Berlin ist ein Magnet – für Kreative, Fachkräfte, Forschende, Studierende. Doch der Magnet verliert an Kraft, wenn die Stadt beginnt, jene Wohnformen zu bekämpfen, die genau diese Menschen brauchen. In mehreren Bezirken werden derzeit bauordnungsrechtliche Maßnahmen gegen möbliertes Wohnen auf Zeit eingeleitet – mit Nutzungsuntersagungen, Zwangsgeldandrohungen und sogar eigens eingerichteten Meldeportalen. Das alles geschieht, obwohl die rechtliche Grundlage dafür fehlt.
Man muss sich das vorstellen: Eine Wohnung wird möbliert vermietet – und plötzlich soll das eine „baurechtlich unzulässige Nutzungsänderung“ sein. Der Schreibtisch im Wohnzimmer wird zur juristischen Sollbruchstelle, der Esstisch zum vermeintlichen Rechtsverstoß. Der gesunde Menschenverstand bleibt dabei oft auf der Strecke.
Ein rechtliches Konstrukt ohne Fundament
Die Argumentationslinie vieler Bezirke stützt sich auf das sogenannte Beckmann-Gutachten – ein Papier, das allerdings in der juristischen Fachwelt keine Bestätigung gefunden hat. Weder Rechtsprechung noch Literatur folgen der dort vertretenen These, dass möbliertes Wohnen auf Zeit eine eigenständige Nutzungsart im Sinne des Bauplanungsrechts darstellt.
Das Rechtsgutachten von Rechtsanwalt Lukas Andreas Wenderoth widerspricht der Verwaltungspraxis deutlich. Es legt überzeugend dar: § 172 BauGB, der den sogenannten Milieuschutz regelt, bietet keinerlei Grundlage, um eine Genehmigungspflicht allein wegen der Möblierung oder Befristung eines Mietvertrags zu konstruieren. Baurechtlich relevant ist nur, wenn sich die Art der Nutzung oder die bauliche Beschaffenheit eines Gebäudes ändert (§ 29 BauGB).
Eine Wohnung bleibt eine Wohnung – ob sie leer, teilmöbliert oder komplett ausgestattet vermietet wird. Der Schreibtisch ändert nicht den Nutzungszweck. Und eine Befristung verändert nicht den Charakter des Wohnens, sondern nur den Zeitraum, in dem es stattfindet.
Kurzum: Die derzeitige Verwaltungspraxis hat kein tragfähiges Fundament im geltenden Recht.
Eigentumsschutz statt Erhaltungsdogma
Zudem darf das Erhaltungsrecht nach § 172 BauGB nicht zur Mietpreissteuerung missbraucht werden. Der Bundesgesetzgeber hat hierfür mit den §§ 556d ff. BGB – also der Mietpreisbremse – ein eigenes, abschließendes System geschaffen. Wer über den Umweg des Baurechts Mietpreise lenken will, überschreitet bewusst die Grenze zwischen Stadtentwicklung und Mietpolitik.
Das führt nicht nur zu Rechtsunsicherheit, sondern auch zu verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriffen in das Eigentumsrecht (Art. 14 GG). Wenn Eigentümer faktisch gezwungen werden, ihre Wohnungen nur zu bestimmten Konditionen oder gar nicht mehr zu vermieten, wird das grundgesetzlich geschützte Verfügungsrecht entwertet. Eigentum verpflichtet – ja. Aber es berechtigt auch.
Gerade in einer Stadt wie Berlin, in der der Wohnungsmarkt ohnehin von Unsicherheiten geprägt ist, sollte die Verwaltung mit dieser Balance sensibel umgehen – nicht mit Vorschlaghammer, sondern mit Feingefühl.
Wohnen auf Zeit ist kein Airbnb – sondern ein Baustein urbaner Flexibilität
Möbliertes Wohnen auf Zeit wird häufig in einen Topf mit touristischer Kurzzeitvermietung geworfen. Das ist sachlich falsch. Wer auf Zeit wohnt, sucht kein Ferienerlebnis, sondern ein Zuhause auf Zeit – für Projekte, Studienaufenthalte, Forschungsaufträge oder berufliche Übergangsphasen.
Diese Zielgruppen sind keine Belastung, sondern eine Bereicherung: Sie bringen Fachwissen, Steuereinnahmen und Konsumkraft in die Stadt. Sie sorgen für Innovation, Internationalität und kulturellen Austausch. Möbliertes Wohnen ist damit ein wichtiger Flexibilitätsbaustein im urbanen Wohnungsgefüge – vergleichbar mit dem Stoßdämpfer in einem Fahrzeug: Man merkt seine Bedeutung erst, wenn er fehlt.
Wenn Anbieter sich nun aus Angst vor Sanktionen zurückziehen, hat das fatale Folgen. Der Markt für befristetes Wohnen trocknet aus, internationale Fachkräfte finden keine Unterkunft – und Berlin verliert wirtschaftlich wie gesellschaftlich an Attraktivität.
Eine gefährliche Schieflage der Verwaltungspraxis
Besonders alarmierend ist, dass der Berliner Senat mittlerweile offen für Überlegungen scheint, möbliertes Wohnen auf Zeit als eigenständige baurechtliche Nutzungsart einzustufen. Was nach technischer Feinjustierung klingt, wäre in Wahrheit ein Paradigmenwechsel – mit weitreichenden Konsequenzen.
Denn eine solche Klassifizierung würde die restriktive Praxis der Bezirke nachträglich legitimieren und verfestigen. Sie würde zu einer Entwertung des Wohnungsbegriffs führen, der bislang bewusst weit gefasst ist. Das Baurecht unterscheidet nicht zwischen Dauer- und Zeitwohnen – und das aus gutem Grund: Städte brauchen Beweglichkeit. Sie leben von Übergängen, von Menschen, die kommen, bleiben oder weiterziehen.
Wenn Wohnen auf Zeit künftig als „Sondernutzung“ gilt, öffnet das die Tür für neue Genehmigungspflichten, Meldeverfahren und Bußgelder – ein bürokratisches Dickicht, das am Ende vor allem eines erzeugt: Unsicherheit.
Stadtentwicklung braucht Realitätssinn, nicht Symbolpolitik
Berlin hat ohne Frage ein ernstes Wohnungsproblem. Doch es wird nicht kleiner, wenn man flexible Wohnformen bekämpft, die in anderen Metropolen längst selbstverständlich sind. London, Paris oder Brüssel haben erkannt, dass Mobilität am Arbeitsmarkt auch räumliche Mobilität braucht.
Wer dagegen das Möblieren einer Wohnung zum Politikum macht, verwechselt Ursache und Symptom. Das Problem ist nicht die befristete Vermietung, sondern der Mangel an Neubau, zu wenig Bauland und zu viel Regulierung, die Investitionen ausbremst.
Eine Stadt, die sich wirtschaftlich und sozial weiterentwickeln will, braucht Rechtsklarheit und Offenheit – nicht Misstrauen gegenüber neuen Wohnformen. Statt Misstrauensportale aufzubauen, sollte die Verwaltung den Dialog mit Anbietern suchen und klare Leitlinien formulieren, die Rechtssicherheit schaffen.
Recht bewahren, Vielfalt ermöglichen
Möbliertes Wohnen auf Zeit ist kein juristischer Graubereich, sondern eine legitime Form des Wohnens, die längst Teil der urbanen Realität ist. Sie steht nicht im Widerspruch zu sozialem Erhalt, sondern ergänzt ihn – indem sie Menschen in Bewegung Raum gibt.
Der Versuch, diese Wohnform über das Baurecht zu regulieren, ist rechtlich unbegründet, wirtschaftlich schädlich und gesellschaftlich kurzsichtig. Berlin sollte sich nicht in kleinteiligen Genehmigungsfragen verlieren, sondern die eigentliche Herausforderung angehen: mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, ohne bestehende Flexibilität zu zerstören.
Denn Städte sind wie Organismen – sie funktionieren nur, wenn sie atmen können. Und möbliertes Wohnen auf Zeit ist ein Teil dieses Atems. Ihn zu unterdrücken, heißt, die Stadt selbst zum Stillstand zu bringen.
Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Wunderflats GmbH
Erstveröffentlichung: The Property Post, November 2025