeinsam zwischen den Beteiligten erkannt und abgestimmt wird. Alle – die Wohnungswirtschaft, die Pflegeversicherung, die Kommunen und die Bewohner selbst – müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, denn nur so können die sich ändernden Anforderungen auch wirklich umgesetzt werden.

Unser Ziel ist es, dass ältere und pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich ihren Alltag selbst gestalten und ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Das Pflegeneuausrichtungsgesetz im vergangenen Jahr war ein Schritt in die richtige Richtung. Um es Pflegebedürftigen zu ermöglichen, so leben zu können, wie sie das möchten, werden Wohnformen zwischen der ambulanten und stationären Betreuung durch Leistungen der Pflegeversicherung seit 2013 zusätzlich gefördert. Dabei erhalten Pflegebedürftige in Wohngruppen bis zu einer maximalen Höhe von 10.000 Euro je Wohngruppe im Rahmen eines zeitlich befristeten Initiativprogramms eine Förderung von 2.500 Euro pro Person. Davon können beispielsweise notwendige Umbaumaßnahmen in der gemeinsamen Wohnung finanziert werden. Darüber hinaus finanziert die Pflegeversicherung Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds mit Festzuschüssen in Höhe von bis zu 2.557 Euro je Maßnahme. Diese können sowohl für Umbaumaßnahmen als auch für technische Hilfen im Haushalt eingesetzt werden. Im Bereich der neu zu gründenden Wohngruppen können diese Zuschüsse für eine Maßnahme viermal, also bis zu einer Höhe von 10.228 Euro beantragt werden. Damit ist eine gute Grundlage gelegt, Pflegebedürftigen aus der Pflegeversicherung heraus eine finanzielle Unterstützung für einen Verbleib in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Aber was nützt eine finanzielle Unterstützung, wenn die Wohnung zwar barrierefrei umgestaltet werden kann, aber im dritten Stock ohne Fahrstuhl liegt. Oder wenn sich Menschen zusammenfinden, um eine Wohngruppe zu gründen, aber die herkömmlichen Wohnungen diesen neuen Anforderungen nicht entsprechen, z.B. weil kein Gemeinschaftsraum vorgesehen ist, weil nicht alle vier Schlafräume groß genug sind für ein Pflegebett mit ergänzender Möblierung oder die Küche zu klein ist, um auch mit dem Gehwagen hantieren zu können?

Daher ist es zwingend erforderlich, dass neben den bereits heute möglichen finanziellen Zuschüssen auch die Infrastruktur der Wohnungswirtschaft sich den neuen Herausforderungen stellt und auf den sich verändernden Bedarf eingeht. Die Chance für die Immobilienwirtschaft liegt nach meiner Einschätzung in der wachsenden Gruppe der Mieter und Wohneigentümer der Generation 50 plus. Weil die Menschen künftig älter sind, ist zu erwarten, dass insbesondere bei einkommensschwächeren Mieterhaushalten die Nachfrage nach kleineren und altersgerechten Wohnungen zu bezahlbaren Preisen steigen wird. Nach einer Studie des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen müssen bis 2020 allein in Deutschland zusätzlich rund 800.000 Wohnungen altersgerecht modernisiert werden. Der Bereich des altersgerechten Wohnens birgt damit ein erhebliches Wachstumspotenzial.

Es bedarf aber erheblicher Investitionen, um die Alterstauglichkeit der Wohnungen zu verbessern. Bereits seit 2009 setzt die Bundesregierung im Rahmen des Förderprogramms „Altersgerecht umbauen“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Investitionsanreize. Damit können z.B. Schwellen entfernt, Wände und Durchgänge versetzt, die Küche und das Bad umgebaut oder Terrassen und Balkone gestaltet werden. Je Wohneinheit können hiermit Darlehen bis zu 50.000 Euro aufgenommen werden.

Neben behindertengerechten und barrierefreien Wohnungen sind altersgerechte Assistenzsysteme genauso ein Thema, dem wir uns deutlich stärker als bisher widmen müssen. Und das gerade auch weil derzeit erst rund ein Prozent der Wohnungen in Deutschland altersgerecht ausgestattet sind. Eine Studie des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe im Auftrag des Bundesbauministeriums sieht diesen Bedarf aber bereits in wenigen Jahren auf über sechs Prozent ansteigen.

Ambient Assisted Living (AAL)-Systeme, also selbstbestimmtes Leben durch innovative Technik wie den selbsteinkaufenden Kühlschrank, sind bislang keine Massenprodukte, obwohl es hier große Fortschritte gegeben hat. Dabei haben sie sich von der Fokussierung auf das Thema Dienstleistungen weiterentwickelt auf die Bereiche Arbeit, Mobilität, Gesundheit und Pflege. Diese Entwicklung gilt es weiter zu fördern.

Technische Unterstützungssysteme sind auch als Wohnmodule vor allem für den ländlichen Raum zu konzipieren. Entsprechende Systeme müssen zum Beispiel über lokale Service- oder Pflegeanbieter betreut werden können, um dabei vor allem in diesen Regionen einen Verbleib in den eigenen vier Wänden so lange wie möglich zu realisieren. Dabei ist ein Schwerpunkt auf Maßnahmen zu legen, die problemlos für unterschiedliche Wohnformen einsetzbar sind und mit dem Ziel der Flexibilität auch problemlos wieder deinstallierbar sein sollten, um Wohnungen nachfragegerecht nutzen zu können.

Um insbesondere den Nutzen für die Stabilisierung und Stärkung der häuslichen Pflege gegenüber der Eigenständigkeit im Alter zu untermauern, hat das Bundesministerium für Gesundheit eine Studie in Auftrag gegeben. Anhand der Ergebnisse sollen in Zukunft auch AALs in den Leistungskatalog der Pflegeversicherung aufgenommen werden können. Das ist ein guter und wichtiger Schritt. Alle Systeme können aber nur dann einen Nutzen bringen, wenn auch die Betroffenen mit in die Planung einbezogen werden und somit der Nutzen für die Zielgruppe größtmöglich erschlossen werden kann. Unterstützt wird dieses Vorgehen auch durch mehrere Förderprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Demografie-Strategie der Bundesregierung.

Das Thema „Altersgerechtes Wohnen“ gewinnt zudem auch städtebaulich zunehmend an Bedeutung. Angesichts eines abnehmenden Aktionsradius älterer Menschen werden die unmittelbare Wohnumgebung und die Attraktivität des Stadtteils für die Menschen immer wichtiger. Gerade ältere Menschen wissen die Vorzüge einer „Stadt der kurzen Wege“ und wohnungsnaher Versorgungsangebote besonders zu schätzen. Die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, die Erreichbarkeit von Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und Ärzten werden zu zentralen Kriterien eines selbstbestimmten Lebens und einer hohen Lebensqualität im Alter. Einen weiteren wichtigen Partner in diesem Zusammenhang stellen damit auch die Kommunen dar, die sich ebenfalls der Herausforderung sich wandelnder Bevölkerungsstrukturen stellen müssen. Nur alle Beteiligten gemeinsam werden mit dem Ziel der besonderen Bedeutung dieser Maßnahmen für die individuelle Region erfolgreich sein.

Unsere älter werdende Gesellschaft stellt uns auch im Bereich der Wohnungswirtschaft vor neue Herausforderungen, die nur gemeinsam mit den Betroffenen, den Leistungserbringern und Kostenträgern zu stemmen sind. Dabei muss das Ziel sein, jedem, der es sich wünscht, einen Verbleib in den eigenen vier Wänden so lange zu ermöglichen, wie er es sich wünscht.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.
Erstveröffentlichung: ZIA Geschäftsbericht 2012/2013

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