15.01.2024

Digitalisierung & KI

Nur so wird die Immobilienwirtschaft CO2-neutral

Markus Steinhauser, CEO, Wohnraum AG
Christian Schlicht, CEO, Beyond Tech GmbH
Markus Steinhauser

Hohe Zinsen, fallende Immobilienpreise, Baustopps, Bauträger-Pleiten, Wärmewende und generell ein Wohnraumangebot, das weit hinter dem Bedarf zurückbleibt, prägen derzeit die Immobilienwirtschaft. Bis sich die Lage bessert, werden noch Jahre vergehen. Doch es gibt noch eine Chance: Durch Digitalisierung und den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich vielfältige Probleme lösen, und zwar nicht nur schneller, sondern auch deutlich günstiger.

Die Immobilienwirtschaft hat das Thema Digitalisierung lange vernachlässigt. Noch immer laufen viele Prozesse der Immobilienwirtschaft auf Papier: Von der Hausverwaltung über die Verbrauchsabrechnungen bis hin zu Planung von Modernisierung und Sanierung werden überwiegend Rechnungen per Post verschickt und Baupläne ausgedruckt. Und selbst wenn die einzelnen Prozesse und die Kommunikation heute elektronisch per E-Mail, Messenger oder sonst einer Software erfolgt, mangelt es an Automatisierung und der Verknüpfung von Datenquellen.

Bisher gab es in der Branche wenig Druck für die Unternehmen, sich über den Grad der Digitalisierung zu differenzieren. Doch das dürfte sich nun ändern. Denn durch die Pflichten zu einer Nachhaltigkeitsberichtserstattung, die in den kommenden Jahren für einen Großteil der Unternehmen gelten werden, kommen immer weniger Immobilienunternehmen um eine tiefgreifende Digitalisierung herum. Um die 2700 Regelwerke auf EU-Ebene, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu berücksichtigen und die geforderten Berichte zu erstellen, müssen hunderten Datenquellen ausgewertet und verknüpft werden. Die Anforderungen sind derart granular, dass viele Immobilienunternehmen die benötigten Daten noch gar nicht haben.

Was nach Zumutung klingt, ist jedoch eine große Chance für Immobilienunternehmen. Zum einen sorgt die Erfassung bislang fehlender Daten für mehr Transparenz. Zum anderen macht die Auswertung von Realtime- und kaufmännischen Daten – beispielsweise von Energieversorgern, Entsorgungsunternehmen, Miethöhe und Verkehrswert – mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) Mustererkennungen und damit Prognosen möglich. Prognosen sind so jederzeit möglich, selbst, wenn sich an den Parametern wieder einmal etwas ändert. Ein Beispiel: Mit den Daten unserer verwalteten 50er- und 60er-Jahre-Wohnquartiere ist eine KI in der Lage, bundesweit vergleichbare Objekte zu finden, den energetischen Zustand ähnlicher Gebäude zu diagnostizieren und Prognosen zu Verkehrswerten, Sanierungskosten, Leerstandsentwicklung sowie Energieverbrauch und Mieteinnahmen zu erstellen – und zwar durch die Kombination von Daten. Dafür müssen nur 270 größtenteils frei zugängliche Datentöpfe miteinander verknüpft, bereinigt und mittels KI ausgewertet werden.

Der Initial-Aufwand in der Digitalisierung sowie das Training einer KI zahlen sich somit unmittelbar aus. Eine Digitalisierung der Immobilienwirtschaft ermöglicht zum Beispiel präzise Aussagen darüber, wo die in Deutschland mittlerweile fehlenden 1,6 Millionen Wohneinheiten entstehen könnten oder
durch Leerstand bereits vorhanden sind.

Mit einer KI ließe sich auch sehr genau vorhersagen, mit welchen energetischen Sanierungsmaßnahmen innerhalb von zehn Jahren CO2-Neutralität im Gebäudesektor erreicht wird. Für die energetische Sanierung der Wohngebäude in Deutschland ist laut Schätzungen rund eine Billion Euro nötig – und damit schlicht unfinanzierbar. Mit einer digitalen Immobilienwirtschaft ist es aber leicht möglich, die effizientesten Maßnahmen und Gebäudetypen dafür zu identifizieren. So ließe sich viel zielgerichteter und damit günstiger sanieren.

Das Bundesbauministerium braucht diese Informationen ebenso dringend wie die Immobilienverbände und -unternehmen. Und sie liegen tatsächlich schon vor. Wir müssen nur mehr aus Big Data herausholen, wir brauchen Smart Data. An der Digitalisierung von Gebäudedaten führt daher kein Weg vorbei.

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von WR Wohnraum AG
Erstveröffentlichung: Konii, Dezember 2023

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