14.10.2025

Neues Bauen braucht neue Maßstäbe

CO₂-Bilanz, Zirkularität und Einfachheit

Dr. Peter Mösle, Geschäftsführer und Partner, Drees & Sommer SE
Dr. Peter Mösle

Herr Dr. Mösle, seit vielen Jahren sind Green Buildings, also Gebäude, die die Nachhaltigkeit ins Zentrum rücken, auch wirtschaftlich erfolgreich. In der Zwischenzeit scheint sich der Klimawandel immer weiter zu beschleunigen. Wie hat diese Entwicklung Einfluss auf Green Buildings und auf Gebäude allgemein – und was tut sich hier in der Zukunft? 

In den vergangenen Jahren ist die CO2-Bilanz über den Gebäudelebenszyklus zur wichtigsten Umweltkennzahl geworden. Und die weiter steigenden Abgaben pro ausgestoßener Tonne CO2 sollten diesen Trend in Zukunft noch verstärken. Aus meiner Sicht wird diese Kenngröße spätestens mit der Aufnahme der Gebäude in den EU-Emissionshandel ab 2027 und der Umsetzung der neuen Gebäude-Energierichtlinie ab 2028 für öffentliche und 2030 für private Gebäude in Bauprojekten genauso wichtig werden wie die Baukosten. 

Was genau fällt denn in die CO2-Bilanz eines Gebäudes? 

Die CO2-Bilanz umfasst nicht nur den Betrieb, also die während der Nutzung durch Elektrizität, Heizen, Kühlen etc. anfallenden Emissionen. Dazu zählen vielmehr schon die Emissionen aus der Herstellung des Gebäudes. Und natürlich auch diejenigen, die bei einem späteren Rückbau oder dem alternativen Bestandserhalt anfallen. Betrachtet wird eben der gesamte Lebenszyklus – und der kann sich unter Umständen über viele Jahrzehnte und Zustandsphasen erstrecken. 

Das heißt, dass auch die Stoffe und Baumaterialien selbst immer schon einen CO2-Rucksack mitbringen? 

Ja, genau. Und hier kommt eine weitere zentrale Frage ins Spiel, die zunehmend wichtig wird: Wie designen wir unsere Gebäude künftig von Anfang an nicht nur möglichst CO2-neutral, sondern auch kreislauffähig? Dabei geht es grundlegend um eine zirkuläre Neugestaltung der Stoffströme. Diese muss in Zukunft ein elementarer Baustein der Bauwirtschaft werden. Das hilft uns – wie gesagt – dabei, CO2-Emissionen zu vermeiden. Gleichzeitig schonen wir dadurch vor allem unsere Primärressourcen, also Rohstoffe, die wir wie Erze, Holz oder Wasser direkt aus der Natur gewinnen.  

Aber stellt das nicht eine weitere, schwierige Herausforderung für die Bauwirtschaft in einer ohnehin unsicheren Zeit dar? 

Einerseits ja. Andererseits eröffnet uns das Prinzip des Urban Mining gerade die Chance, die wir brauchen, um die heute vorhandenen Baustoffe im Bestand so gut als möglich in eine hohe Wiederverwertung und -verwendung zu bringen. Daraus entstehen neue Geschäftsmodelle vor allem für Bauprodukte-Hersteller, Abfallwirtschaft und Planer. Für alle Neubauten und Sanierungen bedeutet dies: Baumaterialien müssen zukünftig demontierbar, sortenrein trennbar und vollständig rezyklierbar sein – wir wollen ja nicht weiter dieselben Fehler wie in der Vergangenheit machen.  

Diese Forderung hören wir schon seit Jahren. Doch passiert auch etwas in diese Richtung? 

Die Länder Bayern und Baden-Württemberg setzen bereits auf die Stärkung einer Sekundärrohstoffwirtschaft. In dieser können künftig sogenannte sekundäre Rohstoffzentren eine wichtige Rolle einnehmen. Aktuell sehe ich diese in verschiedenen Kategorien, etwa als temporäre Recycling-Hubs in größeren Quartierssanierungen oder in Form virtueller Rohstoffzentren, die als regionale Netzwerke aus Akteuren der Herstellerindustrien, Abfallwirtschaft und Logistik fungieren. 

Gleichzeitig muss das Bauen einfacher werden. Können Sie uns erläutern, was das bedeutet? 

Ja, Bauen muss wieder einfacher werden. Hiermit meine ich nicht zurück in die Vergangenheit, wir sollten Nachhaltigkeit vielmehr als die neue Normalität verstehen, nicht als exklusives und kostspieliges Add-on. Auf dieser Basis geht es mir um einfachere und clevere Baulösungen, die wir gemeinsam mit der Industrie entwickeln und mit der Politik vereinbaren. Dazu gehört, dass wir unnötige regulatorische Anforderungen streichen und unsere Planungs- und Ausführungsprozesse vereinfachen. Beispielsweise müssen wir den Effekt aus den Wärmedämmverpflichtungen bis in jede komplexe Wärmebrücke hinterfragen, zugleich müssen jedoch das Wiederverwenden und der erneute Einsatz von Sekundärmaterial viel einfacher werden. 

Gibt es auf diesem Feld schon erste Erfolgsmeldungen? 

Die gibt es in der Tat. Mit unserem Drees & Sommer-Projekt „The New 22“ setzen wir an unserem Hauptsitz in Stuttgart gegenwärtig ein Pilotvorhaben für den neuen Gebäudetyp E um. Das heißt, dass wir hier in den kommenden Monaten und Jahren zeigen, was heute beim Planen und Bauen im Sinne eines ‚einfacher, effizienter, experimenteller‘ bereits möglich ist – von der Architektur bis zu Themen wie Kreislauffähigkeit im Sinne von Cradle to Cradle, Energiewende, Eigenversorgung oder Modularisierung. 

Drees & Sommer ist Partner der PLENBA – Der Kongress für Planen, Entwickeln und Bauen
Politik und Verwaltung, Bauwirtschaft und Immobilienwirtschaft, Planer und Architekten, Energiewirtschaft und Baustoffhersteller - die PLENBA am 13. und 14. November im Cafe Moskau in Berlin ist der zentrale Kongress für alle, die die Zukunft der Bau- und Immobilienbranche aktiv mitgestalten wollen. Mehr dazu unter www.plenba.de 

Die Nutzungsrechte wurden The Property Post zur Verfügung gestellt von Drees & Sommer
Erstveröffentlichung: The Property Post, Oktober 2025

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