08.12.2022

Steigende Bedeutung von ESG-Kriterien

Welche Faktoren stehen für die Immobilienbranche besonders im Fokus?

Christoph Straube, Vorstand, W&L AG
Christoph Straube

Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Verantwortungsbewusstsein – Begriffe, wie diese gewinnen im Rahmen eines grünen Paradigmenwechsels immer mehr an Bedeutung für die Immobilienbranche. Dabei sind es vor allem die drei Buchstaben ESG, die Portfolio-, Asset- und Property-Manager, aber auch Fondsverwalter und Investoren stärker denn je vor Herausforderungen stellen. Wer bei der Vermarktung von Immobilien nicht den Anschluss verlieren will, sollte seine Bestände deshalb gewissenhaft auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüfen. Welche Faktoren dabei besonders im Fokus stehen, erklärt der CEO der Wohnen & Leben AG Christoph Straube in diesem Artikel.
 
ESG – Christoph Straube über die Dimensionen moderner Nachhaltigkeitskonzepte

Hinter der Abkürzung ESG stehen die Begriffe Environmental Social Governance. Sie umfassen sämtliche Beiträge, die Unternehmen über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus für eine nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung leisten. Hervorzuheben sind dabei vor allem die folgenden Schwerpunkte.

1. Environmental (Umwelt)
-    Klimaschutz
-    Ressourcenschonung
-    Artenschutz
-    Recycling

2. Social (Soziales)
-    Faire Löhne
-    Unternehmensinterne Gleichberechtigung
-    Integration und Inklusion
-    Harmonische Sozialstrukturen in Mieteinheiten
-    Verbesserung des Nutzungskomforts von Immobilien

3. Governance (Unternehmensführung)
-    Compliance
-    Langfristiges Reputation Management
-    Vorausschauendes Risikomanagement
-    Transparenter Dialog mit Investoren

Bereits diese kurze Auswahl zeigt, dass sich Immobilienunternehmen vielfältige Möglichkeiten bieten, ESG-Strategien individuell zu definieren und umzusetzen. Und gerade in dieser individuellen Vielfalt lag lange Zeit eins der Hauptprobleme, schmälerte sie doch die Aussagekraft von unternehmenseigenen Zertifizierungen, die häufig eher den Charakter von Marketing-Maßnahmen als von selbstlosem Engagement aufwiesen.

Durch den Sustainable Finance Action Plan der EU hat sich im März 2021 aber einiges daran geändert. Hervorzuheben sind hier vor allem die Taxonomie- und die Offenlegungsverordnung, mit denen zum ersten Mal verbindliche Kriterien aufgestellt wurden.

Die Bedeutung der neuen EU-Regelungen für Bestandsverwalter

Aktuelle Studien legen nahe, dass es Investoren immer wichtiger wird, ihr Kapital in nachhaltigen Assets anzulegen. Portfolio- und Asset-Manager sind entsprechend gefordert, auf deren Wünsche einzugehen, wen sie angemessene Finanzierungsgrundlagen schaffen wollen. Deutlich lässt sich diese Entwicklung etwa anhand der Studie „Nachhaltigkeit im Asset Management – Wahrnehmung, Investmentstrategien und Risikoaspekte“ nachvollziehen, die 2018 vom Research Center for Financial Services durchgeführt wurde.

Im Rahmen der darin enthaltenen Befragung wurde ermittelt, dass Umweltfaktoren eine zentrale Rolle bei Investitionsentscheidungen spielen – nicht nur in Hinblick auf die gesellschaftliche Dringlichkeit, sondern auch bezogen auf das Unternehmen selbst. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Eindämmung des Klimawandels und die Schaffung menschenwürdiger Arbeits- und Produktionsbedingungen. Institutionelle Investoren weisen hier vermehrt auf ihren Wunsch hin, Kapital an den richtigen Stellen einzusetzen. Weiterhin zeigte die Studie, dass sich Anleger von der Nutzung nachhaltigkeitsorientierter Strategien bessere Performances und eine Risikominderung versprechen.

Experten weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Bestandsverwalter mehr Sensibilität für die Chancen dieser Dynamik entwickeln und sich nicht nur auf den zusätzlichen Aufwand fokussieren sollten. Zu diesem Schwerpunkt kommen auch andere Datenerhebungen wie die Ernst-Young-Real-Estate-Asset-Management-Studie 2020. Darin bewerteten 62 % der Unternehmen den aktuellen Status ihrer ESG-Strategie als marginal. Entsprechend groß sind die Potenziale, die sich in diesem Bereich für Pioniere ergeben.

Ansatzpunkte für die Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten

Die Implementierung ESG-konformer Konzepte kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen. Gestaltungsspielräume eröffnen sich etwa in den folgenden Bereichen.

Umwelt:
Ein zentraler Ansatzpunkt bei der Umsetzung von Umweltschutzkonzepten besteht in der Nutzung nachhaltiger Baumaterialien, der Verwendung ressourcenschonender Technik und einer transparenten Zusammenarbeit zwischen Verwalter, Eigentümer und Nutzer.

Beliebte nachhaltige Baustoffe sind etwa Lehm, Holz, Ziegel, Reet, Natursteine und Naturlacke. Geht es um Energieeffizienz, werden Techniken wie Geothermie und Photovoltaik immer wichtiger. Sie sind nicht zuletzt aus dem Grund so interessant, dass auch Bestandsobjekte damit ausgestattet werden können und das Thema Umweltschutz damit nicht nur auf Neubauten beschränkt ist. Weitere wichtige Konzepte betreffen umweltfreundliche effiziente Dämmungen, Gebäudeaufstockungen zur Vermeidung neuer Flächenversiegelungen und Dachbegrünungen.

Soziales:
Sozialen Anforderungen entsprechen Bestandsverwalter etwa mit einer Realisierung nachhaltiger Mieterstrukturen – zum Beispiel in Seniorenresidenzen oder Sozialbauten. Weitere Möglichkeiten sind Zinsspenden für soziale Zwecke, Aktienerwerbe von Unternehmen mit grünen Produktionsbedingungen und Mikrofinanzfonds. Auch die Sicherstellung gut zugänglicher Verkehrsanbindungen ist in diesem Zusammenhang zu nennen.

Unternehmensführung:
Geht es um das Thema Wirtschaftlichkeit, ist der Lebenszyklus der Immobilie ein wesentlicher Faktor. Jedes Objekt soll sich über seinen gesamten Lebenszeitraum hinweg tragen und langfristig Erträge erwirtschaften. Dabei spielen Faktoren wie die Qualitätssicherung bei der Bauausführung, die Auswahl der Investitionsstrategie (z. B. Fix and Flip vs. Buy and hold), regelmäßige Überprüfungen von Dienstleisterverträgen und das Risikoprofil (Core- vs. opportunistisches Segment) eine Rolle.

Der Ablauf ESG-bezogener Prüfungen

ESG-relevante Maßnahmen werden üblicherweise im Rahmen klassischer Feedback-Schleifen umgesetzt. Der erste Schritt besteht dabei in der Festlegung von Zielen in den Bereichen Umweltschutz, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit. Im Anschluss daran wird ein Audit vorgenommen, das die Untersuchung von Bestandsobjekten, in Betracht kommenden Zukäufen und Projektentwicklungen auf ihre Eignung für das Gesamtportfolio hin überprüft. Üblicherweise geht man dabei anhand eines festen Schemas vor, das Faktoren wie die Nutzungsart, die Mieterauswahl, Klimazertifizierungen und die Energieversorgung umfasst.

Wenn interessante Immobilien zu den Vorgaben passen, erfolgt ihre Aufnahme in das Portfolio. Weisen Bestandsimmobilien Mängel auf, werden sie entweder modernisiert oder verkauft.

Da das Nachhaltigkeitsthema langfristig ausgerichtet ist und die Rahmenbedingungen einem steten Wandel unterliegen, muss die Feedback-Schleife immer wieder von Neuem beginnen. Dementsprechend ist die Prüfung des Bestandes kontinuierlich vorzunehmen, um eine optimale Performance des Portfolios sicherzustellen.

W&L CEO Christoph Straube über die Zukunftsperspektiven von ESG

Nimmt die Präsenz des Themas ESG aktuell auch stark zu, so befindet es sich doch noch ganz am Anfang. Es ist zu erwarten, dass in absehbarer Zeit weitere gesetzliche Vorgaben folgen, weshalb Eigentümer und Verwalter zu proaktivem Handeln angehalten sind. Bestärkend wird sich hierbei der zunehmende wirtschaftliche Druck auswirken, der von den Investoren ausgeht. Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass das Thema Nachhaltigkeit in Zukunft weiter an Relevanz in der Immobilienbranche gewinnen wird.

Entsprechend tun bislang unregulierte Marktteilnehmer gut daran, spätestens jetzt mit der Entwicklung von Strategien zu beginnen und diese in ihren Vertragsgestaltungen konkret umzusetzen. Andernfalls erwachsen Risiken wie Wertverluste bei Immobilien und eine eingeschränkte Vermarktbarkeit. Wichtig ist dabei, dass in den Unternehmen ausreichend personelle Kapazitäten bereitgestellt werden, um die komplexen Aufgaben zu bewältigen.

 

 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von W&L AG
Erstveröffentlichung: The Property Post, Dezember 2022

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