Der europäische Binnenmarkt war einst ein Erfolgsmodell – doch inzwischen regelt Brüssel selbst den Heizungskeller. Warum der Binnenmarkt mehr Spielraum für nationale Lösungen braucht, zeigt sich vor allem in der Wohnungspolitik.
Der europäische Binnenmarkt war einmal ein architektonischer Geniestreich: ein Haus für 27 Mitbewohner, mit offenen Türen, gemeinsamen Regeln und der Idee, dass man miteinander besser wohnt als nebeneinanderher. Doch inzwischen hat man das Gefühl, dass Brüssel nicht nur die Bauordnung vorgibt, sondern auch mit Zollstock und Wasserwaage durch jedes einzelne Zimmer marschiert. Und wehe, die Wandfarbe entspricht nicht der Norm!
So fordert der neue deutsche Bundeskanzler auf seiner ersten Reise nach Brüssel eine „grundlegende Neuausrichtung der Politik in der EU“. Der neue österreichische Wirtschaftsminister erklärt, Europa sei „in den letzten Jahren falsch abgebogen“. Und die süd- und osteuropäischen Staaten wundern sich sowieso seit Jahren über das Klein-Klein aus Brüssel. Der Frust wächst, das Gefühl, dass hier irgendwas aus dem Ruder läuft, macht sich breit – diffus, aber hartnäckig wie feiner Nebel, der sich durch jede Ritze zieht.
Zwischen Binnenmarkt und Subsidiarität kommt es zur Reibung
Besonders in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft wirkt der Nebel inzwischen eher wie Smog. Denn was als „Green Deal“ einst ambitioniert auf der europäischen Bühne angekündigt wurde – die Klimaneutralität als großes Ziel, flankiert von Emissionshandel, Energieeffizienz-Richtlinien und EU-Gebäuderichtlinie – fühlt sich heute oft an wie eine Mischung aus Bürokratie-Karussell und regulatorischer Zwangsjacke. Klimaschutz? Klar, da ist kaum jemand dagegen.
Aber die Frage ist doch: Musste das alles Brüssel regeln? Ich nenne das mittlerweile das „überschießende Binnenmarktverständnis“. Die EU hat gelernt, will sie bei ihren Bürgern Punkte machen, muss sie über den Binnenmarkt kommen. Keine Roaming-Gebühren, grenzenloses Reisen, Verbraucherschutz allerorts gleich – warum nicht auch die Wohnungspolitik europäisch anfassen, wo doch so viele Bürger im Wohnen die soziale Frage unserer Zeit sehen. Doch dabei agiert die EU oft wie ein penibler Hausmeister des Binnenmarkts. Keine Schraube darf schief sitzen, kein Pinselstrich aus der Norm tanzen.
Das Verständnis vom Binnenmarkt befindet sich dabei immer auch in einem Spannungsverhältnis mit dem Subsidiaritätsprinzip. Es besagt: Die EU möge bitte nur dann tätig werden, wenn es die Mitgliedstaaten selbst und alleine nicht besser hinbekommen.
Wohnungspolitik und Mieterstrom als Beispiele für überschießenden Binnenmarktglauben
Ein Beispiel: Im neuen Koalitionsvertrag steht eine verräterische Passage: „Der Wohnungsbau soll aus den Beihilfevorschriften der EU ausgenommen werden.“ Man fragt sich, wie der Wohnungsbau je Teil des Beihilferechts sein konnte. Es gibt doch nichts Immobileres, nichts Lokaleres, nichts, was die Mitgliedstaaten nicht selbst besser hinbekommen, als den Wohnungsbau. Der Binnenmarkt wird wohl kaum darin gestört sein, wenn Mitgliedstaaten öffentliche Unterstützung für den Wohnungsbau gewähren, auf die sich ja ohne Weiteres auch andere europäische Investoren und Bauherren bewerben können. Das Versprechen auf einen funktionierenden Binnenmarkt hat dazu geführt, dass Fördermittel durch die EU freigegeben werden müssen, auch wenn sie dem Zwecke der Errichtung vor Ort gebundener Wohnungen dient.
Ein weiteres Beispiel ist das jüngst erlassene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Kundenanlage. Der Begriff Kundenanlage beschreibt einen deutschen Sonderweg, bei dem etwa im Rahmen einer Mieterstromanlagen keine Netzentgelte anfallen müssen. Zur Stärkung von Mieterstrommodellen, aber auch ganze Contracting-Geschäfte im Gebäudebereich, bauen viele Geschäftsmodelle auf der Idee der Kundenanlage auf. Doch der EuGH urteilte, dass er ein solches Konstrukt in den europäischen Richtlinien nicht finden könne und verbot kurzerhand die Kundenanlage in Deutschland. Dass es bis dato jedoch gar keine Beeinträchtigung des Binnenmarktes, geschweige denn der europäischen Freiheitsidee gibt, mochte von den Richtern niemanden überzeugen.
Zu viel Binnenmarkt kann auch schaden
Die Erwartungen an einen EU-Wohnkommissar sind daher auch überschaubar. Die EU hat keine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Wohn- und Mietenpolitik, demzufolge auch keine Mitarbeiter in einer entsprechenden Generaldirektion und auch kein Budget. Eigentlich ist das auch gut so. Denn es dokumentiert, dass Abstimmungen und Best-Practice unter den Mitgliedstaaten durchaus sinnvoll sein können, aber eine europäische Wohnpolitik überhaupt nicht notwendig ist.
Europa hat mit dem Binnenmarkt ein wunderschönes Haus gebaut – lichtdurchflutet, offen, mit Platz für alle. Aber wenn man jedem Mitgliedstaat vorschreiben will, wo das Sofa zu stehen hat und welche Farbe die Gardinen haben dürfen, wird es ungemütlich. Manchmal reicht es, wenn Brüssel die Fenster öffnet – das Lüften erledigen die Mitgliedstaaten dann schon selbst.
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Erstveröffentlichung: The Property Post, Mai 2025