Viele Akteure verlieren den ESG-Fokus und handeln nur kurzfristig.
Herr Prinz, Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Nachhaltigkeit und ESG im Immobiliensektor. Wie schätzen Sie den aktuellen Stellenwert des Themas in der Branche ein?
Vor der Corona-Pandemie war ESG tatsächlich ein Hype-Thema. Viele Akteure haben damals erkannt, dass Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft eine strategische Bedeutung hat. Inzwischen hat sich das Bild verändert. Ich nehme wahr, dass der Markt gespalten ist: Auf der einen Seite stehen Akteure, die ESG als Voraussetzung für Refinanzierungen oder zukünftige Marktchancen begreifen. Auf der anderen Seite gibt es viele, die derzeit andere Sorgen haben. Banken fordern zunehmend Nachweise über Nachhaltigkeit, während Immobilienfonds oft mit Liquiditätsengpässen kämpfen und kurzfristig Kapital beschaffen müssen, um gekündigte Anteile zurück zahlen zu können. Deshalb wird ESG derzeit vielerorts niedriger priorisiert – nicht, weil es unwichtig wäre, sondern weil andere Themen dringlicher erscheinen.
Das klingt, als sei der langfristige Blick ein Stück weit verloren gegangen.
Genau. Viele Akteure fahren derzeit auf Sicht – ähnlich wie während der Corona-Zeit. Langfristige Strategien sind selten. Selbst wenn ich Kunden vorrechne, dass sich bestimmte Maßnahmen in bis zu zehn Jahren amortisieren, also eine sehr ordentliche Rendite bringen, stoße ich oft auf Ablehnung. Dieses Denken blockiert nachhaltige Transformation. Die Folge ist Stillstand, vor allem im Bestand. Dabei wäre jetzt die Zeit, gezielt in Effizienz und Werterhalt zu investieren.
Wo sehen Sie bei Eigentümern und Bestandshaltern die größten Herausforderungen, wenn sie ihre Immobilien nachhaltig optimieren wollen?
Im Neubau ist das relativ einfach, weil man Nachhaltigkeit von Beginn an mitplanen kann – etwa über eine DGNB-Zertifizierung. Da werden Prozesse überprüft, Schnittstellen harmonisiert, Reibungsverluste verringert – das bringt echte Effizienz.
Im Bestand hingegen ist es komplizierter. Dort geht es vor allem um das Zusammenspiel der Beteiligten: Eigentümer, Asset-, Property- und Facility-Manager sowie Nutzer. Oft funktionieren diese Schnittstellen schlecht. Da entstehen unnötige Kosten, ineffiziente Abläufe und Frust auf allen Seiten. Auch hierfür hält die DGNB ein System „Gebäude im Betrieb“ vor und unabhängige DGNB ESG-Manager können hier als Mediatoren eine wesentliche Unterstützung leisten und die richtigen Fragen stellen, um das Monitoring der Immobilie zu einem Teamerlebnis zu machen.
Ein wichtiger Aspekt für ESG ist die Datenerfassung. Wie steht es darum in der Praxis?
Das ist tatsächlich ein Knackpunkt. Bei vielen Objekten liegen Verbrauchs- oder Betriebsdaten gar nicht oder nur verstreut vor. Wenn man die Daten einmal strukturiert erfasst, lassen sich sehr schnell Schwachstellen erkennen: Warum ist der Wasserverbrauch um 20 Prozent gestiegen? Gibt es ein Leck? Oder war es einfach ein besonders heißer Sommer, in dem die Bewässerung der Pflanzen den Mehrverbrauch begründen? Solche Analysen helfen enorm, operative Kosten zu senken und Folgeschäden, wie beispielsweise Schimmelbildung bei spät entdecktem Rohrbruch, zu vermeiden. Das DGNB System handelt hier nach dem Plan-Do-Check-Akt Prinzip, bei welchem es um die kontinuierliche Verbesserung geht.
Welche Leistungen sind derzeit bei Ihnen am stärksten nachgefragt?
Wir begleiten aktuell beispielsweise einen Berliner Bestandshalter, der seine Gebäude energetisch sanieren und Schritte in Richtung Dekarbonisierung unternehmen will. Dabei geht es zunächst darum, geeignete Objekte zu identifizieren – also jene, bei denen Investitionen die größte Wirkung haben.
Dekarbonisierung steht klar im Fokus. Der Austausch fossiler Heizungen gegen Wärmepumpen ist der effektivste Hebel, weil eine Kilowattstunde Strom rund vier Kilowattstunden Wärme liefern kann. Aber man muss differenzieren: Eine erst vor fünf Jahren installierte Gasheizung tauscht niemand sofort aus. Deshalb starten viele mit kleineren Maßnahmen – etwa digitalen Thermostaten, hydraulischem Abgleich,effizienteren Steuerungssystemen oder die Umstellung der Beleuchtung auf LED.
Bis 2045 soll der Gebäudesektor klimaneutral sein. Halten Sie dieses Ziel für realistisch?
Das wird sehr ambitioniert. Wir haben in Deutschland noch einen riesigen Sanierungsstau und viele Unternehmen handeln nicht proaktiv. Wenn man aber heute beginnt, systematisch Daten zu erfassen und Bestände zu priorisieren, kann man Investitionen über die nächsten 20 Jahre sinnvoll planen. Ich sehe darin auch eine Chance: Wer seine Portfolios jetzt dekarbonisiert, wird langfristig im Vorteil sein – bei Finanzierung, Mieterzufriedenheit und Marktwert. Die Mieter werden die Immobilie bevorzugen, weil sie eine optimierte 2. Miete, eine gut erreichbare Hausverwaltung haben und vieles mehr.
Was wünschen Sie sich von der Branche für die kommenden Jahre?
Mehr Bewusstsein für die betriebliche Realität. Viele Eigentümer betrachten nur den Cashflow und vergessen, wie viel Potenzial im optimierten Gebäudebetrieb steckt. Eine gute Immobilie ist nicht nur energieeffizient, sondern auch ein Ort, an dem sich Menschen wohlfühlen. Wenn wir das schaffen, dann ist Nachhaltigkeit kein Selbstzweck mehr – sondern gelebte Wirtschaftlichkeit.
Herr Prinz, vielen Dank für das Gespräch.
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Erstveröffentlichung: The Property Post, Oktober 2025